Michael Reschke exklusiv: "Auch der Abgang von Florian Wirtz wird Bayer Leverkusen nicht erschüttern"
Aktualisiert: 05.06.2024
11:43 Uhr
Andreas Reiners
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Bayer Leverkusen hat eine historische Saison hingelegt und schon erste Sticheleien in Richtung München losgelassen. Ex-Leverkusen-Manager Michael Reschke spricht im exklusiven ran-Interview über die Erfolgsfaktoren, Xabi Alonso, Begehrlichkeiten und Herausforderungen bei der Kaderplanung.
Michael Reschke gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn es um Xabi Alonso geht.
Der frühere Manager von Bayer Leverkusen kennt Alonso aus der gemeinsamen Zeit beim FC Bayern München.
Und für ihn ist nach der historischen Leverkusener Saison mit 51 Pflichtspielen ohne Niederlage und dem Gewinn des Doubles aus Meisterschaft und DFB-Pokal klar: "Er war der wichtigste Baustein dieses Erfolges."
Wir haben uns mit Reschke aber nicht nur über Alonso, sondern auch über andere Erfolgsfaktoren, die Zukunft der Werkself, durch den Erfolg entstehende Begehrlichkeiten und Herausforderungen bei der Kaderplanung unterhalten.
Bayer Leverkusen: Reschke erklärt das Phänomen Bayer 04
ran: Michael Reschke, Bayer Leverkusen hat eine historische Bundesliga-Saison hingelegt, dazu den DFB-Pokal gewonnen. Können Sie mal versuchen, das Phänomen Leverkusen 2023/24 zu erklären?
Michael Reschke: Das Phänomen Bayer 04 beruht auf mehreren Säulen. Der Klub ist in seinen Strukturen und seiner Führung extrem stabil und total zielfokussiert. Fernando Carro leistet als CEO einen Topjob. Sportdirektor Simon Rolfes hat eine außergewöhnliche Quote an sehr guten Entscheidungen. Im Hintergrund agiert Werner Wenning als sehr kompetenter Aufsichtsratschef und an seiner Seite hat er natürlich auch noch Rudi Völler, der viele Entscheidungen mit gelenkt hat. Ein Quartett, das extrem vertrauensvoll und hoch professionell gemeinsam mit vielen, ausgezeichneten Mitarbeitern dem Klub eine tolle Substanz verleiht. Ganz entscheidend ist zudem die traditionell hervorragende Scouting-Abteilung mit Kim Falkenberg an der Spitze, die immer wieder hoch talentierte oder auch mal sehr intelligente Spielerlösungen findet. Viele der Jungs, die jetzt Meister sind, waren im Vorfeld international gar nicht so bekannt. Die Marktwerte dieser Spieler sind zum größten Teil astronomisch gestiegen. Das ist eine exzellente Kaderplanung. Das Team vereint Charakter, Talent, Schnelligkeit, Zweikampfstärke und Technik auf höchstem Niveau.
ran: Sie waren 35 Jahre bei Bayer Leverkusen. Sehen Sie einen gewissen Anteil an dem jetzigen Erfolg auch bei Ihnen?
Reschke: Nein. Ich war zwar entscheidend dafür verantwortlich, dass wir im Scouting Strukturen, Bewertungsmaßstäbe und Abläufe geschaffen haben, die sehr gut waren und sind, aber ich habe keinen sichtbaren Anteil an der diesjährigen Erfolgsbilanz, allerdings eine sehr emotionale Bindung zum Klub. Ich freue mich sehr über diese außergewöhnliche Saison.
ran: Wird das jetzt der Beginn einer Ära?
Reschke: Die Vorstellung einer Ära, in der man laufend Deutscher Meister wird, ist eine überzogene Erwartungshaltung. Aber klar ist: Bayer Leverkusen wird sich in den nächsten drei, vier Jahren für die Champions League qualifizieren und auch ein gewichtiges Wort im Kampf um die Meisterschaft mitsprechen. So stark ist das Fundament, so stark ist die Mannschaft, so stark ist der ganze Klub. Und der Verein wird auch stark bleiben, wenn Xabi Alonso irgendwann einmal zu Real Madrid oder zu einem anderen europäischen Spitzenklub wechseln wird. Carro, Rolfes und Co. werden dann wieder eine sehr gute Trainer-Lösung finden. Es ist zu erwarten, dass Alonso Bayer 04 in absehbarer Zeit verlassen wird, aber ich war mir im Frühjahr bombensicher, dass er kommende Saison bleibt und nicht nach München wechselt.
