Besser als in der Vorsaison?
FC Bayern München: Neue Mentalität? Die Probleme des FCB sitzen tiefer
- Veröffentlicht: 04.10.2023
- 20:57 Uhr
- Stefan Kumberger
Der FC Bayern München hat in Bundesliga, Pokal und Champions League noch kein Spiel verloren. Sven Ulreich spricht von Verbesserungen. Doch wie gut ist das Team von Thomas Tuchel wirklich?
Von Justin Kraft und Stefan Kumberger
Es passiert nicht oft, dass ausgerechnet beim FC Bayern München die Mentalitätsfrage fällt.
Doch in der vergangenen Saison blieb angesichts der Auftritte des Rekordmeisters fast nichts anderes mehr übrig. Denn während sowohl Julian Nagelsmann als auch Nachfolger Thomas Tuchel nach Erklärungen suchten, lieferte die Mannschaft immer mehr Fragen, die niemand beantworten konnte.
Kontrollverluste, fehlende Energie, individuelle Fehler, immer wieder dieselben Gegentore – der FCB war ein Schatten seiner selbst. Und in dieser Saison? Zumindest die Ergebnisse stimmen. Anlass für Sven Ulreich, genau das hervorzuheben – und die eine oder andere Nuance zu ergänzen.
Auf Nachfrage von ran erklärte der Torhüter nach dem 2:1-Sieg in Kopenhagen: "Letztes Jahr hätten wir verloren. Wir wären kopflos nach vorne gerannt."
Ein Nachtreten in Richtung Nagelsmann?
Tatsächlich gab es einige Spiele, in denen die Münchner unter ihrem Ex-Trainer Probleme mit Rückständen hatten oder auch ganz unabhängig davon ungeduldig wurden, wenn das Spiel nicht mehr nach Plan lief.
Das Wichtigste in Kürze zum FC Bayern München
Jetzt ist also alles anders – zumindest laut Ulreich. Aber ist das wirklich so? Oder reden sich die Bayern ihren Ergebnislauf hier ein wenig zu schön? ran macht den Check.
FC Bayern München: Müller mit Kritik
Anders als Ulreich sehen einige Teamkollegen die Leistungen etwas kritischer. Thomas Müller beispielsweise, der in Kopenhagen zwar von einem "guten Saisonstart" sprach, "aber jetzt keinen, wo wir Europa ins Schwärmen versetzen". Das müsse zum jetzigen Zeitpunkt auch noch gar nicht sein. "Wir müssen unsere Spiele gewinnen", stellte der Weltmeister von 2014 klar: "Wir wollen eine Entwicklung sehen. Dass wir Dinge, die der Trainer von uns erwartet, noch kontinuierlicher und noch besser durchspielen."
Worum es dabei im Detail geht, könne dieser besser erklären. Doch auch Tuchel zeigte sich in den letzten Wochen und Monaten eher ratlos über die Schwankungen in den Leistungen seiner Spieler. Auch in Kopenhagen, so ehrlich muss man bei den Bayern sein, wäre es fast noch zum späten Ausgleich gekommen. Ulreich parierte in letzter Sekunde stark, kurz zuvor kam der Gegner zwei-, dreimal gefährlich vor das Tor der Münchner.
Und so bleibt selbst dem sonst so analytischen Tuchel nicht viel mehr übrig, als sich auf die Ergebnisse zu berufen. "Wir werden die Fähigkeit, Spiele zu drehen, in dieser Saison noch brauchen", erklärte er auf der Pressekonferenz. Einerseits eine logische Schlussfolgerung, da sich Rückstände über eine Saison hinweg nicht gänzlich vermeiden lassen. Andererseits aber auch ein bemerkenswerter Ansatz, der unterstreicht, dass die einstige Dominanz des Rekordmeisters der Vergangenheit angehört.
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Thomas Tuchel tut sich schwer beim FC Bayern
Dabei wurde Tuchel exakt dafür geholt: Die wilden Momente im eigenen Spiel zu reduzieren und stattdessen zu einem kontrollierten sowie dominanten Fußball zurückzukehren, der den Rekordmeister einst auch in Europa so stark machte. Mehr Ruhe im Ballvortrag, mehr Sicherheit und Stabilität in der Arbeit gegen den Ball, weniger Gegentore und trotzdem stets große Gefahr vorm gegnerischen Tor – aktuell ist das lediglich eine Wunschvorstellung.
"Vielleicht hätten wir ein bisschen mehr in Richtung Strafraum spielen können, mit mehr Flanken, mit mehr Risiko-Hereingaben", analysierte Müller die chancenarme erste Halbzeit: "Aber wir wollten den Gegner auch ein bisschen müde spielen. Mit einem guten Passspiel, auch mit schnellen Verlagerungen, aber das ist das auf dem Reißbrett." Tuchel und sein Team sind nicht die ersten Trainer, die sich an diesem FC Bayern die Zähne ausbeißen. Verschiedene Ansätze scheinen bisher nur bedingt zu funktionieren.
