Vorm Champions League Duell
FC Bayern bei Lazio Rom – Ex-Sportchef Igli Tare: Lazio ist reifer als beim letzten Duell
- Aktualisiert: 14.02.2024
- 18:34 Uhr
- Martin Volkmar
Im Interview mit ran spricht der langjährige Lazio-Sportchef Igli Tare über Stärken und Schwächen von Bayern Münchens Gegner im Champions-League-Achtelfinale und blickt zurück auf seine Zeit als Profi in Deutschland.
Das Interview führte Martin Volkmar
Kaum einer kennt Lazio Rom besser als Igli Tare. 18 Jahre lang war der ehemalige albanische Nationalspieler für die Italiener tätig, davon 14 Jahre lang bis zum vergangenen Sommer als Sportdirektor.
Alle Informationen zum Achtelfinal-Hinspiel des FC Bayern gegen Lazio Rom findest du hier.
Im Gespräch mit ran spricht der 50-Jährige aber nicht nur über den Bayern-Rivalen, sondern auch über seinen überaus schweren Start in Deutschland und seine Erfahrungen in der Bundesliga.
ran: Herr Tare, Sie sind 1992 als 17-Jähriger alleine nach Deutschland gekommen und mussten bei null anfangen, obwohl Sie damals immerhin schon albanischer U21-Nationalspieler waren. Was waren die Gründe für die Flucht?
Igli Tare: Es war für uns damals gar nicht möglich, legal nach Deutschland zu kommen, weil in Albanien erst die kommunistische Ära zu Ende gegangen ist. Die ersten drei Jahre waren auch sehr, sehr schwierig. Aber im Nachhinein waren Altin Rrakli, Altin Lala und ich die ersten Lokomotiven, die in der Bundesliga den Weg für die albanischen Generationen nach uns freigemacht haben.
ran: Sie mussten aber zu Beginn in Mannheim als Asylbewerber in einem Heim wohnen und beim Grünflächenamt arbeiten. Das hatten Sie sich vermutlich anders vorgestellt?
Tare: Das Arbeiten hat mir nichts ausgemacht, im Gegenteil. Die Erfahrungen damals, auch die weniger guten, haben mir sehr geholfen, um zu verstehen, was wichtig im Leben ist. Das wird mir im Rückblick immer klarer. Auch die fußballerischen Erfahrungen in der Oberliga bei Südwest Ludwigshafen für zwei Jahre und ein Jahr beim VfR Mannheim. Das war gut für meinen Charakter.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Aber es war schon eine harte Zeit, oder?
Tare: Ja, aber ich bin ein Mensch, der aus negativen Erfahrungen immer auch Positives herauszieht. Das muss so sein, wenn man im Leben etwas erreichen will. Ich bin dankbar für die Jahre in Deutschland. Ich habe sehr viel gelernt, wenn es um die Disziplin und Organisation geht. Das waren sehr wichtige Erfahrungen, gerade um mich in Italien durchzusetzen. Ich habe viel von der deutschen Mentalität mit hierhin genommen.
Tare blickt auf die Vergangenheit zurück
ran: Wie blicken Sie auf Ihre Zeit als Profi in Deutschland zurück?
Tare: Die ersten Jahre waren ganz schwierig, weil ich mich an ein neues Land und eine neue Sprache anpassen musste. Aber dann hat mir Winfried Schäfer als No-Name die Chance beim Karlsruher SC in der Bundesliga gegeben, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Danach habe ich sportlich und privat von 1997 bis 1999 die schönsten Jahre meines Lebens in Düsseldorf verbracht und seitdem eine sehr emotionale Verbindung zur Stadt und zur Fortuna.
