DFB-Krise
DFB-Boss Rettig - FC Bayern sollte raus aus der Schmollecke
- Aktualisiert: 19.09.2023
- 10:29 Uhr
- Martin Volkmar
Der FC Bayern ist verärgert über die Berufung von Andreas Rettig zum neuen starken Mann im DFB. Dafür gibt es gute Gründe, doch noch mehr spricht dafür, über den eigenen Schatten zu springen. Ein Kommentar.
Ja, die DFB-Führung hätte den FC Bayern vorab von der Berufung von Andreas Rettig zum neuen Geschäftsführer Sport informieren müssen. Dass Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Co. dies aus den Medien erfuhren, ist schlechter Stil.
An der ablehnenden Haltung des Rekordmeisters gegenüber dem neuen starken Mann im deutschen Fußball hätte dies aber auch nichts geändert. Das zeigt schon die Tatsache, dass sowohl Rummenigge als auch Hoeneß seit Freitag nicht auf Rettigs Kontaktaufnahme reagierten.
Wobei der Unmut der Bayern über die "diskussionswürdige Personalie" nachvollziehbar ist, schließlich geht "Schweinchen Schlau" (Rudi Völler) den Münchnern seit Jahren mit seinen Forderungen zwischen sachlicher Kritik und polemischer Überspitzung auf die Nerven.
Spätestens als Geschäftsführer des FC St. Pauli gefiel sich Rettig in seiner Rolle als Robin Hood der kleineren Profiklubs und sprach sich unter anderem gegen Werksvereine und zu großen Investoren-Einfluss sowie für die strikte Beibehaltung von 50+1 und eine Umverteilung der TV-Gelder von oben nach unten aus.
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FC Bayern gegen "König der Scheinheiligen"
Und nach dem Ausscheiden tingelte er als Mahner gegen die Auswüchse der Kommerzialisierung im Fußball durch die Medien. Nach seinen Boykott-Forderungen gegen die WM in Katar ernannte der schwer verärgerte Hoeneß Rettig zum "König der Scheinheiligen".
Dass ausgerechnet dieser vermeintliche Querulant und Klassenkämpfer nun der wichtigste Entscheider im größten Sportverband der Welt wird, passt dem Branchenprimus daher gar nicht. Doch die Bayern sollten aus der Schmollecke rauskommen und über ihren Schatten springen.
Denn Rettigs Berufung kann schief gehen, wie der neue Mann selbst zugab. Sie ist aber zunächst mal vor allem eine Chance für den DFB, in seiner vermutlich tiefsten Krise - sportlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich - tatsächlich die Wende zu schaffen.
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Das Wichtigste in Kürze
Rettig: Glaubwürdigkeit, Visionen, Fan-Nähe
Weil der 60-Jährige für Glaubwürdigkeit, Visionen, Respekt und Fan-Nähe steht. All das ist dem DFB und vor allem der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren Stück für Stück abhanden gekommen. Es ist daher nicht nur mutig, sondern auch richtig, dass sich die Verbandsspitze getraut hat, einen unbequemen Mahner und Chefkritiker in die Verantwortung zu nehmen.
Im alten Trott, das hat unter anderem auch die wenig überzeugende Arbeit der Task Force mit Rummenigge und dem ebenfalls zurückgetretenen Oliver Mintzlaff gezeigt, konnte es nicht mehr weitergehen. Es muss tatsächlich ein Neuanfang her, den Rettig personifizieren kann.
Auch Watzke hätte Rettig ablehnen können
Das haben andere Spitzenfunktionäre aus der Bundesliga erkannt, weshalb sich die DFL-Vertreter in den DFB-Gremien, unter anderem Hans-Joachim Watzke, Oliver Leki und Alexander Wehrle, einstimmig für Rettig ausgesprochen haben.
Sie hätten ebenfalls gute Gründe für eine Ablehnung gehabt und allen Beteiligten ist klar, dass die Zusammenarbeit mit Rettig anspruchsvoll und vermutlich auch kompliziert werden wird. Doch nur mit einem solch konstruktiv-kritischen und ehrlichen Dialog können die dringend nötigen Verbesserungen und die erhoffte Aufbruchstimmung in Richtung Heim-EM 2024 erreicht werden.
Die Bayern sollten sich daher ernsthaft überlegen, ob sie für etwas Neues oder nur dagegen sein wollen.