NFL - Butker, Tucker und Co. werden zu gut: Wie die Kicker den Football in seinen Grundzügen verändern
Veröffentlicht: 23.11.2024
23:15 Uhr
Luca Wolkstein
Kicker sind nicht die größten Stars ihrer NFL-Franchises. Und doch sind sie für die wohl größte Veränderung des Sports seit langer Zeit verantwortlich - weil sie zu gut werden. Eine Analyse.
Von Luca Wolkstein
"Wenn ein Spieler versucht, einen Kick von der anderen Seite des Logos aus zu machen, muss alles stimmen. Der Snap muss da sein. Der Halt muss da sein. Die Bedingungen müssen stimmen", philosophierte Baltimore Ravens-Kicker Justin Tucker in einem Interview einst über die wohl unterbewertetste Disziplin des American Football - das Field Goal.
Alle Rädchen müssen ineinandergreifen für das ebenso schnell ausgeführte, wie wieder vergessene Portrait eines Schusses. Das traf auf Tuckers Versuch im Jahr 2021 zu, als er in Diensten der Baltimore Ravens aus 66 Yards das bis heute längste Field Goal der Geschichte erzielte.
Drei Jahre alt, droht die Bestmarke bald gebrochen zu werden.
Denn das Kicking der NFL verändert sich. Man würde annehmen, weder zum Schlechten, noch zum Guten, zumindest nicht in seiner Grundform. Es wandele sich lediglich. Doch das stimmt nicht, die Kicker werden qualitativ immer besser und das nimmt so monumentalen Einfluss auf das Spielgeschehen auf dem Rasen, dass zwangsläufig die Frage auftaucht: Tut diese Entwicklung dem Sport gut?
Quarterbacks, Wide Receiver, Running Backs, klar. Die kennt man, selbst als nur mäßig interessierter NFL-Zuschauer. Aber wer kickt aktuell nochmal für die Chicago Bears? Oder bei den Tennessee Titans? Da dürfte der Denkprozess deutlich länger dauern, wenn einem überhaupt ein Name ins Oberstübchen weht.
Und das, obwohl die Position des Kickers zu einer immer bedeutenderen in der NFL heranwächst und die Kicker einigen der Offense-Stars fast schon die Show stehlen, zumindest auf dem Papier. Denn gerade in ihrer kompliziertesten Disziplin reißen die einzigen echten, im wahrsten Sinne des Wortes, "Footballer" der NFL in der aktuellen Spielzeit alles ab.
Nämlich über die weiteste Entfernung, die die meisten Stat-Websites für Field Goals führen: 50+ Yards.
Aus 50 Yards (circa 45,72m) oder mehr treffen Harrison Butker, Chris Boswell und Co. fast 72 Prozent der Field Goals, zu denen sie antreten. Ein absolut faszinierender Wert, bedenkt man, dass die Wahrscheinlichkeit für drei Punkte aus dieser Distanz noch im Jahr 2006 geringer war als beim Wurf einer Münze. Gerade einmal 47,4 Prozent.
"Es verändert das Spiel. Es verändert die Strategie", ordnete Jeff Miller, Executive Vice President für Kommunikation bei der NFL, diese Entwicklung ein, die offenkundig massiven Einfluss auf das Spielgeschehen nimmt.
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NFL: Vorgänger von Daniel Jones - Diese NFL-Stars enttäuschten trotz Monster-Verträgen
NFL: Diese Monster-Verträge zahlten sich nicht aus Die Ära Daniel Jones bei den New York Giants ist beendet. Kurz nach der Degradierung einigte man sich mit dem Erstrunden-Pick von 2019 auf eine Entlassung. Für die Franchise bleibt ein ordentlicher Batzen Dead Cap. Jones ist bei Weitem aber nicht die einzige teure Fehleinschätzung der NFL-Historie. ran zeigt weitere Spieler, die einen Monster-Vertrag unterschrieben, die Erwartungen aber nicht erfüllen konnten. Auch interessant: NFL: Daniel Jones beweist Größe mit stilvollem Giants-Abgang
Daniel Jones (New York Giants) Die Entlassung von Jones kommt die Giants teuer zu stehen. Der 27-Jährige hatte nach der Saison 2022 einen Vertrag über 160 Millionen Dollar unterschrieben, durch den die Giants in der aktuellen Saison 2024 laut "Spotrac" satte 47,1 Millionen Dollar an Dead Cap schlucken müssen. Laut NFL-Insider Tom Pelissero sind es für 2025 auch noch 22,1 Millionen Dollar, mit dem der Cap belastet wird. Spareffekt bei der Gehaltsobergrenze 2025: Immerhin 19,395 Millionen Dollar.
