vor spiel der bayern gegen schachtar donezk
Champions League: Ex-Bayern-Star Anatolji Tymoschtschuk - Vom Helden in der Ukraine zur Hassfigur
- Aktualisiert: 11.12.2024
- 09:44 Uhr
- Tobias Wiltschek
Anatolij Tymoschtschuk war einst ein gefeierter Fußball-Star. Jetzt ist er ein Symbol für die Verwerfungen des Krieges in der Ukraine. Vor dem Spiel des FC Bayern gegen Schachtar Donezk rückt seine Geschichte in den Blickpunkt.
Der Krieg in der Ukraine hat viele Gesichter: tote, trauernde, wütende, weinende.
Und dann ist da noch das Gesicht eines ehemaligen Fußballspielers, eines Mannes, der einst als Held der Ukraine verehrt wurde und heute bei den meisten Ukrainern nur noch Verachtung hervorruft.
Es ist das Gesicht von Anatolji Tymoschtschuk.
144 Länderspiele hat er für die Ukraine bestritten, er ist damit Rekordnationalspieler des Landes. Doch für dieses Land ist er gestorben. Nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in den Herzen.
Er ist gefallen, auch wenn er noch lebt. Sämtliche Spiele, Statistiken, Rekorde und Titel des Defensivstrategen auf dem Feld – alle gelöscht aus den nationalen Geschichtsbüchern des Fußballs. Der Verband sperrte ihn auf Lebenszeit von allen fußballerischen Tätigkeiten in der Ukraine aus.
Das Wichtigste zur Champions League in Kürze
Sein Verbrechen? Er weigert sich bis heute, Russland für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich zu machen. Nicht einmal das Wort "Krieg" kommt ihm über die Lippen.
Er nennt den Krieg, ganz nach dem Vorbild der russischen Propaganda "militärische Spezialoperation" und versucht sich an einer Verteidigung dieser Sichtweise.
"Die Tatsache, dass ich über die militärische Spezialoperation schweige, sagt nichts darüber aus, ob ich sie unterstütze oder nicht. Jeder hat seine eigene Position. Meine ist, dass nicht alles so einfach ist, deshalb versuche ich, nicht darüber zu reden", wird er im Oktober 2024 in der "taz" zitiert.
Tymoschtschuks Ex-Klubs treffen aufeinander
Am Dienstag spielen seine ehemaligen Klubs gegeneinander: Schachtar Donezk "empfängt" in der Schalker Arena den FC Bayern München in der Champions League. Dass das Spiel nicht im Donbass stattfindet, wo Schachtar Jahrzehnte lang seine Heimspiele ausgetragen hat, liegt auch an der "militärischen Spezialoperation", wie Tymoschtschuk wohl sagen würde.
Seitdem Russland 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektiert und die Ostukraine destabilisiert hat, ist Schachtar ein Klub auf der Flucht. Lwiw, Kiew, Hamburg, jetzt Gelsenkirchen. Sein Stadion, die Donbass Arena, ist längst zum zerbombten Symbol dieses Krieges geworden.
Serhiy Palkin hat die Arena noch in ihrer ganzen, ursprünglichen Pracht erlebt. Seit 2004 ist er Geschäftsführer von Schachtar. Als er vor dem Spiel gegen die Bayern auf Tymoschtschuk angesprochen wird, wird er deutlich.
"Es ist nicht möglich, dass er jemals zurückkommt", sagte er bei "Sport1" über den gefallenen Volkshelden, zu dem er überhaupt keinen Kontakt mehr habe.
"Ich bin sehr traurig darüber, was passiert ist und wie er sich verhält. Aber das ist seine Geschichte, eine schlechte Geschichte. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Mehr kann ich dazu nicht sagen", sagt Palkin und spricht damit wohl nicht wenigen seiner Landsleute aus der Seele.
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Sein Wechsel nach Russland verlief relativ geräuschlos
Als Tymoschtschuk 2007 nach neun Jahren und über 200 Ligaspielen Schachtar in Richtung Zenit St. Petersburg nach Russland verlässt, war das – politisch betrachtet – kein großes Ereignis.
Beide Staaten respektierten die Unabhängigkeit des jeweils anderen. Tymoschtschuk feierte mit St. Petersburg seine ersten internationalen Erfolge, wurde mit Zenit 2008 Europa-League-Sieger, später europäischer Supercup-Champion.
Mit den Bayern gewann er fünf Jahre danach sogar die Champions League, auch wenn er beim Finalsieg in Wembley gegen Borussia Dortmund nicht eingesetzt wurde.
Später kehrte er als Coach zu Zenit zurück, wo er mittlerweile seit fast acht Jahren Co-Trainer des Teams ist und seit dem russischen Überfall im März 2022 in der Ukraine zur Hassfigur wurde.
Erst vor wenigen Wochen schockierte der heute 45-Jährige seine Landsleute wieder – mit einem Foto eines von ihm signierten Zenit-Trikots mit der Aufschrift "Leningrad – Heldenstadt". Der Erlös, so die Organisatoren der Auktion, gehe in die Region Kursk.
Und damit in die Region, die von den Ukrainern vor einigen Wochen unter Beschuss genommen wurde, um die Russen zum Abzug von Besatzungstruppen aus dem Donbass zu bewegen.
Ex-Frau: "Er findet immer neue Abgründe"
"Anatolij ist sehr kreativ, wenn es darum geht, möglichst tief zu fallen. Er findet immer neue Abgründe. Mich kann das nicht mehr überraschen", wurde seine Ex-Frau Nadjeschda Nawrozkaja in der "taz" zitiert. Sie lebt mit ihren Töchtern heute in München.
Auch Andrij Yarmolenko, sein ehemaliger Mitspieler in der ukrainischen Nationalmannschaft, kommt in dem Zeitungsartikel zu Wort.
"Ich habe ihm geschrieben und gefragt: Wie schläfst du? Seine Antwort: Ich kann genauso wenig schlafen wie du. Dann habe ich ihn angerufen und gefragt: Warum sagst du nichts über den Krieg? Du warst ein Vorbild für mich, ich habe zu dir aufgeschaut", sagte er und fügte an: "Jetzt existierst du nicht mehr in meinem Leben."