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NBA-Kolumne: Über den Ausfall von Joel Embiid: Ein historischer Verlust
- Aktualisiert: 07.02.2024
- 10:08 Uhr
- Ole Frerks
Joel Embiid muss sich einer Operation am Knie unterziehen. Seine Saison ist offiziell nicht beendet, eine genauere Timeline wollen die Philadelphia 76ers erst nach der Prozedur bekanntgeben. Schon jetzt ist aber klar, dass ein Aspekt seiner Saison eine historische Fußnote bleiben wird.
Von Ole Frerks
Eigentlich sollte es aktuell um etwas anderes gehen. Am Donnerstag steht die Trade Deadline an, eigentlich hätten die Philadelphia 76ers eins der interessantesten Teams in dieser Woche sein sollen.
Nun, das sind sie irgendwie immer noch. Allerdings nicht aus dem "eigentlichen" Grund, dass Philly jetzt noch den einen Move tätigen könnte, um endgültig den Schritt Richtung legitimer Contender zu machen.
Weit waren sie bis vor kurzem ja nicht weg, noch immer hat Philly das sechstbeste Net-Rating der Liga, vor Denver und Milwaukee. Ihre Situation hat sich jedoch grundlegend verändert.
Ihr Fundament ist weg, vorerst. Wie die Sixers bekanntgegeben haben, wird Joel Embiid in den kommenden Tagen am gerissenen Meniskus in seinem linken Knie operiert werden.
Die "Tür ist nicht zu" für eine Rückkehr des Centers im Lauf dieser Regular Season, wie es bei "ESPN" hieß, offiziell fällt Embiid "für einen längeren Zeitraum" aus. Genauer spezifiziert wird dieser erst nach der Prozedur.
Es hilft daher nichts, aktuell darüber zu spekulieren. Die Ausfallzeiten nach diesen Verletzungen können irgendwo zwischen sechs Wochen und drei Monaten liegen, in manchen Fällen dauert es auch noch länger. So oder so gibt es bereits die Gewissheit, dass eine Verletzung eine weitere Saison von Embiid beschädigt, selbst wenn es sie vielleicht nicht endgültig zerstört hat.
Es sollte aktuell eigentlich auch hier um etwas anderes gehen.
Das Wichtigste in Kürze
Joel Embiid und die beste Scoring-Season ever
Embiid ist nun offiziell raus aus dem MVP-Rennen. Schon vor der neuerlichen Verletzung war er auf Kurs, die 65-Spiele-Marke zu verpassen, die seit dieser Saison für Awards erforderlich ist, nun besteht keine Chance mehr, dass er seinen Titel aus der Vorsaison verteidigt, als er es auf 66 Spiele brachte.
Selbst wenn sich locker dafür argumentieren lässt, dass kein Spieler in dieser Saison pro Minute wertvoller für sein Team war – Embiid geht aber noch mehr verloren.
Der 29-Jährige war auf Kurs, die dominanteste Scoring-Saison der Geschichte hinzulegen. Nein, wirklich. Seine 35,3 Punkte (noch gesenkt durch das "halbe Spiel" gegen Golden State, als er sich verletzte) sind nicht der historische Bestwert, diesen hält natürlich Wilt Chamberlain mit 50,4 aus der 61/62er Saison. Wilt stand allerdings 48,5 Minuten pro Spiel auf dem Court, bei Embiid sind es 34.
Bei den Punkten pro Minute hatte Embiid vor dem Warriors-Spiel einen leichten Vorsprung, als erster Spieler seit Wilt legte er in dieser Spielzeit mehr Punkte auf als gespielte Minuten (beide stehen bei 1,04). Viel deutlicher wird es, wenn man berücksichtigt, dass das Spieltempo in Chamberlains Ära viel höher war und ein herkömmliches Team damals rund 130 Shooting Possessions pro Spiel hatte (aktuell sind es um die 100 pro Partie).
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Joel Embiid: Eine Lakers-Legende als Vergleich
Sortiert man die Punkte pro Ballbesitz, ist der Unterschied viel größer. Wilts Rekord waren 38 Zähler pro 100 Ballbesitzen – diese Marke wurde schon mehrfach übertroffen, unter anderem von Michael Jordan, Kobe Bryant, Giannis Antetokounmpo, James Harden und Embiid selbst.
Den bisherigen Rekord hielt Harden mit 48,2 Zählern. Embiid steht aktuell bei 50,4 - was der neue Rekord wäre.
Selten ließ ein Spieler das Punkten einfacher aussehen als Embiid in 23/24 – vielleicht sogar nie. Dazu spielte er eines seiner effizientesten Scoring-Jahre (64,5 % True Shooting) und verbesserte sein Playmaking unter dem neuen Head Coach Nick Nurse massiv.
Auch defensiv zählte er zu den einflussreichsten Spielern der Liga. Egal, wie man das MVP-Rennen sah, es war eindeutig das beste individuelle Jahr in Embiids Laufbahn, bis hierhin.
Es droht nun zu einer historischen Fußnote zu verkommen, vergleichbar am ehesten mit einem Weggefährten Chamberlains: Elgin Baylor. Die Lakers-Legende hatte in 61/62 eigentlich die bisher zweitmeisten Punkte pro Spiel überhaupt aufgelegt (38,3), nebenher aber auch noch Wehrdienst geleistet. Er konnte deshalb nur 48 Spiele absolvieren, nicht genug, um auf dem damaligen Leaderboard oder in den offiziellen All-Time-Rankings aufzutauchen.
