ran-Interview
Horst Hrubesch, gibt es keine Straßenfußballer mehr? "Das höre ich seit über 20 Jahren"
- Aktualisiert: 27.08.2023
- 14:05 Uhr
- Christian Stüwe
Horst Hrubesch zieht im Interview mit ran sein Fazit der Frauen-WM, er spricht über die Probleme der DFB-Teams, den Saisonstart des HSV und die Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball.
Von Christian Stüwe
Als Interimstrainer war Horst Hrubesch im Jahr 2018 der Vorgänger von Martina Voss-Tecklenburg und führte die DFB-Frauen zur WM. Auch beim Hamburger SV ist der 72-Jährige ein Förderer der Frauen-Mannschaft, die gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen ist.
Als Nachwuchsdirektor des HSV kümmert sich das frühere "Kopfballungeheuer" aber hauptsächlich um die nächsten Generationen von Fußballerinnen und Fußballern.
Im exklusiven Interview mit ran spricht die HSV-Legende über die Frauen-WM, die Probleme der DFB-Teams und den Saisonstart des HSV.
ran: Horst Hrubesch, die Frauen-WM ist vorbei. Wie fällt ihr Fazit aus?
Horst Hrubesch: Positiv. Das Finale hat die Qualität gezeigt, die der Frauenfußball mittlerweile hat. Was die Spanierinnen gespielt haben, fand ich sensationell. Auch wie die Engländerinnen mit ihrer etwas anderen Spielweise dagegen gehalten haben. Das war ein tolles Endspiel.
ran: Sie haben die DFB-Frauen 2018 trainiert. Wie sehr hat Sie das frühe Aus bei der WM geschmerzt?
Hrubesch: Nach der Europameisterschaft hätte ich eigentlich gedacht, dass die Mädels das weiterhin auf die Reihe kriegen und ihre Finalteilnahme von 2022 bestätigen können. Aber man hat gesehen, dass man immer wieder bei null anfangen muss. In so einem Turnier geht es immer wieder von vorne los. Wir sind zwar mit einem guten Ergebnis in das Turnier gestartet, aber ich denke, das hat mehr geblendet als geholfen. Die WM hat gezeigt, dass es auch bei den Frauen die sogenannten "Kleinen" nicht mehr gibt. Man muss gegen jede Mannschaft Top-Leistungen abrufen, das haben auch die Vorbereitungsspiele gegen Vietnam und Sambia gezeigt.
Das Wichtigste zur 2. Bundesliga
ran: Woran hat es aus Ihrer Sicht gelegen, dass die Mannschaft in der Gruppenphase ausgeschieden ist?
Hrubesch: Mich hat gestört, dass bei unserer Mannschaft sehr behäbig und mit nicht so viel Tempo aufgebaut wurde. Die beiden Mannschaften im Finale, aber auch Australien und selbst Neuseeland, haben auch mal mit langen Bällen versucht, nach vorne zu spielen. Nicht mit so vielen Kontakten, sondern direkter, schneller. Diese WM war richtungweisend. Und wir in Deutschland sollten ganz genau hinschauen. Die Frage wird sein: Was verändern wir? Wir müssen sicherlich einiges tun, auch was den Spielbetrieb angeht. Mir ist das zu wenig mit einer 2. Bundesliga, in der nur 14 Mannschaften spielen. Das sind Strukturen, die man verändern muss, damit man im Frauenfußball mit einer breiteren Basis aufgestellt ist und noch mehr Talente und Spielerinnen entwickelt.
ran: Die HSV-Frauen sind in die eingleisige 2. Bundesliga aufgestiegen und mit einem 2:2 gegen Mönchengladbach gestartet. Was ist in dieser Saison drin?
Hrubesch: Wenn man das Spiel gesehen hat, haben wir eigentlich zwei Punkte verschenkt. Wir haben ein Tor in der Nachspielzeit bekommen und es in der ersten Halbzeit versäumt, das Spiel vorzeitig zu entscheiden. Die Mannschaft hatte schon in der letzten Saison eine gute Qualität und wir haben sie noch etwas verstärkt. Die 2. Bundesliga ist für die Mädels jetzt Neuland. Aber wenn sie sich an die Liga ein bisschen gewöhnt und die erste Nervosität abgelegt haben, können sie eine gute Rolle spielen.
ran: Wie wichtig ist es für einen Verein wie den HSV, mittelfristig in der Frauen-Bundesliga vertreten zu sein?
