Starke europameisterschaft
FC Bayern: Joao Palinha löst nur das kleinere Mittelfeld-Problem
- Aktualisiert: 10.07.2024
- 11:38 Uhr
- Justin Kraft
Joao Palhinha wechselt wohl zum FC Bayern München. Nach einer starken EM mit Portugal wird der 28-Jährige ein Mittelfeld-Problem des Rekordmeisters lösen – das größere Problem bleibt aber offen.
Update, 10.07., 11:35 Uhr: Bayern-Transfer von Palinha vor Abschluss
Laut Transferinsider Fabrizio Romano steht der Transfer von Joao Palinha zum FC Bayern vor dem Abschluss. Demnach habe der portugiesische Mittelfeldspieler bereits seinen Medizincheck bei den Münchnern absolviert und soll am heutigen Mittwoch seinen Vertrag unterschreiben. Die Verkündung soll wohl zeitnah erfolgen.
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Warum Palinha nur das kleinere Problem beim FC Bayern löst
Nur zu gerne hätte Joao Palhinha noch zwei Spiele bei dieser Europameisterschaft absolviert, bevor er ein Fazit zu seiner eigenen Leistung zieht. Gegen Frankreich war für Portugal aber im Elfmeterschießen Schluss.
Es war ein bitteres Ausscheiden für den 28-Jährigen und sein Team. Erst im Elfmeterschießen mussten sie sich geschlagen geben.
Für Palhinha gleich doppelt bitter, weil er ein starkes Turnier gespielt hat. Noch im ersten Gruppenspiel kam er nicht zum Einsatz, in den beiden darauffolgenden Partien wurde er zur Halbzeit ausgewechselt. Doch da, wo er am meisten gebraucht wurde, war er zur Stelle: Im Achtelfinale gegen Slowenien und im Viertelfinale gegen Frankreich.
Gegen die Slowenen setzte er laut "WhoScored" siebenmal zum Tackling an und war siebenmal erfolgreich. Hinzu kamen vier abgefangene Pässe und zwei klärende Aktionen. Auch gegen die Franzosen glänzte Palhinha defensiv mit drei abgefangenen Pässen (Bestwert aller Spieler auf dem Platz), zwei Klärungsaktionen, einem geblockten Schuss und zwei erfolgreichen Tacklings (drei Versuche).
Das Wichtigste in Kürze
Die Zweikampfstärke des Sechsers ist bekannt. Deshalb will ihn der FC Bayern München schon seit vergangenem Sommer. Und es besteht kaum Zweifel daran, dass Palhinha eines von zwei großen Problemen im Mittelfeld lösen wird. Und das zweite? Das bleibt wohl erstmal offen.
Joao Palhinha: Einzigartiges Zweikampfmonster
Doch erstmal zum Problem, das durch ihn gelöst wird: Sie wollten ihren neuen Javi Martinez, sie bekommen ihren Javi Martinez – zumindest in Bezug auf die Defensive. Im Moment gibt es in Europa und auf der Welt kaum einen Mittelfeldspieler, der Palhinha irgendetwas im Defensivverhalten vormachen kann.
Seine Zweikampfquote ist dauerhaft hoch: 60,9 Prozent seiner Duelle gewann er in der abgelaufenen Saison. Unter allen Mittelfeldspielern, die die Datenbank "Scoutingstats" führt, ist er damit unter den besten fünf Prozent. Bei Eins-gegen-eins-Defensivduellen zählt er zu den besten zwei Prozent, bei Balleroberungen hat er den Spitzewert.
Palhinha liebt das Verteidigen. Gegen den Ball agiert er gleichermaßen mit Herz und Hirn. Selbstredend kann ein Spieler viele Zweikämpfe sammeln, ohne viele sinnvolle Zweikämpfe zu führen. Das ist beim Portugiesen nicht so.
Er hat die Fähigkeit, sehr weiträumig zu verteidigen und sich dabei immer in dem Raum zu befinden, der gerade für sein Team am wichtigsten ist. Spielt Palhinha beim Gegner, wird es schwer, in die zentrale Zone direkt vorm Strafraum zu kommen.
FC Bayern: Probleme im Zentrum
Und genau da hatten die Bayern in den vergangenen Jahren ihre Probleme. Immer wieder konnten sich Gegner zwischen Abwehr- und Mittelfeldkette der Münchner kombinieren oder durch Pässe von außen in den Rückraum zum Torerfolg kommen.