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Ein Indiz dafür, dass es darüber hinaus irgendwo nicht stimmt. Ist es die Qualität der Spieler? Dagegen spricht, dass die Probleme auf nahezu allen Niveaus auftreten. Außerdem gibt es immer wieder Phasen, in denen die Bayern zu begeistern wissen. Vielmehr scheint die Zusammensetzung des Kaders ein Problem zu sein – also die Spielertypen.
Müller brachte es am Dienstag auf den Punkt: "Insgesamt müssen wir besser unsere Sechser finden." Doch die zu finden, ist nicht leicht. Konrad Laimer sammelte gegen Kopenhagen in 76 Minuten nur 34 Ballkontakte. Drei weniger als Ulreich über 90. Joshua Kimmich kam auf 75. Auch mit Leon Goretzka sieht es oft nicht besser aus. Er und Laimer sind keine besonders guten Spielgestalter, orientieren sich im Freilaufverhalten lieber nach vorn, um dort ihre Stärken ausspielen zu können. Deshalb fällt der Großteil des Ballvortrags auf Kimmich zurück.
FC Bayern München: Joshua Kimmich im Fokus der Kritik
Es ist kein neues Problem. Schon Anfang des Jahres beklagte sich der 28-Jährige öffentlich darüber, dass er häufiger in Manndeckung genommen wird. Eine richtige Lösung haben die Bayern bis heute nicht gefunden. Hier und da gibt es Kritik daran, dass Kimmich zu viel wolle, auch Tuchel ließ mehrfach durchblicken, dass der Mittelfeldspieler gern alles auf dem Platz machen würde.
Das muss er allerdings auch. Nicht, weil Laimer und Goretzka das grundsätzliche Niveau für Bayern nicht hätten, sondern weil sie nicht zum Anspruch der Spielkontrolle passen. Sie sind Sinnbild einer Kaderplanung, die seit Jahren darauf ausgelegt war und ist, Spieler mit athletischen Vorteilen zu verpflichten. Physis, Laufstärke, Qualitäten im Pressing – all das war wichtiger als Spielgestaltung oder Positionsspiel.
Tuchel muss deshalb zwangsläufig Kompromisse eingehen, Spieler außerhalb ihrer besten Rollen einsetzen oder taktische Schwächen in Kauf nehmen. Es war sicher kein Zufall, dass der Trainer zum Saisonstart recht deutlich darauf verwies, dass er mit dem Kader unzufrieden ist.
FC Bayern München: Neue Mentalität?
Doch die Sechserposition ist nicht das einzige Problem. Auch in der Innenverteidigung werden die Sorgen immer größer. Denn neben der Dezimierung durch Verletzungen fehlt es vor allem an Mut und Konstanz im Spielaufbau. Dayot Upamecano und Min-jae Kim sind zwar darum bemüht, immer mal wieder Risiken einzugehen und das Spiel progressiv zu eröffnen, aber ihnen gelingt es nicht auf dem Niveau, das Tuchel für sein System braucht.
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Ballverluste führen nicht nur zu Chancen für den Gegner, sondern auch dazu, dass man das Risiko folglich minimiert. Bayerns Spiel ist dementsprechend sehr berechenbar. Gegen Kopenhagen war das besonders auffällig. Ständig eröffnete man das Spiel auf die Außenbahnen und hoffte darauf, dass vor allem Alphonso Davies mit seinen Dribblings eine Idee hat.
Der Kanadier (94) und Noussair Mazraoui auf der anderen Seite (82) hatten die meisten Ballkontakte nach Upamecano (124) und Kim (113). Tuchel weiß darum, dass er diese Statik aufbrechen muss. Doch bisher fällt ihm kein passender Ansatz ein. Er wäre nicht der erste Top-Trainer, dem das nicht gelingt.
Ulreich hat einen Punkt, wenn er das Spiel der Bayern als kontrollierter beschreibt. Allerdings nur in Ansätzen. Lediglich gegen Werder Bremen, Bochum und Münster gelang es dem Rekordmeister in dieser Saison, zu null zu spielen. Sonst wackelte die Defensive mitunter bedenklich. Offensiv hingegen hat man viel von der Dynamik eingebüßt, die mal vorhanden war.
Vieles davon lässt sich auf die fehlende Abstimmung in der Schaltzentrale zurückführen. Und die Frage danach, ob Tuchel das in den Griff bekommen wird, ist eine dieser vielen Fragen beim FC Bayern, die niemand seriös beantworten kann. Es geht dabei längst nicht mehr nur um Mentalität.
Immerhin die Ergebnisse sorgen an der Säbener Straße für etwas Ruhe – und dafür, dass die Mentalitätsfrage für den Moment abgetan werden kann.