Bundesliga
Bayer Leverkusen und der VfB Stuttgart: Die Chartstürmer des Jahres
- Aktualisiert: 21.12.2023
- 18:46 Uhr
- Chris Lugert
Mit zwei glanzvollen Siegen beenden Bayer Leverkusen und der VfB Stuttgart ihr Jahr 2023. Für beide ging es in den vergangenen zwölf Monaten nur in eine Richtung: steil nach oben.
Von Chris Lugert
Sollte der letzte Spieltag vor der rund dreiwöchigen Weihnachtspause noch einmal eine Art Machtdemonstration werden, so ist diese sowohl Bayer Leverkusen als auch dem VfB Stuttgart perfekt gelungen.
Die Leverkusener fegten den VfL Bochum mit 4:0 (3:0) aus dem Stadion, die Stuttgarter hatten beim 3:0 (2:0) gegen den FC Augsburg ebenfalls kaum Probleme. Damit können beide Teams ein mehr als besinnliches Fest feiern.
Längst haben sie sich im Spitzenfeld der Bundesliga etabliert, kaum jemand hält die aktuellen Tabellenplätze (1 und 3) für Zufall oder gar Glück. Sie sind das Resultat einer außergewöhnlichen Entwicklung - mit einigen Parallelen, aber auch Unterschieden.
Wie konnten sich Leverkusen und Stuttgart in relativ kurzer Zeit zu den zwei derzeit wohl attraktivsten Klubs im deutschen Fußball entwickeln? Welche Stellschrauben wurden gedreht?
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Die Trainer: Xabi Alonso und Sebastian Hoeneß
Der offensichtlichste Faktor für den Aufschwung beider Teams ist auf der Trainerbank zu finden. Der frühere Weltklassespieler Xabi Alonso ist seit Oktober 2022 Coach der Leverkusener, Hoeneß übernahm die Stuttgarter im April dieses Jahres.
Durch den deutlich früheren Amtsantritt von Alonso und die internationalen Auftritte der Werkself hat Alonso bereits 62 Spiele auf der Leverkusener Trainerbank hinter sich und kommt auf einen herausragenden Punkteschnitt von 2,10.
Die Stichprobe bei Hoeneß und dem VfB ist mit 31 Partien genau halb so groß, der Punkteschnitt fällt beim Neffen von Uli Hoeneß aber identisch aus: 2,10. Zum Vergleich: Thomas Tuchel ist seit seinem Amtsantritt bei den Bayern im März 2023 nur unwesentlich besser (2,14).
Sowohl Hoeneß als auch Alonso verfolgen eine klare Spielidee, beide lieben die Offensive. Innerhalb weniger Monate haben sie es geschafft, ihren Mannschaften eine klare Identität zu vermitteln.
Besonders beim VfB ist die Wiederauferstehung unter Hoeneß eklatant. Als er kam, steckte Stuttgart tief im Abstiegsstrudel. Bereits in der Relegation gegen einen - und das ist weniger ein Schuss gegen den Hamburger SV als vielmehr ein Kompliment für die Schwaben - chancenlosen HSV waren nach nur wenigen Wochen die ersten Früchte seiner Arbeit erkennbar.
Was dann in der neuen Saison folgte, war atemberaubend. Und auch die Balance passt. Stuttgart stellt nach 16 Bundesliga-Spieltagen den drittbesten Angriff und die viertbeste Abwehr der Liga.
Die Leverkusener sind hier noch einen Tick besser. Die 46 geschossenen Tore werden nur vom FC Bayern (49) überboten, mit zwölf Gegentoren ist die Bayer-Truppe sogar das Bollwerk der Liga.
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Sowohl Alonso als auch Hoeneß verstehen es also trotz einer grundsätzlich offensiven Spielidee, eine gute Mischung aus Angriff und Abwehr zu finden. Beide Teams verteidigen kompakt und geschlossen.
Die Offensive: Stuttgarts Trio und Leverkusens Macht
Die Attraktivität der beiden Mannschaften hängt natürlich auch mit dem Personal auf dem Platz zusammen. Beide Teams verfügen über tolle Offensivreihen, mit allerdings sichtbaren Unterschieden.
Serhou Guirassy spielt beim VfB die Saison seines Lebens. 17 Tore in 14 Einsätzen sind absolut unglaublich und wären wohl die klare Nummer eins, wenn er nicht seit Sommer mit Harry Kane in einer Liga spielen müsste.
Verlassen kann sich Guirassy vor allem auf zwei weitere Topspieler um sich herum, die ihm auch etwas Last abnehmen: Deniz Undav und Chris Führich. Undav steht bereits bei zwölf Scorerpunkten (neun Tore, drei Vorlagen), Führich (5/5) bei zehn.
Dieses Trio trägt die Schwaben offensiv, umso schmerzhafter wird Guirassys Abwesenheit während des Afrika-Cups sein. Denn auch wenn Undav dann ins Sturmzentrum rückt, fehlt ein verlässlicher vierter Mann.