Bei Kontersituationen schafften es die Bayern zudem zu oft nicht, das Zentrum entsprechend abzusichern. Ein Blick auf die Portugiesen bei dieser EM genügt, um zu verstehen, wie Palhinha dort Abhilfe schaffen kann. Während er beim FC Fulham nicht wirklich für ein Team spielt, das Wert auf Ballbesitz legt, waren die Portugiesen bei der Europameisterschaft das Team mit dem meisten Ballbesitz (66,2 Prozent).
Dort konnte also die breite Masse, die nicht jedes Spiel Portugals vor der EM verfolgt hat, erstmals sehen, wie sich Palhinha in einem dominanteren System verhält. Die Antwort: Er ist ein wichtiges Puzzlestück.
Das kann und wird er auch für die Bayern sein. Wie einst Martinez wird er viele Angriffe der Gegner im Keim ersticken oder Räume schließen, aus denen in der Vergangenheit noch viele Gegentore gefallen sind.
Joao Palhinha: Das größere Mittelfeldproblem der Bayern kann er nicht lösen
Dementsprechend sinnvoll ist der Transfer für den FC Bayern auch. Doch die Rechnung, dass man Palhinha in der Defensive installiert und er alle Probleme lösen wird, geht nicht auf. Denn das eigentlich viel größere Problem im Mittelfeld wird der bald 29-Jährige nicht lösen können.
Der Spielaufbau der Münchner war in den letzten Jahren nicht auf höchstem Niveau. Presste ein Gegner hoch oder stellte er das Zentrum zu, bekamen die Bayern ihre Spielmacher in der Schaltzentrale nicht ins Spiel. Oftmals war das Joshua Kimmich, zuletzt war es Aleksandar Pavlovic. Beide gute Pass- und Taktgeber, beide ohne die nötige fußballerische Unterstützung aus dem Defensivbereich.
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Ein Spielmacher im Mittelfeldzentrum scheint den Bayern auch deshalb zu wenig zu sein, weil sie in der Innenverteidigung niemanden haben, der die gegnerischen Pressinglinien auch mal mit größerer Passdistanz überspielen kann. Wie einst Jerome Boateng, Mats Hummels oder auch David Alaba.
Mit einem solchen Innenverteidiger kann man es sich erlauben, im Mittelfeld auf einen zweiten spielmachenden Sechser zu verzichten. Palhinhas Qualitäten im Spielaufbau sind jedenfalls überschaubar. Oft versteckt er sich hinter seinen Gegenspielern und lässt das Spiel so an sich vorbeilaufen. Sein Fokus liegt eher darauf, sich auf etwaige Ballverluste vorzubereiten, als sich aktiv freizulaufen.
Wie kann der FC Bayern Palhinha einbinden?
Mit Hiroki Ito kommt ein Verteidiger, der beim VfB Stuttgart bewiesen hat, dass er ein guter Aufbauspieler ist. Aber kann er das auch auf dem Niveau des FC Bayern zeigen?
Sollte Pavlovic auch in der kommenden Saison der zweite Sechser neben Palhinha sein, wäre die Verantwortung enorm für einen Spieler, der erst 20 Jahre jung ist. Es wäre fast schon fahrlässig, damit zu planen, dass er das einerseits stemmen kann und er andererseits bereits jetzt so konstant ist, das dauerhaft spielen zu können. Sollte Kimmich wechseln, ist er allerdings der einzige Mittelfeldspieler im Kader mit einem spielmachenden Profil.
Es bleibt abzuwarten, wie Vincent Kompany plant, aber der Belgier wird für die optimale Einbindung Palhinhas eine Struktur etablieren müssen, die um den Portugiesen herum spielstarke Spieler garantiert. Eine Möglichkeit wäre es auch, Spieler wie Raphael Guerreiro, Noussair Mazraoui oder Kimmich (sollte er bleiben) als einrückende Außenverteidiger aufzustellen, um das Zentrum in Ballbesitz zu stärken.
Palhinha wird in jedem Fall ein Upgrade für den FC Bayern sein. Denn auch wenn er im Spielaufbau keine Highlights liefern wird: Das haben Leon Goretzka oder Konrad Laimer auch nicht getan. Dafür wird der Portugiese die Defensivlücke aller Voraussicht nach schließen können.
Es liegt an Kompany und seinem Trainerteam, auch das noch größere Problem im Ballvortrag zu lösen. Palhinha kommt nicht, um das technische Level des Teams zu heben. Er kommt, um aufzuräumen. Und das allein ist eine Notwendigkeit. Den Rest müssen andere erledigen.