Russell Wilson (Denver Broncos)
Im Frühjahr 2022 wurde Russell Wilson zu den Broncos getradet und unterschrieb einen mit 245 Millionen Dollar dotierten Fünfjahresvertrag. Die Erwartungen waren gigantisch, erfüllt wurden sie nicht. Mit 16,9 Punkten im Schnitt stellten die Broncos die schlechteste Offense. Wilson spielte schwach, wurde aber auch so oft gesacked wie kein anderer QB. Auch unter Coach Sean Payton wurde es nicht besser. Anfang 2024 folgte die Entlassung, wenig später unterschrieb Wilson bei den Pittsburgh Steelers.
Kenny Golladay (New York Giants) Die New York Giants entließen Wide Receiver Kenny Golladay im März 2023 mit Beginn der Saison. Golladay hatte vor der Saison 2021 einen 72-Millionen-Dollar-Vertrag über vier Jahre unterschrieben, aber auch wegen Verletzungen die Erwartungen nie erfüllen können. In zwei Jahren fing der einstige Pro Bowler nur einen einzigen Touchdown.
Ezekiel Elliott (Dallas Cowboys)
Ezekiel Elliott unterzeichnete im September 2019 einen Sechsjahresvertrag über 90 Millionen Dollar bei den Dallas Cowboys, über die Zeit sollten seine Zahlen aber immer mehr zurückgehen. Einige Spielzeiten später stahl ihm dann Tony Pollard immer mehr die Show. Der Erstrundenpick von 2016 spielte einfach nicht mehr wie der Elite-Running-Back, der er in den ersten NFL-Jahren war. Im März 2023 folgte dann die zu erwartende Entlassung. 2024 kam es jedoch zum Comeback, Elliott unterschrieb für ein Jahr und zwei Millionen Dollar.
Nick Foles (Jacksonville Jaguars)
Als Backup-Quarterback führte Nick Foles die Philadelphia Eagles 2017 zum Super-Bowl-Gewinn und wurde zum MVP gewählt. 2019 folgte dann der Wechsel. Foles erhielt einen Vierjahresvertrag über 88 Millionen Dollar bei den Jaguars, brach sich allerdings im ersten Spiel das Schlüsselbein. Backup Gardner Minshew spielte groß auf,. Als Foles wieder fit war, landete er trotzdem schnell wieder auf der Bank. Nach nur einem Jahr wurde Foles für einen Viertrundenpick zu den Chicago Bears abgeschoben.
Carson Wentz (Philadelphia Eagles)
Obwohl Foles Carson Wentz hervorragend vertreten hatte, entschieden sich die Eagles 2019, Wentz einen Rekordvertrag zu geben. 107 Millionen Dollar sollte der Quarterback bis 2024 garantiert kassieren. Doch Wentz wurde nie der erhoffte Franchise-Spieler, enttäuschte und verlor schließlich den Starter-Posten an Jalen Hurts. 2021 wurde er zu den Indianapolis Colts getradet. Dann begann das große Wechselspiel: Über die Washington Commanders und Los Angeles Rams landete Wentz 2024 bei den Kansas City Chiefs.