Diese Probleme hat Leverkusen nicht, denn Alonso kann noch einmal auf eine ganz andere Kaderbreite zurückgreifen. Zum Vergleich: Zwölf Leverkusener Spieler haben in der Hinrunde der Bundesliga bereits getroffen, bei Stuttgart sind es sechs.
Dadurch lässt sich auch verschmerzen, dass Victor Boniface nach furiosem Saisonstart etwas abgekühlt ist. Der Nigerianer steht bei zehn Saisontoren, also deutlich hinter Guirassy, aber hat dafür auch sieben Vorlagen (Guirassy hat eine).
Generell hat sich Alonso offensiv ein mehrköpfiges Monster geschaffen. Gleich fünf (!) Spieler haben in dieser Hinrunde in der Bundesliga bereits zwölf oder mehr Scorerpunkte gesammelt. Die Stuttgarter haben zwei mit eben Guirassy und Undav.
Aber, und das ist eindrucksvoll: Selbst die Bayern haben nur zwei Spieler in dieser Größenordnung. Harry Kane, der 21 Tore und drei Vorlagen hat, sowie Leroy Sane mit jeweils acht Toren und Vorlagen.
Bedeutet: Leverkusen ist die mit Abstand flexibelste Offensive der gesamten Liga, da auch Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo ohne Ende Scorerpunkte liefern.
Das verringert Abhängigkeiten von einzelnen Spielern. Die Rückkehr des lange verletzten Patrik Schick, der gegen Bochum einen lupenreinen Hattrick erzielte, ist hier noch gar nicht berücksichtigt.
Kommt der Tscheche so aus der kurzen Winterpause zurück, wie er hineingegangen ist, dürfte Leverkusen die Abstellung von Boniface zum Afrika-Cup nur wenig schmerzen. Es ist der wohl größte Unterschied zwischen Leverkusen und Stuttgart.
Die Defensive: Zwei Abwehrbosse und noch mehr
Defensiv eint Leverkusen und Stuttgart das Vorhandensein jeweils eines unumstrittenen Abwehrchefs. Bei der Werkself hat Jonathan Tah zu ganz alter Stärke zurückgefunden und ist einer der Hauptgründe für das rheinische Bollwerk.
Aufseiten der Stuttgarter ist Waldemar Anton eine der positiven Überraschungen der Hinserie, er glänzte quasi in jedem Spiel und hat sich längst durch seine Leistungen in den erweiterten Kreis der Nationalelf gespielt.
Beide tragen zudem dazu bei, ihre Nebenleute besser zu machen. Tah leitet Edmond Tapsoba und Odilon Kossounou wie ein Lehrer seine Schüler, bei Stuttgart spielt Dan-Axel Zagadou plötzlich so, wie es der BVB gerne ab und an gesehen hätte.
Der Franzose ist sogar einer der zweikampfstärksten Spieler der gesamten Liga. Von allen Akteuren mit mindestens zehn Einsätzen ist nur der Mainzer Sepp van den Berg in dieser Kategorie besser.
Doch es wäre zu kurz gedacht, einzig auf die Abwehrzentrale zu schauen. Sowohl Bayer als auch Stuttgart haben etwas, das Thomas Tuchel bei den Bayern gerne hätte: eine "Holding Six".
Granit Xhaka ist womöglich der wichtigste Neuzugang in dieser Leverkusener Mannschaft. Er sorgt für Aggressivität, Stabilität und in wenigen, aber entscheidenden Momenten auch für offensive Impulse.
Ähnliches gilt für Atakan Karazor bei den Stuttgartern. Im Verbund mit Angelo Stiller lassen beide den ehemaligen Kapitän Wataru Endo längst vergessen. Ja genau, da war ja was. Wer spricht jetzt noch über den Japaner?
Die Torhüter: Nübel und Hradecky ragen heraus
Zu jeder guten Defensive gehört auch immer ein guter Torhüter. Das gilt auch für Leverkusen und Stuttgart. Nun ist immer die Frage: Hält die Abwehr die Bälle vom Keeper weg? Oder rettet der Schlussmann seine Vorderleute?
Die Wahrheit in einer guten Defensive liegt immer irgendwo in der Mitte. Ein Torwart, der kaum etwas hält, ist für keine noch so gute Abwehr eine Hilfe. Gleichzeitig kann kein Torhüter jeden Ball halten, den eine löchrige Abwehr durchlässt.
Lukas Hradecky und Alexander Nübel spielen individuell jedenfalls auf einem hohen Niveau. Es dürfte kein Zufall sein, dass ausgerechnet diese beiden in Sachen gehaltene Bälle die Liga anführen.
Der Finne Hradecky steht bei einer sagenhaften Paradenquote von 80 Prozent, unter den Torhütern mit wenigstens zehn Einsätzen ist er damit die klare Nummer eins - gefolgt von Nübel, der 71,2 Prozent der Versuche auf seinen Kasten pariert hat.
