Thomas Tuchel beim FC Bayern München: Offenbarungseid und Harakiri-Taktik - ein Kommentar
Bayern-Trainer Thomas Tuchel hätte die anhaltende Kritik an seiner Arbeit in Leverkusen zum Verstummen bringen können. Nach seinen befremdlichen Maßnahmen ist aber das Gegenteil der Fall. Nicht mal Siege helfen ihm jetzt noch weiter. Ein Kommentar.
Eine Stunde lang war Thomas Tuchel mit der Leistung seiner Mannschaft offenbar so zufrieden, dass er keinen Grund für einen Wechsel sah.
Nicht nur Lothar Matthäus sah das völlig anders, der Rekordnationalspieler empfahl nachvollziehbarerweise schon in der Pause alle fünf möglichen Wechsel beim FC Bayern durchzuziehen.
Zumal die Münchner Vorstellung auch danach beim Bundesliga-Spitzenspiel in Leverkusen ein einziges Desaster war, der Rekordmeister war dem "ewigen Zweiten" in allen Belangen unterlegen und verlor völlig verdient mit 0:3.
Nur Tuchel hatte anscheinend ein anderes Spiel gesehen. Er verwies darauf, dass der Werksklub, der unter anderem noch zwei Aluminium-Treffer verzeichnete, nur eine Expected-Goals-Rate von 1,0 hatte.
Und dass seine Mannschaft nur leider bei den Gegentoren geschlafen habe.
Noch befremdlicher als Tuchels Aussagen nach dem Spiel waren allerdings die Maßnahmen des Cheftrainers vor und während der Begegnung.
Völlig unerwartet änderte er Taktik und Aufstellung gravierend und stellte zulasten der Offensive von Vierer- auf Dreier- bzw. Fünferkette um, in der Neuzugang Sacha Boey erstmals in seiner Karriere plötzlich links auflief – und dort völlig überfordert war.
Er war aber nicht der einzige Totalausfall, im Gegenteil.
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Wink mit dem Zaunpfahl an de Ligt
Und währenddessen mussten die erfahrenen Joshua Kimmich und Thomas Müller 60 Minuten zuschauen, der nominelle Linksverteidiger Raphael Guerreiro sogar 81 Minuten und der zuletzt überzeugende Matthijs de Ligt blieb komplett draußen. Es war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl an den Niederländer, dem alle anderen drei Innenverteidiger vorgezogen wurden.
Diese Unzufriedenheit seiner Routiniers hätte Tuchel relativ egal sein können, wenn seine Experimente erfolgreich gewesen wären. Doch sämtliche Maßnahmen, die manche an frühere Harakiri-Aufstellungen von Pep Guardiola in wichtigen Spielen erinnerten, gingen genau wie bei diesem daneben.
Trotz dieses Offenbarungseids wollte Tuchel nichts davon wissen, dass er das Spiel vercoacht habe – obwohl das im Duell mit Bayer-Mastermind Xabi Alonso offensichtlich war. Stattdessen sagte der FCB-Coach: "Ich würde es wieder so machen."
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Wie lange darf Tuchel noch weitermachen?
Womit man bei der Frage ist, wie lange die Bayern-Bosse den Trainer noch machen lassen werden. Nicht wenige sehen angesichts von nunmehr fünf Punkten Rückstand auf die euphorisierten Leverkusener frappierende Parallelen zum Vorjahr, als Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann nach einem 1:2 in Leverkusen entlassen worden war – bei nur einem Zähler Rückstand auf Platz eins.
So schnell wird es vermutlich diesmal nicht gehen, die neue Vereinsführung möchte den damaligen Aktionismus der Ex-Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic unbedingt vermeiden.
Gleichwohl wird ein erneuter Trainerwechsel spätestens nach der Saison immer realistischer, wenn die Münchner tatsächlich erstmals seit zwölf Jahren nicht Meister werden sollten.
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Einzelkritik: Bayer Leverkusen meisterlich, FC Bayern München unterirdisch
Bayer Leverkusen und der FC Bayern München in der Einzelkritik Im mit Spannung erwarteten Spitzenspiel wirkt der FC Bayern München in Leverkusen über die volle Distanz ideenlos. Das Team von Xabi Alonso ist hingegen perfekt eingestellt und spielt beim 3:0 wie ein potenzieller Meister. ran hat sich beide Teams in der Einzelkritik angeschaut.
Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) Eine sehr souveräne Leistung des DFB-Innenverteidigers. Hat offensiv wie defensiv die Lufthoheit. Ist in der 67. Minute gegen Sane zur Stelle. Lässt keine nennenswerte Bayern-Chance zu. ran-Note: 2
Edmond Tapsoba (Bayer Leverkusen) Liefert wie Nebenmann Tah ein souveränes Spiel gegen ideenlose Münchner ab. Zu Beginn noch häufiger mit Befreiungsschlägen, findet er ab der 15. Minute komplett ins Spiel und lässt Kane alt aussehen. ran-Note: 2
Piero Hincapie (Bayer Leverkusen) Hat seine Seite weitestgehend unter Kontrolle. Schaltet sich immer wieder gefährlich ins Offensivspiel ein, wie bei seiner starken Diagonalvorlage auf Tella in der 23. Minute. Spielt auch in Hälfte zwei souverän auf seiner Seite. ran-Note: 2
Josip Stanisic (Bayer Leverkusen) Lässt auf seiner Seite wenig anbrennen. Lauert stark bei seinem Treffer zum 1:0 und entscheidet sich im Anschluss dazu, gegen seinen Ex-Klub nicht zu jubeln. Tritt auch in Halbzeit zwei souverän am Ball auf. Bedient nach einem starken Solo Frimpong kurz vor dem Ende in bester Position. ran-Note: 1
Granit Xhaka (Bayer Leverkusen) Physisch stark und gewohnt ballsicher. Gewinnt viele Bälle und setzt immer wieder gefährliche Akzente im Spielaufbau, wie bei seinem starken Außenristpass auf Adli kurz vor der Halbzeit. Schaltet Bayerns-Zentrum nahezu komplett aus. ran-Note: 2
Robert Andrich (Bayer Leverkusen) Steht seinem Nebenmann in nichts nach. Körperlich häufig an der Grenze, aber mit wichtigen Aktionen. Bedient Stanisic mit seiner flachen Hereingabe zum 1:0 in der 18. Minute. ran-Note: 2
Alejandro Grimaldo (Bayer Leverkusen) ist wieder viel unterwegs. Offensiv wie defensiv stark. Kombiniert sich mit Tella in der 50. Minute stark durch und bleibt dann vor Neuer eiskalt. Lässt Boeys Debüt zum Albtraum werden. ran-Note: 2
Amine Adli (Bayer Leverkusen) Offensiv häufiger etwas unglücklich. Kann Upamecanos Fehler in der 42. Minute nicht ausnutzen. In Halbzeit zwei mit weniger Aktionen nach vorne aber gutem Defensivverhalten. Verlässt nach 82 Minuten für Hofmann den Platz. ran-Note: 3
Nathan Tella (Bayer Leverkusen) Offensiv immer wieder mit Akzenten und Torschüssen. Bei seinen Abschlüssen fehlt das Glück. Setzt Grimaldo vor dem 2:0 überragend in Szene. Macht nach 65 Minuten Platz für Jeremie Frimpong. ran-Note: 2
Florian Wirtz (Bayer Leverkusen) Der Kommandogeber des offensiven Trios um Amine Adli und Nathan Tella. Spult viele Kilometer ab, läuft häufig klug an und erzwingt dadurch einige Ballgewinne. Sein schneller Einwurf in der 18. Minute führt zum 1:0. Hat es in Halbzeit zwei, auch dem Spielstand geschuldet, mit Offensiv-Aktionen schwerer. ran-Note: 3
Jeremie Frimpong (Bayer Leverkusen) Kommt in der 65. Minute für Nathan Tella ins Spiel. Erarbeitet sich wenig später gegen Min-jae seine erste Torchance. Trifft nach 88 Minuten nur den Pfosten. Schließt in den Schlusssekunden einen Konter aufs leere Tor perfekt ab. ran-Note: 2
Manuel Neuer (FC Bayern) Der Kapitän ist trotz seiner Kniebeschwerden unter der Woche rechtzeitig zum Topspiel einsatzbereit. Rettet gegen den freistehenden Adli, ist bei Stanisics Schuss kurz danach aber ebenso chancenlos (18.) wie bei Grimaldos Tor zum 0:2 (50.). Gegen Tella (22.), Tah (23.) und Adli (37.) zur Stelle, aber Glück bei Grimaldos Ecke ans Kreuzeck, wo er wohl zu spät gekommen wäre (63.), und bei Frimpongs Pfostentreffer (88.). Zudem für seine Verhältnisse ungewohnt viele Fehlpässe und unnötig weit draußen vor Frimpongs 0:3 (90.). ran-Note: 4
Dayot Upamecano (FC Bayern) Der Franzose verdrängt de Ligt aus der Startelf und gibt sein Comeback auf der ungewohnten rechten Seite der Dreierkette. Fremdelt merklich mit der ungewohnten Rolle und wird bei der Vorlage zum 0:1 von Andrich "getunnelt". Rettet aber kurz vor der Pause gegen den frei auf Neuer zulaufenden Adli (42.). Nach 60 Minuten gegen Müller ausgewechselt. ran-Note: 4
Eric Dier (FC Bayern) Der Neuzugang, eigentlich als Nummer vier in der Innenverteidigung geholt, steht zum dritten Mal in Folge in der Startelf. Agiert zentral beinahe als Ausputzer, seine langen Schläge kommen aber selten an. Zusammen mit Kim zu spät beim 0:2. Kann der Defensive insgesamt keine Stabilität geben. ran-Note: 5