Randall Cobb (Houston Texans)
Randall Cobb und die Green Bay Packers schrieben eine echte Erfolgsgeschichte. Der Receiver harmonierte zwischen 2011 und 2018 stark mit Quarterback Aaron Rodgers und spielte 2014 im Pro Bowl. 2020 nahmen die Texans Cobb für drei Jahre und bis zu 27 Millionen Dollar unter Vertrag. Verletzungsbedingt gelang Cobb in Houston wenig, menschlich passte es offenbar überhaupt nicht. Für einen Sechstrundenpick wurde Cobb 2021 zurück nach Green Bay getradet. 2023 spielte er noch für die New York Jets.
Josh Norman (Washington Redskins)
Josh Norman entwickelte sich bei den Carolina Panthers zwischen 2012 und 2016 zu einem der besten Cornerbacks der NFL, seine giftigen Duelle mit Odell Beckham Jr. sind unvergessen. 2016 kam es zu keiner Einigung, die damaligen Washington Redskins schlugen zu. Norman erhielt einen Fünfjahresvertrag über 75 Millionen Dollar und wurde zum bestbezahlten CB. Seine Leistungen ließen aber deutlich nach. In der Saison 2019 landete er auf der Bank, im Frühjahr 2020 wurde er entlassen.
Joe Flacco (Baltimore Ravens)
In der Saison 2012 führte Joe Flacco die Ravens zum Super-Bowl-Sieg. Der Lohn war ein Sechsjahresvertrag über 120,6 Millionen Dollar, damaliger Rekord. Den Erfolg wiederholen konnten die Ravens und Flacco aber nicht, spätestens ab 2017 ließen die Leistungen des Quarterbacks nach. Flacco verlor den Job als Starting Quarterback an Lamar Jackson und wurde 2019 zu den Denver Broncos getradet. Danach entwickelte er sich zum Journeyman: Jets, Eagles, erneut Jets, Browns und seit 2024 Colts.
Brock Osweiler (Houston Texans) Der Deal für Brock Osweiler gilt als einer der schlechtesten der NFL-Geschichte. 2016 gaben die Texans dem Quarterback einen Vierjahresvertrag über 72 Millionen Dollar. Dieser hatte gerade den Super Bowl gewonnen, wo er als Ersatz für Peyton Manning fungierte. Aber als Franchise-QB sah ihn Houston wohl exklusiv. In seiner ersten und einzigen Saison warf er 16 Interceptions und brachte nur 59 Prozent seiner Pässe an. Nach der Spielzeit tradeten ihn die Texans mit einem Zweitrunden-Pick zu den Cleveland Browns.
Andrew Luck (Indianapolis Colts)
Das wahrscheinlich tragischste Beispiel in dieser Aufzählung. Als größtes Quarterback-Talent seit vielen Jahren und Top-Pick im Draft kam Andrew Luck 2012 zu den Colts. Luck wurde den Hoffnungen gerecht und zeigte starke Leistungen. Im Sommer 2016 machten die Colts ihn zum bestbezahlten Spieler der NFL, mit einem Sechsjahresvertrag über 140 Millionen Dollar, der ihm 87 Millionen Dollar garantierte ...
Andrew Luck (Indianapolis Colts) ... Diesen Deal sollte er aber nicht im Ansatz erfüllen können. Denn der Quarterback musste zuvor bereits ordentlich einstecken, seine Karriere wurde von Verletzungen überschattet. Im August 2019 entschied sich Luck deshalb im Alter von 29 Jahren, seine Karriere zu beenden. Das große Versprechen, das er einst war, wurde nicht in vollem Umfang eingelöst.
Albert Haynesworth (Washington Redskins)
Ein etwas älteres Beispiel für einen Spieler, der trotz Monster-Vertrag enttäuschte, ist Albert Haynesworth. Nach zwei starken Spielzeiten bei den Tennessee Titans statteten die damaligen Washington Redskins den Defensive Tackle 2009 mit einem Siebenjahresvertrag über 100 Millionen Dollar aus – obwohl es Bedenken bezüglich der Arbeitseinstellung und Disziplin von Haynesworth gab ...