Externer Inhalt
ran: In Kaiserslautern lief es danach nicht mehr so gut…
Tare: Das stimmt, aber ich durfte von Otto Rehhagel lernen, einem der größten Trainer aller Zeiten in Deutschland. Ich habe auch danach eine sehr enge Beziehung zu ihm gehabt, er hat mich zwei-, dreimal in Rom besucht. Und ich habe eine deutsche Frau, deshalb ist die Bindung mit diesem Land sehr, sehr eng.
ran: Sie sind Anfang 2001 in die Serie A gewechselt und haben erfolgreich in Brescia und Bologna gespielt, ehe Sie 2005 zu Lazio Rom wechselten und dort nach drei Jahren als Profi direkt zum Sportdirektor befördert wurden, was sie insgesamt 14 Jahre geblieben sind. Ein Rekord im italienischen Fußball…
Tare: Genau, ich war bei meinem Abschied im vergangenen Sommer der mit Abstand am längsten amtierende Sportdirektor in der Serie A. Wir haben in eine Erfolgsgeschichte geschrieben, zweimal den Pokal und dreimal den Supercup gewonnen und uns mehrfach für die Champions League qualifiziert. Ich bin stolz auf das, was wir geleistet haben in diesen Jahren, denn ich weiß noch ganz genau, in welchem Zustand Lazio bei meinem Dienstantritt war.
ran: Es war zu lesen, Sie hätten 2023 auch wegen Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Claudio Lotito aufgehört. Ist das richtig?
Tare: Nein, das stimmt nicht. Ich hatte schon vor langer Zeit meinem Präsidenten mitgeteilt, dass es meine letzte Saison werden würde, weil für mich nach 15 sehr intensiven Jahren die Zeit für eine Pause gekommen war. Das ist die gleiche Geschichte wie jetzt bei Jürgen Klopp mit Liverpool. Und ich habe Lazio auf dem zweiten Platz und mit einer intakten Mannschaft übergeben.
Das bedeutet Lazio gegen Bayern
ran: Wie viel von Ihrer Handschrift steckt denn im aktuellen Team von Lazio?
Tare: Der Großteil ist identisch mit der Mannschaft vom letzten Jahr. Daher ist meine Bindung auch immer noch sehr stark. Ich fiebere immer noch mit Lazio mit und drücke ihnen gegen Bayern natürlich die Daumen.
ran: Das Team läuft derzeit als Achter in der Liga den Erwartungen etwas hinterher, oder?
FC Bayern: Tuchel will Kroos? Real-Star reagiert auf Gerüchte
Tare: Es stimmt, dass die Leistungen in der Hinrunde nicht sehr konstant waren. Aber in den letzten sieben Spielen gab es fünf Siege und ein Unentschieden und es ist alles sehr eng beieinander. Bis zu Platz vier, der für die Champions League berechtigt, sind es nur fünf Punkte Rückstand.
ran: Was bedeutet das für das Spiel gegen Bayern?
Tare: Anders als 2021, wo wir im Achtelfinale gegen Bayern zweimal verloren haben, ist die Mannschaft reifer geworden. Und das Stadion wird auch ausverkauft und es wird sicher eine Super-Stimmung sein. Und man hofft auf noch einen schlechten Tag wie Samstag in Leverkusen. Allerdings wissen alle bei Lazio auch, dass Bayern normalerweise nicht zweimal hintereinander so einen schlechten Tag erwischt. Es geht für sie um die Ehre, schließlich repräsentieren die Spieler eine Mannschaft, die zu den Favoriten auf den Gewinn der Champions League gehört. Das Schöne im Fußball ist ja, dass man nach drei Tagen schon wieder die Möglichkeit hat, Wiedergutmachung für eine Niederlage zu betreiben. Und am Mittwoch hat Bayern so eine Möglichkeit.
ran: Was sind denn die die Stärken von Lazio?
Tare: Vor allem die Organisation. Maurizio Sarri lässt defensiv mehr Ball- als Mann-orientiert spielen. Das machen sonst kaum noch Trainer in Europa. Das Problem ist allerdings der Angriff, denn Lazio hat bisher gerade mal 23 Tore in der Meisterschaft geschossen und das ist sehr seltsam für eine Mannschaft, die eigentlich sehr offensiv spielt. Immobile hat erst sechs Tore in der Meisterschaft. Das ist ein bisschen der Schwachpunkt.
Tare erklärt: Darum scheiterte Immobile beim BVB
ran: Welche Rolle spielt Ciro Immobile generell für Lazio?
