DFB-Team
DFB-Team - Die Lehren aus dem Frankreich-Spiel: Perfekter Domino-Effekt
Die deutsche Nationalmannschaft präsentiert sich beim Sieg in Frankreich in herausragender Verfassung. Das Spiel liefert gleich mehrere Erkenntnisse, die es in den kommenden Spielen zu überprüfen gilt.
Vom DFB-Team berichtet Tobias Hlusiak
Der Auftakt ins Länderspieljahr 2024 ist der deutschen Nationalmannschaft spektakulär gut gelungen. Das 2:0 (1:0) in Frankreich war absolut verdient.
Julian Nagelsmann war zuvor mit Kadernominierung und Aufstellung ins Risiko gegangen - und wurde belohnt.
Welche Schlüsse wird der Bundestrainer aber genau aus dem Erfolg über den größten Favoriten für die deutsche Heim-EM in knapp drei Monaten ziehen?
ran gibt einen Überblick.
Das Wichtigste in Kürze
1. Projekt "Zauberer" hat Zukunft
Obwohl beide erst knapp über 20 Jahre alt sind, gelten Florian Wirtz (20) und Jamal Musiala (21) schon seit geraumer Zeit als die unverkennbar größten Talente des deutschen Fußballs.
Und trotzdem war es bislang nie so wirklich gelungen, beide gemeinsam auf dem Platz frei wirbeln zu lassen.
Bevor der Münchner und der Leverkusener Frankreich am Samstagabend in Lyon den Vize-Weltmeister auseinanderspielten, performten sie in ihrer DFB-Karriere bis dahin nur in insgesamt sieben Spielen für mickrige 270 Minuten zusammen. Nur dreimal standen beide gemeinsam in der Startelf.
Nagelsmann scheint nun die Formel gefunden zu haben.
In einem völlig frei agierenden "Zehner-Trio" ließ der Bundestrainer Musiala, Wirtz und den erfahrenen Ilkay Gündogan hinter Spitze Kai Havertz tun und lassen, was sie wollten.
Externer Inhalt
DFB: Musiala adelt Kroos: "Mit Toni kann ich richtig gut zocken"
"Meine Aufgabe ist, für Balance und Stabilität zu sorgen. Dann können die beiden das tun, was sie am besten können", hatte der Kapitän vor dem Spiel gesagt. Tatsächlich setzte er dies in die Tat um und spielte eine etwas weniger strahlende Rolle - mit Luft nach oben, wie er später selbst eingestand (die DFB-Elf in der Einzelkritik).
Musiala und Wirtz aber setzten exakt das um, was der Bundestrainer von ihnen sehen wollte. Sie wirbelten, tauschten die Positionen und lösten mit ihren außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten ständig knifflige Situationen auf.
Die deutsche Mannschaft war für die Franzosen in weiten Teilen des Spiels quasi nicht zu stoppen.
"Wir müssen die beiden dahin bringen, dass sie den Fußball spielen, den sie in den Beinen haben", sagte Toni Kroos zu Beginn der Woche über die beiden Riesen-Talente: "Sie sollen uns allen Spaß machen und nicht untergehen."
Im ersten Spiel 2024 gelang dies herausragend. "Mit Flo zocke ich sehr gerne", sagte Musiala selbst. "Wir verstehen uns total gut und sprechen auch neben dem Platz viel."
Deutschland vs. Frankreich: Internationale Pressestimmen - Lob für DFB-Elf
2. Der Chef ist auch der Schlüssel
Viel war über das Comeback von Toni Kroos geschrieben worden. Am Samstagabend war es schließlich so weit.
998 Tage nach dem Ausscheiden im Achtelfinale der EM 2021 im Wembley Stadion lief der fünfmalige Champions-League-Sieger wieder für Deutschland auf. Und wie!
Vom Anstoß weg - den er in den Assist zu Wirtz' Rekord-Tor umwandelte - war der 34-Jährige der unangefochtene Chef auf dem Platz.
Nagelsmanns Plan, ihn als Absicherung und Taktgeber für die vier Offensiven zu installieren und ihm mit Robert Andrich einen waschechten Ausputzer an die Seite zu stellen, ging grandios auf.
Hinterher überschlugen sich Experten und Mannschaftskollegen vor Lob für den Rückkehrer. Auch Nagelsmann selbst stimmte mit ein.
"Wir wissen alle, was er mit dem Ball kann. Aber auch wie er sich in Zweikämpfe reingehauen hat. Er hat unfassbar viel gearbeitet, war defensiv sehr stabil und ein Taktgeber", sagte der 36-Jährige. "Er ist immer anspielbar und fordert jeden Ball. Das gibt den anderen Spielern Sicherheit. Sie wissen, wenn mal Stress oder Druck ist, ist der Ball bei Toni meistens gut aufgehoben."
Es scheint, als wäre Toni Kroos exakt der Spieler gewesen, der der Mannschaft über Jahre abgegangen war.
DFB: Füllkrug zu Nagelsmann-Zukunft: "Was ist das für eine Frage?"
3. Kimmich-Domino sorgt für viele Sieger
Die Reaktivierung von Kroos und dessen zwangsläufige Implementierung in die erste Elf machte den langjährigen Platzhirschen auf dieser Position abkömmlich.
Joshua Kimmich wurde - ein wenig auch gegen seine eigene Überzeugung - wieder nach hinten rechts verschoben. Dort soll er eine weitere Lücke stopfen, die dort seit Jahren mal mehr, mal weniger groß klafft.
In Lyon stellte man ihm gleich die größtmögliche Aufgabe im Weltfußball: ein Duell mit Kylian Mbappe.
Kimmich bestand und verteidigte schlau. Geschwindigkeitsnachteile glich er durch meist gutes Stellungsspiel aus. Eine einzige Chance ließ der Bayern-Star - der auch im Verein seit einiger Zeit wieder in der Viererkette zu Hause ist - zu.
In dieser Form macht Kimmich die Nationalmannschaft auf kurze und lange Sicht besser.
Gute Aussichten also für die EM, auch weil durch Kimmichs Positions-Domino gleich mehrere Spieler in ihren Rollen besser zurechtzukommen scheinen: Kroos, Gündogan und Kimmich selbst.
4. Endlich wieder ein Bollwerk?
Zehn Spiele lang war der deutschen Nationalmannschaft eine "weiße Weste" verwährt geblieben. Immer gab es mindestens ein Gegentor - meistens sogar mehr.
Ausgerechnet gegen die mehr als potente Offensive der Franzosen hielt man den Laden nun erstmals seit dem 2:0 gegen Peru in Mainz im März 2023 wieder sauber.
Hier und da war sicherlich Glück dabei. Und doch zeichnet sich ab, dass die Wahl des Innenverteidiger-Duos bestehend aus Real Madrids Toni Rüdiger und Jonathan Tah von Bayer Leverkusen richtig ist.
Rüdiger nennt seinen Nebenmann liebevoll "kleinen Bruder". Auf dem Platz merkt man dem Zusammenspiel der beiden an, dass sie sich auch neben dem Platz gut verstehen.
Ein starker Vortrag im Spielaufbau, dazu rigoros in den Zweikämpfen und in den allermeisten Fällen gut abgestimmt. So dürfte es für die Herausforderer Robin Koch und Waldemar Anton und auch die daheimgebliebenen Mats Hummels, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle schwer werden, wieder in die Mannschaft zu rutschen.