Albert Haynesworth (Washington Redskins) ... Tatsächlich hatte Haynesworth von Beginn seiner Zeit in Washington an heftige Probleme mit dem Coaching Staff, er konnte nie an seine Leistungen bei den Titans anknüpfen. Im Sommer 2011 ging es weiter zu den New England Patriots, dann zu den Tampa Bay Buccaneers, wo seine NFL-Karriere 2012 endete.
Immer mehr Field Goals aus weiter Ferne
Denn was ist der nächste logische Schritt, wenn ein Element erwiesenermaßen immer besser und besser funktioniert? Man nutzt genau diese Komponente des Spiels öfter aus. Diese simple Schlussfolgerung leuchtete natürlich auch sämtlichen Team-Analysten der NFL-Franchises ein.
Seit dem Jahr 2000 verzeichnet die Football-Liga deshalb einen rasanten Anstieg an 50+ Yard-Field Goals. Einige Zahlen gefällig?
161 Mal nahmen die Kicker dieses Jahr bislang aus über 50 Yards Maß auf die beiden Stangen. 2006 waren es in der gesamten (!) Regular Season gerade einmal 84 Versuche aus der gleichen Distanz. Doch auch in jüngster Vergangenheit bestätigt sich dieser Trend.
Alleine seit der Saison 2023 hat sich die Rate an 50+ Field Goal-Versuchen um 46 Prozent erhöht.
Aber apropos Head Coaches. Neben einer Zunahme an Versuchen soll auch ein verändertes Verständnis der Kicker-Position durch ihren Chef an der Seitenlinie zu beschriebenem Wandel beigetragen haben. Das sagt zumindest Kicking-Coach Dan Orner im NPR-Podcast "All Things Considered": "Vor zehn Jahren haben die Jungs im Training auch 60-Yarder getroffen. Ich glaube, die Trainer waren nicht selbstbewusst genug."
Zudem sieht Orner einen verfeinerten Umgang als Zusammenhang. "Sie schätzen ihren Kicker. Sie schätzen ihren Punter. Sie schätzen ihren Kickoff-Spezialisten", so der Coach verschiedenster NFL-Stars. "Bei den jüngeren Head Coaches sieht man viele, die sagen: 'Wir haben diese Massenvernichtungswaffe, wir können sie genauso gut einsetzen.'"
Doch nicht nur hätten die Head Coaches seine ehemalige Position besser entschlüsselt, die Arbeit mit spezialisierten Trainern helfe den Profis von heutzutage enorm, so Ex-NFL-Kicker Michael Husted im Podcast. Zu seiner Zeit wäre das anders gewesen.
"Ich hatte keine Anleitung. Ich hatte keine Ausbilder", so Husted. Stattdessen schaute er sich die Techniken erfolgreicher Kicker einfach ab. "Ich bin das gesamte Videomaterial durchgegangen und habe herausgearbeitet, warum sie so gut waren."
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NFL-Kicker zu gut?
Das "Meistern" ihrer eigenen Position könnte den Kickern allerdings zum Verhängnis werden. Denn auch die NFL selbst beobachtet die bahnbrechenden Werte genau, allerdings mit deutlich mehr Skepsis als Bewunderung.
"Das ist natürlich etwas, das man zur Kenntnis nehmen muss", hielt sich NFL-Executive Jeff Miller bedeckt, als er im Oktober nach einer potenziellen Regeländerung gefragt wurde, die Field Goals erschweren könnte.
Den Abstand der Goal Posts verringern und dafür ein Field Goal mit vier oder fünf Punkten belohnen? Eine der Ideen, mit denen die NFL spielt und deren Anwendung sie im All-Star-Game 2015 bereits getestet hat. Durchgesetzt hat sich bislang keine Alternative, auch aus Mangel an Unterstützung in Liga und bei den Fans.
Glück für Football-Traditionalisten, die eine Regeländerung entschieden ablehnen. Blöd nur für Justin Tucker, dessen Rekord damit wohl bald hinfällig ist.