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Wintersport

Skispringen: Norwegens Anzug-Betrug stürzt eine komplette Sportart ins Verderben - ein Kommentar

  • Aktualisiert: 10.03.2025
  • 11:47 Uhr
  • Chris Lugert

Dem Skispringen droht der größte Skandal seiner Geschichte. Für eine Sportart, die ohnehin mit vielen Problemen kämpft, ist das ein Albtraum. Ein Kommentar.

Von Chris Lugert

Was als norwegisches Wintermärchen begann, endete mit einem der größten Skandale, die der nordische Skisport und insbesondere das Skispringen je gesehen hat. Ausgerechnet Norwegen, das Land, das selbst viel Wert auf sein lupenreines Image legt, wird als Betrüger in die Geschichte seiner eigenen WM in Trondheim eingehen.

Es klingt wie in einem Agentenfilm, was sich im Hotel der norwegischen Skispringer abgespielt haben soll. Fenster wurden abgeklebt, unter strenger Geheimhaltung wurde an den Anzügen von mindestens zwei Springern illegal herumgebastelt - ohne dass die selbst irgendetwas davon wussten. Cheftrainer Magnus Brevig soll die Arbeiten persönlich überwacht haben.

Doch durch ein kleines Loch wurden die Aktivitäten gefilmt, der Betrug flog auf. Die beiden betroffenen Springer, Marius Lindvik und Johann Andre Forfang, wurden nach dem finalen Einzelwettbewerb von der Großschanze disqualifiziert. Lindvik verlor damit seine Silbermedaille.

Doch es ist völlig unklar, ob es nicht noch gravierendere Folgen geben wird. Wird Norwegen am Ende nachträglich von allen Wettbewerben ausgeschlossen? Lindvik gewann unter anderem Gold von der Normalschanze vor dem Deutschen Andreas Wellinger. Das DSV-Team könnte in diesem Fall profitieren. Doch Freude käme dabei wohl nicht auf.

Norwegens Sportdirektor Jan Erik Aalbu beteuerte zwar, dass man bei allen anderen Wettbewerben regelkonforme Anzüge verwendet habe und die illegale Modifizierung der Anzüge nur vor dem finalen Wettbewerb erfolgt sei. Gleichzeitig aber betonte er, er habe von den Aktivitäten nichts gewusst. Woher will Aalbu dann wissen, was vorher passiert ist? Und soll man Betrügern überhaupt Glauben schenken?

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Hannawald entsetzt: "Hässlichkeit unseres Sports"

Es ist ein Skandal, der eine ganze Sportart bis ins Mark erschüttert. Legende Sven Hannawald sprach von der "Hässlichkeit unseres Sports" und meinte in der "ARD" auf die Frage, ob es ein schwarzer Tag für das Skispringen sei: "Wenn es eine dunklere Farbe als Schwarz geben würde, würde ich die nehmen."

Das Thema Anzüge begleitet den Sport seit Jahren, längst ist der Wettbewerb der besten Skispringer auch eine Materialschlacht geworden. Ähnlich wie einst bei den Schwimmern in der Hochphase der damaligen Hightech-Anzüge, bis irgendwann einfach der radikale Schritt erfolgte: Anzüge jeglicher Art wurden verboten, zumindest bei den Männern.

Beim Skispringen geht das natürlich nicht, bei Temperaturen um den oder jenseits des Gefrierpunktes können die Athleten schlecht oberkörperfrei von den Schanzen springen. Doch die Thematik hat in den vergangenen Jahren ein Ausmaß angenommen, das dem ganzen Sport inzwischen immensen Schaden zufügt - mit dem unschönen Höhepunkt in Trondheim.

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Seit Jahren Teil des DSV-Teams: Andreas Wellinger
Seit Jahren Teil des DSV-Teams: Andreas Wellinger© NTB

Schon rund um die Vierschanzentournee gab es Ende Dezember Vorwürfe gegen die Österreicher, die plötzlich allen um die Ohren flogen. Auch die ÖSV-Adler sollen angeblich illegale Anzüge oder Bindungen verwendet haben, wofür es aber nie einen konkreten Beweis gab. Eines der Länder, das damals am lautesten geschrien hatte, war ausgerechnet Norwegen. Was für eine Ironie.

Dabei befindet sich das Skispringen ohnehin in einer schwierigen Situation. Die Wettkämpfe sind vor allem in Sachen Wind extrem anfällig für äußere Einflüsse, mehr als die meisten anderen Sportarten. Dadurch gibt es oft unschöne Wartezeiten, die im Werben um Zuschauer und TV-Quoten nicht hilfreich sind.

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Erinnerungen an Dopingspiele von Sotschi werden wach

Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels hat das Skispringen - wie jede Wintersportart - zu kämpfen. Berichte über unterernährte Sportler, die sich bis auf Haut und Knochen abmagern, helfen dem Ansehen ebenfalls nicht. Was das Skispringen dann ganz sicher nicht auch noch gebrauchen kann, sind Teilnehmer, denen die sportliche Integrität am Allerwertesten vorbeigeht.

Von diesem bitteren Niederschlag wird sich das Skispringen so schnell nicht erholen, wenn es nicht zu gravierenden Reformen kommt. Sponsoren könnten darüber nachdenken, dem Sport den Rücken zu kehren - wie einst dem Radsport nach den dortigen Doping-Enthüllungen. Es wäre gleichbedeutend mit dem Untergang. Und das ausgerechnet ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen, deren gesamte Zukunft ohnehin in den Sternen steht.

Gut elf Jahre sind die Dopingspiele von Sotschi inzwischen her, als Gastgeber Russland in großem und organisiertem Stil betrog, teilweise ebenfalls mit Krimi-ähnlichen Methoden. Von Urinproben, die durch Wände vertauscht wurden, war die Rede. Die weltweite Empörung war riesig, Russland als Land der Sportbetrüger stigmatisiert.

Doch ob Doping oder vorsätzlicher Materialbetrug spielt letztendlich keine Rolle. Täuschung bleibt Täuschung und ist in keiner Form auch nur im Geringsten akzeptabel. Dass ausgerechnet ein Land mit einem Saubermann-Image für den sportlichen Erfolg zu allem bereit scheint, ist vielleicht die schlimmste Nachricht für den Sport.

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