Hrubesch: Da wollen wir hin, das Ziel haben wir in der Vergangenheit klar geäußert. Aber wir haben auch gesagt, dass wir uns nicht die Spielerinnen kaufen wollen, um dieses Ziel sofort zu erreichen. Das möchte ich an dieser Stelle nochmal unterstreichen. Wir haben eine gute U17-Mannschaft gehabt, die im vergangenen Jahr die Deutsche Meisterschaft gewonnen hat. Aus dieser Mannschaft haben wir junge Spielerinnen hochgezogen. Im Großen und Ganzen setzen wir auf den eigenen Nachwuchs.
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ran: Glauben Sie, dass der Hype um den Frauen-Fußball durch das frühe Aus bei der WM abgeschwächt werden könnte?
Hrubesch: Nein, davon gehe ich nicht aus. Wenn der VfL Wolfsburg gegen den FC Bayern München spielt, oder wenn Saisoneröffnung ist, ist es ja mittlerweile fast schon normal, dass 20.000 oder 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion kommen. Auch im normalen Ligabetrieb hat sich einiges zum Positiven entwickelt. Aber das ist kein Grund, sich auf irgendetwas auszuruhen. Man muss immer schauen, was man noch tun kann. Wenn man zum Beispiel die Bedingungen sieht, unter denen teilweise noch in der 2. Bundesliga gearbeitet wird. Da muss sich schon noch einiges tun, um letztendlich auch die Talente in die Nationalmannschaft zu bringen. Es muss ein Unterbau geschaffen werden, der immer wieder junge Spielerinnen hervorbringt.
ran: Sehen Sie den DFB in Pflicht?
Hrubesch: Nicht nur den DFB, ich sehe auch die Vereine in der Pflicht. Wir müssen uns davon freimachen, dass einer alleine alles entscheiden kann. Natürlich sind der DFB und die Landesverbände dafür verantwortlich, was für Ligen wir haben. Aber das Entscheidende ist, dass wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen. Wir müssen alle mit anpacken und Gas geben, damit wir im Frauenfußball so aufgestellt sind, dass wir bei Welt- und Europameisterschaften wieder in der Spitze dabei sein können. Und natürlich auch in der Champions League, in der die Top-Mannschaften aus der Bundesliga vertreten sind. Ich glaube nicht, dass alle Vereine in der Bundesliga momentan in der Lage sind, Spielerinnen, wie wir sie jetzt bei der WM gesehen haben, zu verpflichten. Das ist ein Problem.
ran: Wann haben Sie angefangen, sich für den Frauenfußball zu interessieren?
Hrubesch: Eigentlich habe ich mich schon immer dafür interessiert. Ich habe bestimmt 20 Mal das DFB-Pokal-Finale der Frauen in Berlin und später in Köln gesehen. Als ich die Ausbildung zum Fußballlehrer gemacht habe, bin durch den ehemaligen Bundestrainer Gero Bisanz erstmals so richtig mit dem Frauenfußball in Kontakt gekommen. Als ich in Köln an der Sporthochschule auf einem Lehrgang war, haben wir auch mal gegen die Mädels gespielt. Ich habe die Mädels nie mit den Männern verglichen, sondern nur miteinander. Das war ein Vorteil. Und wenn man jetzt sieht, wie sich der Frauenfußball in den letzten zehn, 15 Jahren entwickelt hat, ist das sensationell gut.
ran: Kommen wir zu den Männern des HSV, die stark in die Saison gestartet sind und auf dem ersten Tabellenplatz der 2. Bundesliga stehen. Klappt es dieses Jahr mit dem Aufstieg?
Hrubesch: Im Spiel gegen Hertha BSC hat man gesehen, dass man auch von der Bank Spieler mit Geschwindigkeit bringen kann. Die Art und Weise, wie der HSV gespielt hat, war top. Wir sind zweimal in der Relegation gescheitert, aber das Entscheidende ist, wie wir zurückgekommen sind. Die Mannschaft hat sich weiterentwickelt, das gesamte Umfeld drumherum hat sich weiterentwickelt. Wir wollen von Anfang an zeigen, dass wir aufsteigen wollen - und in dieser Saison glaube ich daran.
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Wenn man in der heutigen Zeit in Hamburg im Stadion auflaufen darf, dann muss man dem lieben Gott doch dankbar sein. Was da abgeht, wie die Fans die Spieler unterstützen, die Choreographien – das muss einfach Spaß machen!