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Bayer Leverkusen: Ausverkauf beim Double-Sieger? So ist der Stand bei den Stars
Reschke: Bayer 04 hat Xabi eine tolle Chance als Trainerstart in den internationalen Fußball ermöglicht. Er konnte auf ein fantastisches Umfeld und einen tollen Kader aufbauen. Seine Familie lebt in Düsseldorf und man spürt, dass seine Frau und die Kinder sehr glücklich sind. Xabi ist eh mit sich selbst komplett im Reinen, das ist eine besondere Stärke von Ihm. Wieso sollte er wechseln? Es gibt da eine spezielle Form des dankbaren Respekts, den Xabi Alonso mit den Entscheidungsträgern von Bayer Leverkusen verbindet. Das hat bei der Entscheidung zu bleiben gewiss eine wichtige Rolle gespielt. Zudem natürlich das Wissen, dass er wieder eine Top-Mannschaft zur Verfügung haben wird, selbst wenn zwei oder drei Leistungsträger den Klub verlassen. Deshalb war ich mir ganz sicher, dass er bleibt. Wenn Carl Ancelotti irgendwann, in einem oder zwei Jahren, Real verlässt, ist Xabi ein logischer und vermutlich sogar Wunschnachfolger. Bis dahin ist Bayer 04 für Ihn die Toplösung.
ran: Was ist denn schwieriger: Diesen Erfolg zu erreichen oder dann auf diesem hohen Niveau zu bestätigen?
Reschke: Diese Erfolgssaison ist ein Gesamtkunstwerk und sollte nicht als Blaupause für die neue Saison herhalten. Auf das einzigartig Erreichte darf man megastolz sein. Der Neustart muss mit realistischen Zielen begonnen werden: Die erneute Champions-League-Qualifikation, im Pokal erneut auftrumpfen und in der Königsklasse versuchen, so weit wie möglich zu kommen. Wenn es ähnlich gigantisch läuft wie in diesem Jahr, umso besser.
Bayer Leverkusen: Der perfekte Kader?
ran: Haben Sportdirektor Simon Rolfes und Co. den "perfekten" Kader zusammengestellt in Sachen Qualität und Homogenität?
Reschke: Bayer 04 hat Xabi einen tollen Kader zusammengestellt und er hat dann dieses Team perfekt dirigiert, mit einem sensiblen Gespür für entscheidende Feinheiten und großem Vertrauen. Das ist das Entscheidende: Simon Rolfes und die hervorragende Scouting-Abteilung haben ihm tolle Solisten präsentiert und er hat daraus ein perfektes Orchester geschaffen.
ran: Was benötigt man dafür, wie viel Glück ist da auch bei und was ist planbar?
Reschke: Kaderplanung ist extrem herausfordernd und sehr arbeitsintensiv. Du musst ein klares Scouting-Konzept und hochqualifizierte Mitarbeiter besitzen. Für den Erfolg eines Klubs ist es fundamental, dass diese Scouting-Abteilung auf einem hohen Niveau funktioniert. Bayer 04 macht das im Moment perfekt. Experten wie Kim Falkenberg, Falko Götz, Simon Fahner und viele andere sind absolute Kenner. Sollten zwei oder drei Leistungsträger den Klub verlassen, werden sie gemeinsam mit Rolfes wieder passende Lösungen haben. Das war immer so in Leverkusen und ist einer der Hauptgründe, weshalb sich Bayer 04 schon seit vielen Jahren in der deutschen Spitze etabliert
ran: Worauf kommt es an, wenn man nach so einer Saison wie jetzt die Mannschaft für die neue Spielzeit baut?
Reschke: Das Innenleben dieses Teams, des Team-Umfeldes und des gesamten Vereins haben eine seriöse Stabilität erreicht, die es unnötig macht, komplett neue Anreize zu setzen. Erfolg ist kein Selbstläufer, aber dieses Team hat bewiesen, dass es extrem erfolgshungrig ist und über eine sehr hohe Qualität verfügt. Die Basis von Bayer 04 ist beeindruckend.
ran: Wenn Sie die Basis ansprechen: Wie wehrt man Begehrlichkeiten anderer Klubs ab?
Reschke: Wieso sollen Spieler diesen Klub, bei dem sportlich, familiär und wirtschaftlich so viel so gut passt, verlassen? Natürlich wird es Abgänge geben, dies ist Business as Usual. Bayer Leverkusen ist nicht Real Madrid. Doch der Spagat, Leistungsträger auf einem hohen Niveau zu ersetzen, ist dem Klub nahezu immer gelungen. Natürlich gibt es auch Spieler, die unmöglich gleichwertig zu ersetzen sind, wie zum Beispiel Florian Wirtz. Aber selbst sein Abgang, der irgendwann ansteht, wird den Verein nicht erschüttern. Rolfes, Falkenberg und das Scouting-Team werden selbst dann intelligente Lösungen finden.
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Wie Bayer Leverkusen! Diese Teams schafften eine perfekte Saison
ran: Was glauben Sie, wie lange Wirtz noch für Bayer spielen wird?
Reschke: Florian wird auf jeden Fall noch die nächste Saison bleiben. Ich glaube nicht, dass irgendjemand jetzt schon eine Idee hat, was danach passiert. Sein Vater und er gehen völlig entspannt mit der Gesamtsituation um. Diese Haltung und Qualität hat die Familie bislang sehr ausgezeichnet und er war bestens beraten, in Leverkusen zu bleiben. Das beweisen seine Entwicklung und die abgelaufene Saison. Er wird irgendwann bei einem Top-4-Verein landen, keine Frage. Aber im Moment hat Florian noch keine Eile. Seine Karriere wird noch über zehn Jahre auf höchstem Niveau verlaufen.
ran: Wie hat sich der Klub seit Ihren Anfängen verändert?
