ran-Interview
Nils Petersen im ran-Interview: "Zuletzt konnte ich nicht mehr mit den Jungen mithalten"
- Aktualisiert: 19.09.2023
- 17:59 Uhr
- Martin Volkmar
Im Interview mit ran spricht Ex-Nationalspieler Nils Petersen über seine Karriere, die ersten Monate als "Fußball-Rentner" und die deutschen Aussichten in der Champions League.
Freiburgs Rekord-Torschütze Nils Petersen arbeitet ab dieser Saison als Champions-League-Experte bei Amazon Prime Video.
Im Gespräch äußert sich der 34-Jährige unter anderem über die Gründe für das Ende seiner Laufbahn, seinen Favoriten in der Königsklasse und Christian Streich als Bundestrainer.
ran: Freuen Sie sich, dass Sie jetzt "durch die Hintertür" doch noch die Champions League erreicht haben?
Nils Petersen: Absolut. Die Champions League ist auf Clubebene das Nonplusultra. Dieser Wettbewerb elektrisiert jeden Fußballprofi und jeden Fan. Nun bei Prime Video hautnah dabei sein zu dürfen, ist eine gleichermaßen reizvolle wie spannende Aufgabe.
ran: Hätten Sie vielleicht weitergemacht, wenn der SC Freiburg sich für die Königsklasse qualifiziert hätte?
Petersen: Mit Sicherheit nicht. Der Entschluss aufzuhören entsprang schließlich nicht einer sportlichen Unterforderung, eher im Gegenteil. In einigen Segmenten konnte ich zuletzt nicht mehr mit den Jungen mithalten. In der Champions League wären diese Defizite sehr wahrscheinlich noch offenkundiger zu Tage getreten. Aber ich freue mich trotzdem, dass der SC wieder international vertreten ist.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Wann fiel die Entscheidung aufzuhören und warum?
Petersen: Bereits Ende der Spielzeit 2021/22 beschäftigte ich mich mit dem Gedanken. Doch die Rückrunde lief gut, ich hatte einige Startelfeinsätze und erzielte Tore. Deshalb ließ ich mich zu einer weiteren Saison überreden. Meinen eigenen Ansprüchen an Leistung und Quote wurde ich aber nicht mehr vollumfänglich gerecht. Umso schöner war der Abschluss mit meinem Tor im allerletzten Bundesliga-Heimspiel und allem, was ringsherum an Emotionen zu spüren war. In bin einfach nur unendlich dankbar für diesen unfassbaren Abschied.
ran: Sie haben nie einen großen Titel geholt. Blicken Sie trotzdem zufrieden auf Ihre Profi-Karriere zurück?
Petersen: Mehr als zufrieden, stolz trifft es eher. Ich habe versucht, es in meinem Buch zu erklären: Wer alles aus sich herausholt, stets selbst reflektiert und hart an sich arbeitet, der sollte am Ende der Laufbahn erhobenen Hauptes in den Spiegel schauen. Gemessen an der Anzahl aktiver Fußballer in Deutschland holen nur sehr wenige nationale Titel. Das ist also keine Schande. Aus meinen begrenzten Möglichkeiten habe ich mehr gemacht, als ich je gehofft hatte.
ran: Wie ist das Leben als "Fußball-Rentner"?
Petersen: Sehr kurzweilig und durchaus anstrengend, weil ich viel Neuland betrete und täglich dazulerne. Zum ersten Mal nach 16 Jahren Profifußball bin ich selbstbestimmt und orientiere mich nicht mehr an Trainings- und Spielplänen. Aber ich genieße diese ungewohnte Freiheit, ohne untätig zu sein.
ran: Was haben Sie sich für den neuen Job als Champions-League-Experte bei Amazon Prime Video vorgenommen?
Petersen: Vor allem authentisch zu bleiben und keine Rolle zu spielen. Das taktische Sezieren überlasse ich gern Matthias Sammer, es gibt keinen fachkompetenteren Analytiker in Deutschland. Meine Rolle wird eher darauf abzielen, eine Komponente der Nachvollziehbarkeit und Veranschaulichung einzubringen. Fußballer sind vor allem Menschen, keine Maschinen. Sogar auf Champions League-Niveau, auch wenn jeder Fan auf diesem Level nicht zu Unrecht immer Top-Leistungen erwartet.
ran: Wer kann Manchester City von der Titelverteidigung abhalten?
Petersen: Der amtierende Champion ist zweifellos erneut Titelanwärter, Erfolgsgaranten wie Erling Haaland haben ihren Zenit noch längst nicht erreicht. Dennoch traue ich Teams wie Real Madrid mit dem bärenstarken Jude Bellingham durchaus zu, an guten Tagen mindestens Paroli zu bieten.
ran: Ist der FC Bayern trotz der Probleme im Vorjahr mit Harry Kane ein realistischer Titelkandidat?
Petersen: Wenn alles passt, Manuel Neuer und die Selbstverständlichkeit ins Spiel der Bayern zurückkehren, dann gehört diese Mannschaft zweifellos zu den besten in Europa. Das Viertelfinale ist das Minimum, in den direkten Duellen mit der kontinentalen Spitze braucht jede Truppe Los- und Matchglück.
ran: Wie schneiden die anderen deutschen Teams ab?
Petersen: Leipzig traue ich trotz einiger Abgänge sehr viel zu, die Mannschaft ist sehr stabil und inzwischen auch international erprobt. Für Union wäre ein Weiterkommen in dieser Hammer-Gruppe eine absolute Sensation. Dortmunds Team der Hochbegabten hat eine gleichermaßen schwierige wie interessante Gruppe erwischt. Mitunter geht es sogar etwas leichter ohne Favoritenrolle.
ran: Wäre Christian Streich ein guter Bundestrainer – oder wer soll es stattdessen jetzt machen?
Petersen: Christian Streich bleibt immer Christian Streich und damit sich selbst treu. Ob er überhaupt die Ambition oder das Ziel hat, Bundestrainer zu werden, kann ich nicht beurteilen. Zumal er Verantwortung spürt, ganz bestimmt nicht den Club mitten in der Saison im Stich lässt und sagt "seht zu, wie ihr klarkommt, ich bin weg." Die Auswahl des neuen Nationaltrainers wird sich auf einige wenige beschränken, die aktuell zur Verfügung stehen. Da ich weder die Anforderungen noch das Suchprofil kenne, halte ich mich mit Tipps, Prognosen und erst recht Ratschlägen dezent zurück.