Minjae Kim (FC Bayern) Der Südkoreaner agiert etwas links in der Dreierkette. Wirkt kurz nach seiner Rückkehr vom Asien-Cup nicht richtig wach, zumal Tella über seine Seite viel Druck macht. Schläft gemeinsam mit Dier beim 0:2, als Grimaldo im Rücken entwischt. Auch danach oft einen Schritt zu spät. ran-Note: 5
Sacha Boey (FC Bayern) Der Neuzugang wird von Thomas Tuchel völlig überraschend auf der linken Seite aufgestellt, wo er bei Galatasaray nie gespielt hat. Wirkt entsprechend sowohl offensiv als auch defensiv überfordert und übersieht Stanisic vor dessen 0:1 komplett. Geht nach der Umstellung auf Viererkette (60.) auf die rechte Abwehrseite und ist dort deutlich besser aufgehoben. Wird nach 81 Minuten erlöst. ran-Note: 5
Noussair Mazraoui (FC Bayern) Der Marokkaner spielt diesmal rechts etwas offensiver und hat ein paar gute Aktionen nach vorne, etwa seinen Schuss in die Arme von Hradecky (26.). Lässt sich bei Ballverlust zurückfallen, bekommt aber auch keinen Zugriff auf die Bayer-Offensive. Geht nach Upamecanos links hinten in die Viererkette. ran-Note: 4
Aleksandar Pavlovic (FC Bayern) Der Youngster erhält nach seinen zuletzt starken Vorstellungen den Vorzug vor dem offenbar noch nicht komplett wiederhergestellten Kimmich im defensiven Mittelfeld. Kommt bei den schnellen Leverkusener Gegenstößen aber teilweise ordentlich ins Schwimmen und muss insgesamt Lehrgeld zahlen. Geht nach einer Stunde für Kimmich vom Platz. ran-Note: 5
Leon Goretzka (FC Bayern) Der Nationalspieler ist merklich bemüht, aber die gefährlichen Leverkusener Gegenstöße kann auch er nicht verhindern. Kriegt alles in allem bis zu seiner – bezeichnenden – Auswechslung in der 71. Minute keine Ordnung ins Bayern-Spiel. Gewinnt nur 50 Prozent seiner Zweikämpfe. Zu wenig. ran-Note: 5
Leroy Sane (FC Bayern) Wie immer viel unterwegs, aber zu oft auf verlorenem Posten, auch aufgrund der fehlenden Mitspieler in der Offensive. Macht letztlich keinen Stich gegen das Bayer-Bollwerk und wirkt zunehmend genervt. ran-Note: 5
Jamal Musiala (FC Bayern) Der Shootingstar beißt sich ein ums andere Mal an der vielbeinigen Defensive der Gastgeber die Zähen aus. Kommt daher fast gar nicht zur Geltung. Geht nach 81 Minuten runter. ran-Note: 4
Harry Kane (FC Bayern) Ganz schweres Spiel für Englands Nationalmannschaftskapitän, der von Tah und Tapsoba fast komplett abgemeldet wird. Nicht mal 20 Ballkontakte am Ende, keine nennenswerte Torchance. ran-Note: 5
Thomas Müller (FC Bayern) Auch der Routiner wird nach einer Stunde ins Spiel geworfen und rückt ins offensive Mittelfeld. Kann dort aber auch keine Impulse mehr für das enttäuschende Münchner Angriffsspiel geben. ran-Note: 4
Joshua Kimmich (FC Bayern) Der Mittelfeldspieler ersetzt Pavlovic nach 60 Minuten auf der Sechs. Aufgrund seiner Position mit viel Ballbesitz, aber ohne Ertrag. ran-Note: 4
Mathys Tel (FC Bayern) Der Franzose darf nach 71 Minuten für Goretzka in die Partie und spielt deutlich weiter vorne. Immerhin noch zwei Torschüsse, allerdings harmlose. ran-Note: 4
Raphael Guerreiro (FC Bayern) Der zuletzt gesetzte Portugiese darf erst nach 81 Minuten mitmachen und kommt für Boey. Bleibt merkwürdigerweise auch rechts und Mazraoui auf links. Unauffällig. ran-Note: ohne Bewertung
Eric Maxim Choupo-Moting (FC Bayern) Tuchel schmeißt den Kameruner als dritten Stoßstürmer in der 81. Minute in die Partie, als er Musiala ersetzt. Kann aber auch nicht mehr für die Wende sorgen. ran-Note: ohne Bewertung
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Selbst Siege helfen Tuchel jetzt nicht mehr weiter
Tuchel hätte die anhaltende Kritik an seiner Arbeit, seinem Auftreten und an der fehlenden Weiterentwicklung mit einer Meisterleistung in Leverkusen zum Verstummen bringen können.
Entsprechend ist nun die Unruhe und Unzufriedenheit nach der heftigen Pleite, die beinahe einem Klassenunterschied gleich kam, umso größer – nicht nur bei den Fans, sondern auch im Verein und in der Mannschaft.
Selbst Siege helfen Tuchel jetzt nicht mehr weiter, denn Leverkusen hat es selbst in der Hand und ist nach dem Sieg Meisterschaftskandidat Nummer eins.
Dank eines Trainers, der weiß, wie man Titel gewinnt und attraktiv Fußball spielt. Und den sich in München deshalb so mancher möglichst bald an der Seitenlinie wünscht.