Motorsport Formel 1
Vorentscheidung: So holt Max Verstappen schon in Las Vegas den WM-Titel
Geht es jetzt plötzlich ganz schnell mit der WM-Entscheidung? Bis zur roten Flagge nach dem Crash von Williams-Pilot Franco Colapinto, sieht es am Sonntag im Großen Preis von Brasilien so aus, als würde sich der WM-Kampf zwischen Max Verstappen und Lando Norris weiter zuspitzen.
Doch der geschenkte Reifenwechsel für den Niederländer, der nach der Unterbrechung zum Sieg in Sao Paulo rast, während Titelrivale Norris im Regen schlussendlich nicht über Rang sechs hinauskommt, ändert die Vorzeichen im Rennen - und vor allem in der Weltmeisterschaft:
Satte 18 Punkte mehr als Norris schnappt sich Verstappen am Sonntag, baut seinen Vorsprung in der WM damit von 44 auf 62 Zähler aus. Wohl die Vorentscheidung im WM-Duell, denn am nächsten Rennwochenende in Las Vegas kann der Red-Bull-Pilot den Sack rechnerisch schon zu machen.
Rechenszenario: So hält Norris die WM noch offen
Die Kalkulation ist dabei ganz simpel: Norris muss in der Spielerstadt mindestens drei Punkte auf den WM-Spitzenreiter gutmachen, sonst ist Verstappen vorzeitig Weltmeister.
Zur Erklärung: In Katar steht nach Vegas noch ein Sprint-Wochenende an, hier kann Norris maximal 34 Punkte (8 im Sprint, 1 für die schnellste Runde, 25 für den Rennsieg) einfahren, beim Saisonfinale sind dann maximal 26 WM-Zähler zu holen. Macht 60 Punkte, die Norris nach Vegas noch aufholen kann.
Vorausgesetzt ist bei derlei Rechenbeispielen natürlich immer, Verstappen kommt selbst nicht in die Punkte oder fällt aus - ohnehin ein unrealistisches Szenario. Ebenfalls wichtig: Bei Punktegleichstand ist auf jeden Fall Verstappen Champion, da er 2024 mehr Siege geholt hat.
Im Umkehrschluss ist daher klar: Norris ist in Vegas auf jeden Fall schon gehörig unter Zugzwang, muss mindestens Achter werden (bei gleichzeitigem Nuller für Verstappen), um die Titelhoffnungen überhaupt am Leben zu erhalten. Kommt der Niederländer vor Norris ins Ziel oder holen beide Rivalen keine Punkte, ist die WM sowieso gelaufen.
Bei Red Bull jedenfalls herrscht Partystimmung nach der Zieldurchfahrt in Interlagos. Motorsportberater Helmut Marko frohlockt bei ServusTV in Bezug auf Verstappens vierten WM-Titel: "Das ist jetzt schon in greifbarer Nähe."
Verstappen: "Denke noch nicht an den Titel in Vegas"
Und auch dem Niederländer selbst ist natürlich bewusst: "Ich denke, wenn man es sich jetzt anschaut, dann war das natürlich unglaublich wichtig. Denn eigentlich hatte ich erwartet, dass ich heute Punkte verliere."
Auf die Frage, was das Ergebnis nun für den finalen Tripleheader der Saison bedeutet, erwidert Verstappen: "Von jetzt an möchte ich einfach nur saubere Rennen bis zum Schluss. Ich denke noch nicht daran, den Titel in Vegas zu holen oder sowas, einfach nur saubere Rennen."
Große Freude herrscht am Sonntag natürlich auch bei Teamchef Christian Horner: "Das ist ein großer Tag für die Fahrer-WM. Ich hätte nie erwartet, das zu gewinnen", räumt der Brite ein: "Ich dachte, wenn er irgendwo in die Nähe des Podiums kommt, wäre das ein großartiges Ergebnis. Also das zu gewinnen, das war eine herausragende Fahrt", lobt er Verstappen bei Sky.
Horner: "Es ist lange her, dass wir ein Rennen gewonnen haben. Wir spielen immer die Rolling Stones für Dietrich Mateschitz, wenn wir gewonnen haben - und es ist wirklich eine Zeit lang her, dass ich diesen Soundtrack gehört habe. Also eine großartige Performance und großartiges Resultat heute fürs Team."