Reschke: Leverkusen ist in den vergangenen 30 Jahren fast immer unter den Top fünf gelandet und somit ein Topklub in einer starken Bundesliga. In dieser Saison hat alles perfekt zusammengepasst. Team, Trainerstab, ein tolles Team-Umfeld, Superfans und die hohe Stabilität im Klub haben sich gemeinsam zu diesem Erfolg getrieben.
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Michael Reschke: "Das war ein Quatsch vor dem Herrn"
ran: Was hat denn früher zu den ganz großen Titeln gefehlt?
Reschke: Manchmal hat uns einfach das berühmte Quäntchen Glück gefehlt. Und diese perfekte Zusammenstellung haben wir früher einfach nicht ganz gehabt. Zudem hatten wir immer sehr starke Konkurrenz.
ran: In der Vergangenheit gab es auch immer den Vorwurf, Leverkusen sei eine Wohlfühloase, der Biss habe gefehlt, der letzte Wille. Was ist da dran?
Reschke: Das war ein Quatsch vor dem Herrn. Ach, die werden Vizemeister, weil die sich in so einer Wohlfühloase befinden Und dann sagen die sich: 'Deutscher Meister wollen wir natürlich nicht werden, weil wir uns alle so wohlfühlen.' Das war für mich immer ein albernes Klischee. Wenn wir so knapp gescheitert waren, gab es immer Verbitterung und Enttäuschung. Die größte Wohlfühloase aller Zeiten gibt es in Leverkusen aktuell und zwar im positivsten aller Sinne. Natürlich getrieben von extremem Ehrgeiz und großen Zielen. Aber eben basierend auf einem perfekten Team-Umfeld, in dem alles für die Spieler getan wird, damit Ihre Familien und sie sich wohlfühlen. Einem fantastischen Trainerstab, den neben höchster Kompetenz auch eine sensible soziale Emotionalität auszeichnet, und halt tolle Mitarbeiter, die für eine besondere Stimmung sorgen.
ran: Wie wichtig ist der Faktor Trainer für den Klub?
Reschke: Bayer 04 hat für dieses Team den idealen Dirigenten gefunden. Es ist hochinteressant, wie er von der Mannschaft, der Vereinsführung, vom Team-Umfeld, von seinem Trainerstab, auf den er sehr große Stücke hält, schwärmt. Er betont immer wieder, dass er dem Top-Team an seiner Seite total vertraut. Natürlich ist Xabi derjenige, der das alles verbindet und zu Höchstleistungen führt. Der Respekt, den er bei den Mitarbeitern im Klub, in seinem Trainerstab und beim Publikum genießt, spricht für sich. Wie die Spieler ihn nahezu vergöttern, setzt allem die Krone auf. Dies ist nur möglich, wenn man eine unglaubliche Empathie und hohe Wertschätzung besitzt. Xabi hat dafür gesorgt, dass alle davon überzeugt sind, dass Großes möglich ist.
ran: Hat es Alonso geschafft, dem Klub nochmal ein ganz neues Selbstverständnis einzuhauchen und falls ja, wie?
Reschke: Ja, definitiv! Er verbindet so viel Außergewöhnliches. Taktische Raffinesse, eine wohlwollend, feinfühlige Menschenführung, sowohl in Bezug auf seine Spieler, aber auch in der Art, wie er seinem Trainerstab und dem Teamumfeld Vertrauen und Respekt schenkt. Zudem hat er als ehemaliger Weltklassespieler eine natürliche Autorität, die durch seine spezielle, eine raumergreifende Aura gekrönt wird. Er war der wichtigste Baustein dieses Erfolges.
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Michael Reschke: Die Entwicklung begann früher
ran: Gab es für Sie rückblickend einen Moment, bei dem Sie sagen, dass sich etwas entschieden gewandelt hat?
Reschke: Diese Entwicklung begann bereits in der Rückrunde 22/23. Den einzelnen Moment hat es nicht gegeben, weil es das Zusammenwirken mehrerer Faktoren und ein ganzheitlicher Entwicklungsprozess war. Was ich besonders beeindruckend fand: Als Anfang des Jahres wichtige Spieler verletzt waren und wegen des Afrika Cups weitere Leistungsträger fehlten, hat Alonso nicht einmal lamentiert. Er hat einfach Lösungen gesucht und gefunden, die funktioniert haben. In dieser Zeit, in der keiner so genau wusste, wo die Reise hingeht, war die Reaktion von Trainer und Mannschaft top.
ran: Waren in dem Zusammenhang das DFB-Pokalspiel gegen Stuttgart und das folgende Spiel gegen die Bayern innerhalb weniger Tage entscheidende Knackpunkte?
Reschke: Das beste Spiel zweier deutscher Mannschaften in dieser Saison war zweifelsohne der Pokalsieg von Bayer 04 gegen eine superstarke Stuttgarter Mannschaft. Dieser Erfolg war schwieriger und daher bedeutsamer als der Sieg gegen die Bayern wenige Tage später. In der Summe haben diese beiden Erfolge bewiesen, dass dieses Team alles erreichen kann.
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