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Embiid-Verletzung: Waren die Medien oder die NBA schuld?
Das wird nun wohl oder übel auch mit Embiids Saison geschehen. Aus einem noch frustrierenderen Grund, den Verletzungen. Der umso frustrierender ist, weil seit Tagen darüber spekuliert wird, ob die neuerliche, schwerere Verletzung nicht vermeidbar gewesen wäre. Weil Embiid, so denken manche, unter Druck geriet und gegen Golden State auflief, obwohl er sich eigentlich nicht fit fühlte.
Für LeBron James beispielsweise ist es eindeutig, wer Schuld an Embiids Verletzung trägt: die Medien. Embiid wurde insbesondere dafür kritisiert, dass er beim Gastspiel in Denver sehr kurzfristig absagte, obwohl er vorher nicht einmal auf dem Injury Report stand (auch Nuggets-Coach Michael Malone kritisierte die Sixers dafür). Seit 2019 hat er nicht mehr in Denver gespielt, bei seinem großen "MVP-Rivalen" Nikola Jokic.
Dem All-Time Leading Scorer der NBA zufolge schulden diverse US-Medienvertreter Embiid eine Entschuldigung, da sie diesen durch die Kritik in die Verletzung getrieben hätten:
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Kollege Draymond Green von den Golden State Warriors hingegen schob es auf die NBA und ihre "Bullshit" 65-Spiele-Regel, wenngleich diese in Absprache mit der Spielerunion verabschiedet wurde.
Ein Versagen der Sixers?
Einem Bericht von "The Athletic" zufolge rechnen auch in der Sixers-Franchise manche damit, dass Embiid aufgrund des Drucks und der 65-Spiele-Marke im MVP-Rennen zu früh zurückgekehrt ist. Es bleibt abzuwarten, wie er sich selbst dazu äußert. Sollten diese Faktoren jedoch wirklich dazu geführt haben, müsste man die Schuld nicht zuletzt bei den Sixers selbst suchen.
Genauer gesagt beim medizinischen Stab – der jeden Spieler nach Verletzungen erst freigeben muss, bevor dieser auf den Court zurückkehren darf. Zu den Aufgaben dieses Stabs gehört es auch, Spieler vor sich selbst zu schützen, selbst wenn sie es besonders eilig haben. Das gilt vor allem in der Regular Season. Und vor allem bei jemandem wie Embiid, dessen Verletzungshistorie noch üppiger daherkommt als sein Scoring-Arsenal.
Embiid hat die ersten beiden Jahre seiner Karriere komplett verpasst, im dritten spielte er 31 Mal. Es ist ein NBA-Wunder, dass er es so weit gebracht hat, zu fünf All-NBA-Nominierungen und einem MVP-Award. Trotzdem gab es bisher keine Saison ohne kleinere oder größere Verletzungen, regelmäßig auch dann, wenn es wichtig wurde, in den Playoffs. Es ist einer der (zahlreichen) Gründe dafür, dass Philly mit einem der dominantesten Spieler der Liga bisher nie die Conference Finals erreichte.
Es darf eigentlich nicht passieren, dass so jemand kurz vor der All-Star-Pause (!) im Januar sein Comeback erzwingt, nur weil Talking Heads im TV oder in Podcasts dies fordern, oder weil sonst vielleicht kein weiterer Award winkt. Sollte das denn wirklich passiert sein. Vielleicht gibt es auch gar keine Schuld, die zugewiesen werden muss, sondern eher Genesungswünsche.
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Was machen die Sixers?
Die Verletzung, die ist real. Und sie bringt die Sixers, gerade in dieser Woche, in eine spannende Situation, in der sie schnell entscheiden müssen, welchen Kurs sie wählen.
Suchen sie das dritte Stück neben Embiid und Tyrese Maxey, selbst wenn Embiid in dieser Spielzeit vielleicht gar nicht zurückkehrt? Investieren sie überhaupt in diese Saison? Oder wird es weiter konsequent vermieden, Verträge über diese Saison hinaus aufzunehmen, um im Sommer mit massig Cap Space einen weiteren Star zu jagen (auch wenn kaum ein Star Free Agent werden wird)?
Die Aktivitäten dieser Woche geben wohl Aufschluss darüber, wie die Franchise intern über Embiids Status denkt. Klar ist für den Moment, dass sich eins der besten Teams der bisherigen Saison umorientieren muss.
Nur vier der 15 Spiele ohne Embiid wurden gewonnen, obwohl Lineups mit Maxey, ohne Embiid prächtig funktionieren (+6,3). Das muss nicht so bleiben, und die Lineups ohne Maxey könnten ohnehin düster werden, wenn Morey keinen weiteren Creator ins Team holt.
Machen wir uns nichts vor: Die NBA-Geschichtsbücher haben einen Verlust erlitten, nicht zum ersten Mal. Für die Sixers und Embiid steht aber viel mehr auf dem Spiel. Eigentlich sollte es um etwas anderes gehen, etwa um Embiids Dominanz, Maxeys Durchbruch, die bisher so starke Saison trotz des Harden-Fiaskos. Leider scheint das bei dieser Franchise auch weiterhin kompliziert zu sein.