Bundesliga-Spiel gegen Gladbach gedreht
FC Bayern: Keine Holding Six? Thomas Tuchel antwortet auf der Taktiktafel
- Aktualisiert: 04.09.2023
- 11:56 Uhr
- Justin Kraft
Der FC Bayern München tut sich gegen Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga lange schwer. Doch dann findet Thomas Tuchel eine taktische Antwort auf jene Probleme, die eigentlich eine neue "Holding Six" lösen sollte.
Den Angstgegner nach Rückstand geschlagen, den dritten Sieg im dritten Spiel eingefahren und – Zitat Thomas Tuchel – "wahrscheinlich unsere beste Halbzeit diese Saison" gespielt. Mehr geht derzeit für den FC Bayern München wohl kaum. Und doch drehen sich die Debatten nach dem Spiel immer noch um den chaotischen Deadline Day.
Joao Palhinha sollte vom FC Fulham kommen, um den Rekordmeister im Mittelfeld entscheidend zu stärken. Tuchel sei "sehr traurig" gewesen, "weil ich wusste, wie gern der Spieler zu uns wollte und ich weiß, was er uns gegeben hätte". Die Idee, die der Bayern-Trainer seit Wochen erklärt hatte und nun wieder: "Wir hätten unseren drei Mittelfeldspielern gerne jemanden ins Kreuz gestellt, der ihnen hilft, das kreative Potenzial zu entfalten".
Wie dringend notwendig das ist, zeigte die erste Halbzeit gegen Borussia Mönchengladbach. 66 Prozent Ballbesitz, neun Abschlüsse, aber kaum Substanz – denn viele gute Chancen gab es nicht.
Wenig Durchschlagskraft im Spiel nach vorn, viele Ballverluste und fehlende Dynamik – vor allem aus dem zentralen Mittelfeld kam in den ersten 45 Minuten zu wenig. Auch weil vorn die Tiefe durch Anspielstationen fehlte. Bezeichnend dafür ein Dribbling von Joshua Kimmich über gut 15 Meter, das in einem Ballverlust endete, weil er keinen Mitspieler fand.
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Im zweiten Durchgang änderte sich das Bild komplett. 16:3 Abschlüsse, 2:0 Großchancen und knapp zwei zu 0,05 Expected Goals – Bayern spielte druckvoll, schnell und dominant. Auch weil Tuchel taktisch anpasste und die Doppelsechs auflöste. Ein Konzept, das in Zukunft funktionieren kann – und schon mal funktionierte: 2-3-5 statt "Holding Six".
FC Bayern München: Die Außenverteidiger als Teil der Mittelfeldlösung?
Was es damit auf sich hat? In der zweiten Halbzeit schob Tuchel zunächst Leon Goretzka nach vorn in die Offensivreihe, während Kimmich allein auf der Sechserposition spielte – zumindest nominell. Denn realtaktisch wurde der 28-Jährige von Alphonso Davies und Konrad Laimer unterstützt.
Laimer kam zur Pause für den gelb-rot-gefährdeten Noussair Mazraoui als Rechtsverteidiger. Der Österreicher und Davies agierten im Spielaufbau etwas eingerückt, wodurch Kimmich eben nicht allein war, sondern rechts und links Unterstützung bekam. Vor den beiden Innenverteidigern agierten also faktisch drei weitere Spieler. Dadurch standen die Bayern im Zentrum viel kompakter als im ersten Durchgang.
Da war es ein großes Problem, dass der Ball zu früh auf die Flügel gespielt wurde und Gladbach bequem verschieben konnte. In der zweiten Halbzeit initiierten die Münchner ihre Angriffe häufiger durchs Zentrum, wodurch Räume auf den Außenbahnen entstanden, die vor allem Leroy Sané ausnutzen konnte.
Ein weiterer Vorteil: Bei Ballverlusten standen die Bayern sofort kompakt und kamen deshalb schnell ins Gegenpressing. Gladbachs einzige Option war es, den Ball unkontrolliert nach außen zu spielen. Entlastung gab es für die Fohlen nicht mehr, die Münchner Dominanz wurde immer größer.
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FC Bayern München: Power von der Bank
Schon unter Julian Nagelsmann hatte der Rekordmeister in der vergangenen Saison eine starke Phase im 2-3-5. Auch weil fünf Spieler in der letzten Linie dafür sorgen, dass der Gegner nur schwer doppeln kann, sich teilweise sogar in Unterzahl befindet, wenn die Bayern es schnell spielen.
Gladbach verlor den Zugriff, weil die Zuordnung komplizierter wurde. Serge Gnabry, Eric Maxim Choupo-Moting und Mathys Tel belebten das Offensivspiel zusätzlich von der Bank kommend. Tuchel legt großen Wert auf Kontrolle. Seine Vorgänger standen für pure Offensivpower und gnadenloses Gegenpressing. Dahin zurückkehren sollte der jetzige Bayern-Trainer nicht.
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Aber er dürfte im zweiten Durchgang gesehen haben, dass es sich lohnen kann, die Handbremse etwas zu lösen. Kimmich die beiden Außenverteidiger an die Seite zu stellen und die Doppelsechs aufzulösen, könnte sich auch in vielen anderen Bundesliga-Spielen lohnen, in denen die Bayern einen tiefen Defensivblock bespielen müssen.
FC Bayern München: Thomas Tuchel muss sich mehr zutrauen
Jan-Christian Dreesen forderte "Kreativität" von Tuchel. Der wiederum sprach von einer "Herausforderung" mit diesem Kader, weil wenige Verletzungen in Mittelfeld und Abwehr bereits zu Notlösungen führen könnten. Tuchel, der in seinen ersten Monaten vor allem taktisch eher durch Zurückhaltung auffiel, könnte aus dieser Not aber eine Tugend machen – indem er sich mehr zutraut als bisher.
In Gladbach war jedenfalls wieder der Trainer zu sehen, der einst mit Pep Guardiola Pfeffer- und Salzstreuer über den Tisch eines Restaurants schob wie auf einem Schachbrett. Seine taktischen Anpassungen in der Halbzeit saßen ebenso wie seine personellen Wechsel. Gewonnen haben die Spieler auf dem Platz. Doch Tuchel brachte sie auf den richtigen Weg.
Ein Weg, der vielleicht auch in den kommenden Wochen dabei helfen kann, die Trauer über den geplatzten Palhinha-Deal zu überwinden. Zumindest spricht die "wahrscheinlich beste Halbzeit dieser Saison" dafür, das 2-3-5 nicht wieder in der Taktikschublade verschwinden zu lassen.