Tare: Er ist einer der besten Torjäger in der Geschichte der Serie A, aber in den letzten 20 Jahren mit Abstand der Beste. Er hat in den vergangenen Jahren Außergewöhnliches geleistet, fast jede Saison um die 25 Tore gemacht und war insgesamt viermal Torschützenkönig. Jetzt hatte er immer wieder Verletzungsprobleme und nicht die Leistungen zeigen können, die man von ihm gewöhnt war. Aber seine Bedeutung für die Mannschaft ist nach wie vor sehr hoch und am Wochenende hat er beim Sieg gegen Bergamo wieder ein Tor erzielt. Er hatte einige gute Aktionen wie früher und könnte am Mittwoch einer der Protagonisten werden.
ran: Wie erklären Sie sich, dass Immobile bei seinem einjährigen Gastspiel bei Borussia Dortmund zum Transferflop wurde?
Tare: Das ist einfach zu erklären: Der Wechsel von italienischer auf die deutsche Mentalität. Das ist eine andere Lebensqualität, die Sprache ist eine andere und man hat auch keine Geduld gehabt mit ihm. Aber Immobiles Qualität stand nie in Frage. Er kam damals als Torschützenkönig der Serie A nach Dortmund, das spricht ja eine eindeutige Sprache über seine Klasse.
ran: Welche anderen Spieler muss man bei Lazio noch im Blick haben?
Tare: Die Mannschaft hat sehr viele erfahrene Profis. Romagnoli in der Abwehr war mehrere Jahre Kapitän von Milan. Pedro war einer der Topstars bei Barca und Chelsea. Felipe Anderson, Luis Alberto und Vecino sind weitere wichtige Stammkräfte. Und im Tor steht mit Provedel der beste Torwart der Serie A im letzten Jahr. Also insgesamt ist das Team sehr viel weiter als 2021, deshalb hoffe ich, dass es diesmal nicht so ein Spaziergang für Bayern wird, als es zur Halbzeit schon 0:3 stand.
ran: Wie groß ist der Vorteil, dass diesmal wieder Zuschauer im Stadion sein werden?
Tare: Am Mittwoch wird das Stadio Olimpico ein Hexenkessel sein. Es sind über 65.000 Tickets verkauft, das Stadion wird ausverkauft und die die Stimmung sehr, sehr heiß sein.
ran: Was sagen Sie zu den Berichten, dass Lazio nach wie vor Probleme mit rechtsradikalen Anhängern hat?
Tare: Das Problem existiert so nicht mehr seit einigen Jahren. Die Mehrzahl der Fans sind ganz normal. Da hat sich sehr viel verändert dank einer sehr guten Arbeit des Vereins. Man kann nach Rom kommen und man kann ganz normal ins Stadion gehen und dort feiern.
Das wünscht sich Tare für's Spiel
ran: Sie wollen zur neuen Saison wieder einsteigen. Haben Sie eine bestimmte Liga als Ziel?
Tare: Alles ist möglich, auch Deutschland, England oder wieder Italien. Ich bin ein Kosmopolit und habe in vielen Ländern meine Erfahrungen gesammelt. Für mich zählt das Projekt und die Ambitionen des Vereins, nicht das Geld.
ran: Gab es schon Anfragen aus Deutschland?
Tare: Nein, aus Deutschland nicht. Ich habe schon Anfragen, aber ich habe einige absagen müssen, weil ich ein paar Monate Pause haben wollte, um mich total zu regenerieren.
ran: Sie sollen vor zwei Jahren schon mal ein Angebot von Eintracht Frankfurt als Nachfolger von Fredi Bobic gehabt haben. Stimmt das?
Tare: Das habe ich nie bestätigt, aber ich hatte immer sehr gute Beziehungen zu Eintracht Frankfurt.
ran: Wer kommt ins Viertelfinale?
Tare: Bayern geht als klarer Favorit in dieses Spiel und wird wahrscheinlich auch diese Runde überstehen. Aber ich hoffe und wünsche mir, dass Lazio sich sehr, sehr teuer verkaufen wird.