Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande
DFB: Die Erkenntnisse aus der Kader-Nominierung von Julian Nagelsmann
- Aktualisiert: 15.03.2024
- 11:54 Uhr
- Chris Lugert
Bundestrainer Julian Nagelsmann wischt wenige Monate vor EM-Start einmal den Kader durch. Die aktuelle Nominierung ist ein Fingerzeig in viele Richtungen und beantwortet viele Fragen - aber nicht alle.
Von Chris Lugert
Julian Nagelsmann kündigte eine kleine Revolution im DFB-Kader an, und bei seiner dritten Nominierung als Bundestrainer hielt der 36-Jährige Wort. Arrivierte Spieler wie Leon Goretzka oder Mats Hummels sind raus. Neue, frische Kräfte sind dabei.
Auf den Tag genau drei Monate vor dem Eröffnungsspiel der Heim-EM gegen Schottland macht Nagelsmann deutlich, dass es ein "Weiter so" unter ihm nicht geben kann und wird. Nach drei mehr oder weniger desolaten Turnieren soll neues Personal wieder für Aufbruchstimmung unter den deutschen Fußballfans sorgen.
Wenngleich sich das Aufgebot für die beiden Länderspiele in Frankreich (23. März) und gegen die Niederlande (26. März) vom endgültigen EM-Kader in Detailfragen und auf der einen oder anderen Position noch unterscheiden dürfte, so hat Nagelsmann bereits deutliche Signale gesetzt, die über das reine Spielermaterial hinausgehen.
ran blickt auf die Erkenntnisse der Nominierung.
DFB-Kader: Das Leistungsprinzip zählt wieder
Über viele Jahre schien es einen Automatismus für einige Spieler zu geben, der selbst bei noch so schlimmen Formkrisen oder schwachen Leistungen zu einer Nominierung für den DFB-Kader führte. Im Gegenzug blieben Spieler mit besseren Leistungen auf der Strecke.
Das Wichtigste zum DFB-Team
Zu unterstellen, Joachim Löw oder Hansi Flick hätten aus persönlicher Verbundenheit auf ihre Lieblinge gesetzt und das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt, ginge zu weit. Allerdings entstand häufig der Eindruck, man verlasse sich bei einzelnen Spielern auf ihren Marktwert oder auf die Qualitäten, die sie auf dem Papier zwar haben, auf dem Platz aber zu selten zeigten.
Nagelsmann hat dieses Leistungsprinzip nun wieder eingeführt - und zwar mit einer Vehemenz, die so nicht zu erwarten war. Besonders deutlich bekam das Borussia Dortmund zu spüren. Von einem BVB-Block, wie er früher als Gegengewicht zum Bayern-Block existierte, ist nichts mehr übrig. Einzig Niclas Füllkrug vertritt die schwarz-gelben Farben im DFB-Team.
Niklas Süle, Mats Hummels und Julian Brandt sind im Vergleich zum November nicht mehr dabei. Dass Brandt ein ausgezeichneter Fußballer ist, dass Hummels viel Erfahrung mitbringt, dass Süle unbestritten das Zeug zu einem Weltklasseverteidiger hat - Nagelsmann ist es egal. Die Leistungen zählen, und die hat das Trio nicht gebracht.
Ganz im Gegensatz zu den Neulingen, die jetzt im Kader stehen. Gleich ein halbes Dutzend Spieler ist erstmals dabei, darunter Jan-Niklas Beste vom 1. FC Heidenheim, Waldemar Anton und Deniz Undav vom VfB Stuttgart oder Maximilian Beier von der TSG Hoffenheim. Sie alle sind keine Stars, aber von ihrer Leistung her mit das Beste, was es im deutschen Fußball derzeit gibt.
Indem Nagelsmann den Freibrief abgeschafft hat, gleichzeitig aber beweist, dass Leistung belohnt wird, lässt er Spielern wie Leon Goretzka oder Serge Gnabry immer noch die Chance, doch noch auf den EM-Zug aufzuspringen. Die Botschaft: Die Spieler haben es selbst in der Hand.
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Mats Hummels kann nur noch ein Wunder helfen
Für einen gilt das allerdings eher weniger, und das ist Mats Hummels. Nagelsmann gab dem Routinier mehr oder weniger klar zu verstehen, dass er für ihn keinen Platz im Kader sieht. Ja, er habe zuletzt wenig beim BVB gespielt, betonte Nagelsmann mit Blick auf Hummels. Vor allem aber: In seinen taktischen Überlegungen spielt der Abwehrspieler keine Rolle mehr.
Zwei andere Innenverteidiger, erklärte der Bundestrainer, seien gesetzt, und meinte damit offensichtlich Antonio Rüdiger und Jonathan Tah. "Und dann geht es darum aus Trainersicht, die Spieler zu finden, die die Backup-Rolle ideal ausfüllen. Und da sehe ich Mats nicht als ideale Besetzung." Das war deutlich.
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Robin Koch und Waldemar Anton hingegen würden für die Rolle als Ersatzmann besser taugen. Und Nagelsmann schob vielsagend hinterher: "Die Crux ist es, nicht immer die besten Spieler zu finden, sondern die am besten passenden." Meinte er damit, dass Hummels ein schwieriger Charakter ist, wenn er nicht spielt?
So oder so ist der EM-Traum für Hummels damit ziemlich sicher ausgeträumt. Fällt der 35-Jährige in den kommenden zweieinhalb Monaten nicht in einen Jungbrunnen und spielt beim BVB die Sterne vom Himmel, war es das für ihn.
