Neuzugang im Portrait
FC Bayern: Von portugiesischen Wurzeln bis zum FCB! Was Eric Dier auszeichnet
- Veröffentlicht: 12.01.2024
- 08:47 Uhr
- Justin Kraft
Eric Dier hat sich dem FC Bayern München angeschlossen. Euphorie hat der Transfer im Umfeld des FCB bisher nicht ausgelöst. Über einen 29-Jährigen, der eine bewegte Vergangenheit hat, und beim Rekordmeister nochmal neu angreifen möchte.
Erwartungen und Realität. Zwei Ebenen, die im Fußball wie auch im Leben nicht immer zueinander finden. Beim FC Bayern München hat der Transfer von Eric Dier mal wieder aufgezeigt, dass beides auch mal weit auseinander gehen kann.
Immer wieder betonten die Verantwortlichen des Rekordmeisters, dass sie Spieler holen wollen, die das Team sofort weiterbringen können, die also die Qualität haben, auf Anhieb eine Verstärkung zu sein. Kann Dier das?
"Ich habe meine Zweifel, ob er ihnen weiterhilft", sagt Dietmar Hamann im Interview mit ran: "Er hat in den letzten sechs Monaten kaum gespielt. Er hatte vor vier, fünf Jahren mal eine richtig gute Phase, auch in der Nationalmannschaft. Aber das ist nun schon eine Zeit lang her."
Es würde in seinem Alter Wochen dauern, um wieder den Rhythmus zu finden. "Ob Eric Dier dem FC Bayern kurzfristig oder überhaupt in dieser Saison hilft, wage ich zu bezweifeln", erklärt der einstige Profi. Hamann, an der Säbener Straße mittlerweile als Chefkritiker bekannt, hat damit einen Punkt: Dier ist nicht der Spieler, den die Fans und das Umfeld beim FC Bayern erwartet haben.
Das Wichtigste zum FC Bayern in Kürze
Doch was denkt sich der FC Bayern dabei, jemanden zu holen, der bei Tottenham kaum noch zum Zug kam?
FC Bayern: Was sich Tuchel von Eric Dier erhofft
Thomas Tuchel zeigte auf der Pressekonferenz am Donnerstag durchaus Vorfreude auf den Transfer. "Er ist Spezialist in der Innenverteidigung", kündigte der Bayern-Coach an: "Er hat auch als Nummer sechs in der Premier League gespielt, aber wir holen ihn für die Innenverteidigerposition. Er kann sowohl rechter oder linker Innenverteidiger als auch in der Dreierkette spielen. Was die anderen Positionen angeht, werden wir sehen."
Es gelang ihm damit, in nur wenigen Sätzen zu umreißen, warum man überhaupt Interesse an Dier hatte. Die Bayern waren auf der Suche nach Polyvalenz, also nach einem Spieler, der mehrere Defensivbaustellen gleichzeitig schließen kann. Auf der Suche nach einem solchen Spieler treffen innerhalb eines Fußballklubs verschiedene Interessen aufeinander.
Während der Trainer jemanden bevorzugt, der sportlich sofort weiterhilft, muss der sportliche Leiter beispielsweise die wirtschaftlichen Interessen und Vorgaben aus der Führungsetage berücksichtigen. Dier kostet nicht viel, kann viele Positionen spielen und stellt somit kein großes Risiko dar. Geht der Wechsel nicht auf, spielt er nicht. Wie Daley Blind oder Alvaro Odriozola in der jüngeren Vergangenheit.
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Dass Tuchel diesen Kompromiss eingeht, zeigt jedoch, dass es durchaus Vertrauen an der Säbener Straße gibt. Vertrauen darin, dass Dier überraschen und die niedrigen Erwartungshaltungen an ihn locker überspringen kann. Dass er die Soforthilfe sein kann, die es vor allem jetzt im Frühjahr dank der Abstellungen von Noussair Mazraoui zum Afrika-Cup und Min-Jae Kim zum Asien-Cup braucht.
Eric Dier: Die Rückkehr nach Portugal
Dier wird am kommenden Montag 30. Seinen Geburtstag wird er ausgerechnet in Portugal verbringen, wo der FC Bayern ein Kurztrainingslager abhält. Ausgerechnet, weil Dier eine Zeit lang dort lebte. In jungen Jahren verließ er die Insel, weil seine Mutter vor und während der Europameisterschaft 2004 in Portugal arbeitete. Eine Luftveränderung, die auch seine Karriere als Fußballer vorantreiben sollte.