Abwehrreihen, die selbst enorm stark spielen und dann auch noch auf einen starken Torhüter bauen können, sind ein guter Grundstock für jeden Verein.
Die Transferpolitik: (Fast) kein Flop auf beiden Seiten
Die Grundlage für jede gute Saison wird in der Transferphase im Sommer gelegt - zumindest ist das die Wunschvorstellung. In der Realität geht das aber gerne mal schief.
Auch die Stuttgarter haben in der Vergangenheit nicht nur Volltreffer gelandet, den vergangenen Transfersommer kann sich Sportdirektor Fabian Wohlgemuth aber genüsslich ans Revers heften.
Die chronisch klammen Schwaben mussten einen satten Überschuss erwirtschaften, verloren langjährige Leistungsträger wie Endo, Konstantinos Mavropanos und Borna Sosa - und stehen plötzlich besser da als zuvor.
Angelo Stiller war mit mehr als fünf Millionen Euro nicht billig, aber genau der Spieler, den Trainer Hoeneß wollte und den er schon lange kannte. Hier war ein Flop ohnehin unwahrscheinlich.
Die Leihe von Undav war ein absoluter Volltreffer, ebenso das Leihgeschäft mit den Bayern für Nübel. Günstige Transfers wie Maximilian Mittelstädt, der in Stuttgart endlich wieder aufblüht, runden das Ergebnis ab.
Über Leverkusen muss man da gar nicht viel sagen. Was Simon Rolfes dort macht, fordert gehörigen Respekt. Einen Boniface hätten auch andere Klubs für 20 Millionen Euro holen können. Aber offenbar wollte keiner, weil Leverkusen etwas gesehen hat, was anderen entgangen ist. Pech für die anderen, Glück für Bayer 04.
Über Granit Xhaka haben wir schon gesprochen, er könnte der vielleicht wichtigste Transfer gewesen sein, weil er etwas mitbringt, das dem Kader zuvor fehlte - neben der gewissen Grundaggressivität auch die spielerische Balance. Auch sein Problem mit Gelben und Roten Karten hat er gelöst: vier Gelbe in 23 Pflichtspielen sind völlig im Rahmen, ja sogar eher unterdurchschnittlich.
Jonas Hofmann ist ein elementarer Bestandteil der Offensive und bislang jeden Cent seiner zehn Millionen Euro Ablöse wert. Die ablösefreie (!) Verpflichtung von Alejandro Grimaldo ist sowieso der vielleicht größte Transferklau seit Jahren.
Ausgerechnet der teuerste Transfer des Sommers - Nathan Tella vom FC Southampton, der für über 23 Millionen Euro kam - war bislang das, was einem Flop am nächsten kommt.
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In der Bundesliga stand Tella nur einmal länger als zehn Minuten auf dem Platz: im ersten Saisonspiel gegen Darmstadt, da waren es 18 Minuten. Immerhin in der Europa League gehörte er immer zur Startelf, wenn auch ohne nachhaltigen Eindruck. Aber: Der Sprung von England nach Deutschland ist ohnehin kein einfacher und Tellas Positionen werden derzeit einfach mit Qualität besetzt, gegen die er nicht anzukommen scheint.
Aber wenn der Rest der Transfers so einschlägt, kann man sich einen Fehlgriff auch mal leisten. Und wer weiß, vielleicht startet Tella in der Rückrunde ja noch durch. In dieser Offensive und mit diesem Trainer ist alles denkbar..
Das Fazit: Die Gesamtpakete passen
Die Erfolgsgeschichten in Leverkusen und Stuttgart sind das Ergebnis herausragender Arbeit. Beide Klubs haben eine attraktive Lösung für den Trainerstuhl gefunden, was sich auf dem Spielfeld bemerkbar macht.
Sowohl Alonso als auch Hoeneß holen das Maximum aus ihrem Kader heraus, der von den Verantwortlichen beider Klubs im Sommer in Zusammenarbeit mit den Trainern perfekt zusammengestellt wurde.
Das Gesamtgebilde wirkt bei Leverkusen jedoch etwas sicherer, da sich die Last auf mehrere Schultern des Kaders verteilt. Stuttgart ist extrem abhängig von drei Spielern.
Und so spricht sehr viel dafür, dass Bayer auch in der Rückrunde ganz oben bleiben wird. Ob auch Stuttgart diese Position halten kann, wird davon abhängen, wie Guirassy den Afrika-Cup verkraftet - und ob er danach überhaupt noch VfB-Profi ist.
Allerdings haben die Stuttgarter den Vorteil, ihre Lösung auf der Trainerbank womöglich auf Jahre gefunden zu haben. Natürlich würde auch Leverkusen gerne lange, lange Zeit auf Alonso bauen. Doch der Wechsel zu Real Madrid oder einem anderen europäischen Spitzenklub scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.
Fans beider Klubs sollten den Moment daher genießen. Wie nachhaltig dieser Erfolg mit Blick auf die kommenden Jahre ist, muss sich zeigen.