Horst Hrubesch
ran: Die Bundesliga hat mit Harry Kane einen neuen Star. Ist er der Spieler, der dem FC Bayern München gefehlt hat?
Hrubesch: Die Bayern waren vorher schon verdammt gut besetzt. Aber wenn man einen Spieler wie Harry Kane bekommen kann, muss man das machen. Auch wenn er viel Geld gekostet hat, wird er ihnen weiterhelfen. Man hat in Bremen gesehen, dass das schon nach ein paar Trainingseinheiten sehr gut funktioniert hat. Wie er das erste Tor vorbereitet und das zweite selbst geschossen hat, da sieht man seine Qualitäten. Andersrum macht es natürlich auch richtig Spaß, mit so einer Mannschaft wie den Bayern, mit solchen Ausnahmespielern, um die Meisterschaft und internationale Titel zu spielen. Neben den Bayern sehe ich noch zwei, drei andere Mannschaften, die international mitspielen können. Dortmund und Leipzig zum Beispiel.
ran: Zuletzt wurde sowohl nach dem frühen WM-Aus der Männer in Katar wie auch nach dem Scheitern der DFB-Frauen bemängelt, dass es keine Straßenfußballer mehr gebe. Sie sind der Nachwuchs-Direktor des HSV, wie ist Ihr Eindruck von der kommenden Fußball-Generation?
Hrubesch: Das höre ich seit über 20 Jahren. Als ich damals beim DFB angefangen habe, hieß es, dass wir bei der Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden und Belgien Rumpelfußball gespielt hätten und dass wir keine Straßenfußballer mehr hätten. Aber in der Zwischenzeit sind wir Weltmeister geworden. Eines ist jedoch klar: Du darfst in der heutigen Zeit nicht schlafen und musst dich immer wieder selbst hinterfragen. Was können wir tun? Welche Möglichkeiten haben wir? Das Entscheidende wird sein, dass wir selbstständige Spieler entwickeln, die eine eigene Meinung haben, auf dem Platz mal etwas probieren und mit Mut eigene Entscheidungen treffen.
ran: Wie kann das gelingen?
Hrubesch: Fußballspielen muss einfach Spaß machen. Talente mit Spaß und Freude zu entwickeln, das wird der entscheidende Faktor sein. Das stelle ich bei uns im Nachwuchs immer wieder an die erste Stelle. Wenn man schon mit zehn, zwölf Jahren immer wieder das Gleiche trainiert, trifft man mit 18 zu wenig eigene Entscheidungen. Ich denke, dass man den Spielern mehr Freiheiten geben und mehr Eigenverantwortung einfordern muss. Natürlich müssen die Spieler auch immer an die Leistungsgrenze gebracht werden. Wenn es weh tut, müssen sie weiter Gas geben und nicht den Kopf hängen lassen. Aber vor allem muss man selbständige Spieler ausbilden, die sich selbst erziehen und miteinander spielen. Die den Spaß, den der Sport mitbringt, nicht durch Training und Spiele verlieren. Wenn man gesehen hat, wie die Bayern nach dem Sieg in Bremen gejubelt und vor der Kurve gestanden haben – das ist genau das, was ich meine. Wenn man in der heutigen Zeit in Hamburg im Stadion auflaufen darf, dann muss man dem lieben Gott doch dankbar sein. Was da abgeht, wie die Fans die Spieler unterstützen, die Choreographien – das muss einfach Spaß machen!
ran: Auch die deutsche U21, die Sie erfolgreich trainiert haben, scheiterte bei der EM im Sommer in der Gruppenphase. Haben Sie Hoffnung, dass es bald wieder besser für den deutschen Fußball wird – auch mit Blick auf die EM im nächsten Jahr?
Hrubesch: Nochmal: Dafür sind wir alle verantwortlich. Nicht nur der Bundestrainer. Wir alle müssen uns hinterfragen, was wir tun und besser machen können. Mit Blick auf die Nationalmannschaft glaube ich, dass das Experimentieren wenig Sinn ergibt. Natürlich muss man dem einen oder anderen Spieler mal eine Chance geben. Aber wir haben etwa acht Länderspiele im Jahr, da freut sich jeder deutsche Fußball-Fan drauf. Und dann müssen wir in den acht Länderspielen auch 100 Prozent geben. Da muss man die besten Spieler auf den Platz bringen und durchspielen lassen. Das muss auch das Ziel Richtung nächstes Jahr sein, damit wir mit Selbstsicherheit in das Turnier gehen und eine gute Rolle im eigenen Land spielen können.