Denn in der Schule fiel seinem Turnlehrer sein fußballerisches Talent auf. Da er Kontakte zu einigen Scouts von Sporting pflegte, war der Weg zu einem der größten portugiesischen Klubs geebnet. Dier verbrachte rund acht Jahre in der Jugendakademie in Lissabon.
Seine Eltern zogen 2010 zurück nach England, Dier unterschrieb mit 16 seinen ersten Profivertrag – obwohl zahlreiche Top-Klubs von der Insel Interesse anmeldeten. Darunter auch sein Lieblingsverein: Manchester United. Dier erklärte später häufig und ausführlich, dass ihm die Mentalität in Portugal gefiel.
"Ein guter Spieler ist in Portugal jemand, der versteht, wenn er einen Fehler gemacht hat und diesen selbst korrigiert", sagte er einst dem "Guardian": "In England dagegen werden die Spieler angebrüllt, wenn sie etwas falsch machen." Der sensiblere Umgang kam ihm entgegen, seine schnelle Weiterentwicklung – sowohl fußballerisch als auch charakterlich – war bemerkenswert.
"Holt mich hier raus": Eric Dier erlebte Kulturschock in England
2011 schloss er sich dem FC Everton per Leihe an. "Ich dachte nur: 'Holt mich hier raus'", beschrieb er seine ersten Monate. Wetter, Liverpooler Akzent, der aggressivere Fußball – für Dier war es zunächst ein Kulturschock. Doch er biss sich durch, war in Evertons U21 Stammspieler.
Über die baldige Rückkehr nach Portugal war der talentierte Defensivmann dennoch froh. Es folgten wechselhafte Jahre, in denen er bei Sporting immer wieder um seinen Platz kämpfen musste, diesen Kampf aber annahm und oft genug gewann. Jahre, in denen Dier seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellte.
2014 folgte auch der Schritt zurück nach England und damit raus aus seiner Komfortzone: Mauricio Pochettino überzeugte ihn von einem Wechsel zu Tottenham. Unter ihm spielte er verschiedene Positionen – auf denen er jeweils mit Konstanz, Einsatz und Lernbereitschaft zu überzeugen wusste.
Dier war schon damals nicht der Typ Spieler, der mit spektakulären Highlights auf sich aufmerksam macht. Dafür wurde er für seine unaufgeregte und souveräne Spielweise geschätzt. Bis zur aktuellen Saison war der mittlerweile 49-fache Nationalspieler bei Tottenham meist gesetzt, funktionierte auf solidem Niveau wie ein Uhrwerk. Dann folgte der große Bruch.
Unter Ange Postecoglou kam Dier nur auf vier Einsätze, nicht mal 200 Minuten. Angesprochen darauf, ob er auf seinen Innenverteidiger verzichten könne, antwortete der Trainer knapp mit "Ja". Das Verhältnis, es scheint nicht gut gewesen zu sein.
Was bringt Eric Dier dem FC Bayern?
Schaut man sich die Vergangenheit genauer an, dann wird deutlich, dass Dier ein Spieler ist, der Vertrauen braucht. Einer, der durchaus sensibel sein kann, wenn es um Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen geht. Bei aller Kritik an seiner bisherigen Saison sollte dieser Faktor ebenfalls betrachtet werden.
Ebenso wie die Tatsache, dass Dier schon häufiger mit sportlichen Rückschlägen zu kämpfen hatte. Immer wieder gelang es ihm, sich zurückzuarbeiten. In München wird er diesen Anlauf wieder wagen. Dann offenbar in einem Umfeld, das ihm zu vertrauen scheint – und in dem mit Harry Kane ein alter Bekannter als Stütze bei diesem Vorhaben helfen kann.
Wenn es also um die Kluft zwischen Erwartungshaltung und Realität geht, dann ist diese vielleicht sogar geringer, als es derzeit scheint. Ist der Engländer der Typ Spieler, der den Bayern sofort 1.500 Minuten in der Rückrunde auf hohem Niveau garantiert? Wahrscheinlich nicht. Das erwartet in der sportlichen Leitung wohl auch niemand. Aber er stockt die viel zu dünn besetzte Defensive mit Erfahrung, Disziplin und hoher Arbeitsbereitschaft auf. Das kann viel wert sein. Zumal Dier nicht der letzte Wintertransfer sein soll.