Weitere Überraschungen sind denkbar
Jan-Niklas Beste ist sicherlich der überraschendste Name im aktuellen DFB-Kader, doch mit Blick auf die EM muss das Ende des Debütantenballs noch lange nicht erreicht sein. Besonders der VfB Stuttgart, der bereits ein Quartett im aktuellen Aufgebot stellt, hat es Nagelsmann offenbar angetan.
So bestätigte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß, dass sich der Bundestrainer bei ihm auch nach Josha Vagnoman und Angelo Stiller erkundigt habe. Im Falle von Mittelfeldspieler Stiller habe ihm Nagelsmann bestätigt, "dass er sehr genau hinschaut bei ihm" und dass man nie wisse, "was bis zur EM noch alles passieren kann". Für Vagnoman spreche aus seiner Sicht "ganz klar, dass er in der Lage ist, die besten Spieler in Europa zu verteidigen", sagte Hoeneß.
Nagelsmann hat also offenbar keine Angst davor, auch unmittelbar vor dem Turnier einen Überraschungsmann reinzuwerfen - so wie es bei der WM 2006 Jürgen Klinsmann mit David Odonkor gemacht hatte. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen.
Torwartfrage offen - schlechte Aussichten für Trapp
Manuel Neuer ist erstmals seit der WM in Katar wieder Teil des DFB-Kaders, doch ob der frühere Kapitän auch die Nummer eins bei der EM sein wird, ist noch unklar. Nagelsmann erklärte, er wolle zunächst das Gespräch mit Neuer und seinem Konkurrenten Marc-Andre ter Stegen vom FC Barcelona suchen.
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Der Barca-Profi hatte zuletzt mehrere Monate mit einer Rückenverletzung gefehlt und gab erst vor wenigen Wochen sein Comeback. Bei den Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich im November war er nicht dabei, zuvor konnte er in den Spielen als Neuer-Vertreter nur wenig Eigenwerbung betreiben.
Für die nun anstehenden Länderspiele hat Nagelsmann sogar vier Torhüter nominiert. Neben Neuer und ter Stegen sind auch Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) und Bernd Leno vom FC Fulham dabei. Nicht berufen wurde hingegen Kevin Trapp, der in Österreich noch im Tor gestanden hatte.
Nun muss sich der Keeper von Eintracht Frankfurt ganz hinten anstellen. "Ich habe mit Trappo telefoniert. Er war natürlich sehr enttäuscht und geknickt. Am Ende geht es um das Momentum. Oliver Baumann und Bernd Leno sind aktuell den Tick besser drauf. Auch in der Art und Weise, wie wir das Spiel eröffnen wollen, sind sie momentan einen Tick stabiler", so Nagelsmann.
Da für die EM ohnehin nur drei Torhüter nominiert werden dürfen, sind die Aussichten für Trapp besonders düster. Er müsste gleich zwei seiner Konkurrenten überholen. Dass die Frankfurter international nicht mehr vertreten sind und er diesen Vorteil nicht mehr ausspielen kann, ist für ihn besonders bitter.
Ilkay Gündogan bleibt DFB-Kapitän
Unabhängig von der Frage, wer letztlich das deutsche Tor hüten wird, hat sich Nagelsmann in einem anderen Punkt bereits festgelegt. Ilkay Gündogan wird als Kapitän die EM bestreiten, auch wenn Neuer wieder Stammkeeper wird.
"Ilkay bleibt Kapitän. Er ist stolz, die Binde zu tragen. Das Wort von Manu wird aber weiter Gewicht haben", sagte Nagelsmann, der aber bemüht war zu verdeutlichen, dass die Frage des Spielführers für ihn nur ein Nebenaspekt sei.
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"Dieses Kapitänsthema ist für mich etwas, das die Mannschaft betrifft. Er soll Anlaufstelle für Spieler sein, und da ist es nicht nur Ilkay, sondern auch andere Spieler sollen Anlaufstelle sein", betonte der Bundestrainer.
Gündogan, Teamkollege von ter Stegen beim FC Barcelona, war noch von Hansi Flick im vergangenen Herbst zum Kapitän ernannt worden.
Pavlovic hat sich entschieden - könnte aber noch kippen
Einer, der neben Gündogan spielen könnte, ist Aleksandar Pavlovic. Durch die Nominierung des Youngsters vom FC Bayern hat sich der DFB zumindest vorerst gegen den serbischen Verband durchgesetzt. "Ich freue mich sehr über die Nominierung für die deutsche A-Nationalmannschaft", sagte der 19-Jährige der "Bild".
Der Sohn einer deutschen Mutter und eines serbischen Vaters betonte, dass es keine Entscheidung gegen Serbien gewesen sei, sondern für Deutschland. "Ich bin in München geboren und aufgewachsen, habe meinen ganzen fußballerischen Weg beim FC Bayern verbracht und freue mich auf die kommenden Länderspiele mit Deutschland", sagte er.
Allerdings könnte Pavlovic seine Meinung bis zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz für das DFB-Team noch ändern, erst dann hätte er sich endgültig festgespielt. Pavlovics Aussagen lassen aber darauf schließen, dass er das nicht vorhat.
Nagelsmann betonte, es sei "keine politische Nominierung" gewesen, Pavlovic zu berufen. "Ich habe ihn auch nicht überzeugen müssen, für Deutschland zu spielen. Es war sein Wunsch. Und er hat einfach sehr gute Leistungen gezeigt", sagte er. Allerdings werde man erst sehen müssen, ob Pavlovic schon ein Kandidat für die EM sei, ergänzte er.