Verstappen stellt, über vier Monate nach seinem letzten Grand-Prix-Sieg in Spanien, klar: "Ich hätte natürlich gerne schon früher wieder gewonnen, aber es wart hart für uns. Wir haben immer gepusht, aber haben nicht wirklich verstanden, warum die anderen so schnell sind, vor allem im Renntrimm."
Zwar habe man viel versucht, um das Auto zu verbessern, "aber heute am Start sah es von Platz 17 auch nicht unbedingt so aus, als würden wir gewinnen", lacht der WM-Spitzenreiter, der nach dem Auftritt in Brasilien nun aber zuversichtlich ist, "dass wir wieder kämpfen können, dass wir besonders im Rennen wieder wettbewerbsfähiger sind."
Wunden lecken bei McLaren: "Max jetzt großer Favorit"
Ganz anders hingegen natürlich die Stimmung beim großen Kontrahenten - bei McLaren ist nach dem Rennen in Sao Paulo Wunden lecken angesagt: "Ich habe heute alles gegeben, das ist alles", zeigt sich Norris nach Rang sechs enttäuscht: "Max hat das Rennen gewonnen. Gut für ihn, gut gemacht. Aber es ändert für mich nichts."
Norris: "Max war heute locker schneller als wir, und wenn er von vorne losgefahren wäre, hätte er uns wahrscheinlich überrundet. Red Bull war einfach sehr schnell heute. Max wäre also wohl sowieso durchgekommen und hätte uns geschlagen, aber ja, einfach unglücklich für uns, nichts weiter", sagt der Brite, der hinzufügt, dass es nach vielen guten Rennen zuletzt nun wohl an der Zeit war, "dass mal eines daneben geht".
Mit gravierenden Folgen für die WM-Chancen allerdings - das ist nach dem Auftritt in Brasilien im Gespräch mit Sky auch Teamchef Andrea Stella bewusst: "Zunächst einmal möchte ich anerkennen, dass Max jetzt der große Favorit für die Weltmeisterschaft ist. Er war natürlich vorher schon der Favorit, das muss man ehrlich sagen. Er ist ein fantastischer Fahrer, macht einen fantastischen Job und Lando ist gerade knapp hinter ihm."
Experte Glock stellt klar: "WM-Zug ist abgefahren"
Dennoch will Stella seinen Schützling aufbauen: "Wir sind stolz, da wo wir sind und Lando sollte sehr stolz auf seine Leistung sein. Ein Rennen wie heute kann passieren, es kann passieren, dass man hier und da Probleme hat. Wir werden unsere Lektion daraus ziehen und stärker und stärker werden." McLaren habe insgesamt "eine tolle und schnelle Entwicklungskurve" gezeigt, so Stella: "Wir nehmen die Lektion mit. Wenn wir dieses Jahr nicht gewinnen, kommen wir nächstes Jahr noch stärker zurück."
Sky-Experte Timo Glock fügt mit Blick auf das Papaya-Team und den geschlagenen Norris an: "Das tut natürlich weh, weil er jetzt weiß, dass heute einfach so eine große Chance da war. Also wer hätte gedacht, dass Max Verstappen von Platz 17 kommt, um das Rennen zu gewinnen. Und er von Platz eins nach hinten geht, und Punkte verliert?"
Von so einem "Ausrufezeichen" Verstappens sei niemand ausgegangen, weder bei McLaren noch bei Red Bull, ist Glock überzeugt: "Wir haben ja auch Dr. Marko gehört vor dem Rennen, der sagte: 'Maximal verlieren wir zehn Punkte.' Aber die haben ja auch damit gerechnet, dass sie Punkte verlieren werden, und nicht den Vorsprung ausbauen", so Glock, der in Bezug auf die WM "ganz klar" eine Vorentscheidung sieht.
Mit Norris hat er deshalb Mitleid: "Das tut natürlich weh, jetzt ist man in der Realität wieder angekommen und weiß, leider ist der WM-Zug abgefahren. Trotzdem, wie es ja auch Andrea Stella schon gesagt hat, er kann stolz auf seine Saison sein. Aber trotzdem wird man darüber nachdenken, dass man die ein oder anderen Punkte hat liegen lassen übers Jahr."
Ganz gleich, ob Verstappen den Titel schlussendlich in Las Vegas, in Katar oder erst beim Saisonfinale in Abu Dhabi einfährt ...