DFB-Team - Die Lehren aus dem Niederlande-Spiel: Ein Blatt voller Joker
Die deutsche Nationalmannschaft siegt drei Tage nach der Galavorstellung in Lyon auch gegen die Niederlande. Das Spiel liefert gleich mehrere Erkenntnisse, auch weil es nicht durchweg nach Plan läuft.
Vom DFB-Team berichtet Tobias Hlusiak
Auch das zweite Spiel im EM-Jahr 2024 hat die deutsche Nationalmannschaft siegreich gestaltet. Nach frühem Rückstand drehte die DFB-Auswahl die Partie gegen den Erzrivalen noch in einen 2:1-Sieg.
Damit ist das Team von Julian Nagelsmann auf einem sehr guten Weg. Viel besser als viele Beobachter noch vor wenigen Tagen erwartet hatten.
Welche Schlüsse wird der Bundestrainer aus dem Erfolg über den Mitfavoriten für die deutsche Heim-EM in knapp drei Monaten ziehen?
Die zwei Länderspiele haben gezeigt, dass Julian Nagelsmann sehr weit ist mit seiner Kaderplanung für die EM.
Gleich zu Beginn der Maßnahme, führte er im Teamhotel in Frankfurt jede menge Einzelgespräche und verteilte die ihm vorschwebenen Rollen an die Spieler.
Dass er dann in beiden Partien die gleiche Startelf auf den Rasen schickte, zeigt auch, dass es ihm damit ernst ist.
Gut ist, dass die Herausforderer verstanden zu haben scheinen, was der Bundestrainer von ihnen erwartet. Das zeigte sich besonders gegen die Niederländer.
Chris Führich, Thomas Müller und Niclas Füllkrug kamen allesamt rund zwanzig Minuten vor Schlusspfiff ins Spiel und waren gleich mittendrin.
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Müller macht sich über Van Dijk lustig
Ihre Geschwindigkeit und Spielfreude sorgte für die starke deutsche Schlussphase, die schließlich vom Siegtreffer durch BVB-Stürmer Füllkrug gekrönt wurde (85.).
"Auch die beiden Außenverteidiger die reingekommen sind, haben nochmal wichtige Zweikämpfe gewonnen und sich voll reingehauen", ergänzte Thomas Müller und meinte damit David Raum und Benjamin Henrichs, die jeweils zehn Minuten Spielzeit bekamen.
Die Mischung stimmt also. Noch in den EM-Kader zu rutschen, dürfte deshalb auch schwierig werden.
"Wenn alle fit sind, dann werden wir im Sommer keine zehn Spieler austauschen. Auch keine fünf. Vielleicht nur ein bis zwei. Die, die jetzt nicht dabei waren, müssen besser sein als die jetzt", sagte Nagelsmann.
Der Bundestrainer weiß, dass er sich derzeit auf den zweiten Anzug ebenso verlassen kann, wie auf den ersten. (Die DFB-Elf in der Einzelkritik).
Deutschland vs. Niederlande: Noten beider Teams in der Einzelkritik
Deutschland vs. Niederlande: Einzelkritiken und Noten beider Teams Nach dem fulminanten 2:0 in Frankreich gewinnt die DFB-Elf auch ihr Heimspiel gegen die Niederlande Dank eines späten Treffers mit 2:1 (1:1). ran zeigt die Noten aller Spieler in der Einzelkritik.
Marc-Andre ter Stegen Beim frühen Gegentreffer ohne Chance. Bei Depays Chance (18.) dann blitzschnell am Boden. Erst zu Beginn des zweiten Durchgangs wieder gefordert, gegen Malens Knaller aber auf dem Posten (50.). Auf dem Posten, wenn er gebraucht wird. Hält in der Nachspielzeit sicher gegen Weghorst. Erneut ein solider Vertreter für Manuel Neuer. ran-Note: 3
Joshua Kimmich In der Offensive hält sich der Bayern-Star weitestgehend zurück. Hinten aber – wie schon gegen Frankreich – sehr solide. Kein herausragendes Länderspiel des Münchners, aber auch kein schlechtes. ran-Note: 3
Antonio Rüdiger Der Abwerchef gibt ständig Kommandos, weil er besonders mit der Performance links von ihm nicht wirklich zufrieden scheint. Starke Grätsche bei einer Hereingabe (51.). Ansonsten umsichtig und ohne wilde Phasen. ran-Note: 2
Jonathan Tah Am 0:1 gleich doppelt beteiligt. Erst erreicht er Mittelstädts Ball nicht, dann bleibt er gegen Depay zu passiv. Hat gegen den Stürmer von Atletico Madrid das gesamte Spielzeit über seine kleineren Probleme. Bei eigenem Ballbesitz im Spielaufbau – wie schon gegen Frankreich – immer bereit, auch den steilen Pass zu spielen. ran-Note: 3
Maximilian Mittelstädt Beginnt sein zweites Länderspiel denkbar schlecht. Spielt erst einen schlimmen Fehlpass in den Lauf von Depay und rutscht dann aus, als er dessen Pass zu Torschütze Veerman verhindern will. Sieben Minuten später dann mit Weltklassetor zum Ausgleich (11.). Auch in der zweiten Hälfte mit einem starken Fernschuss (65.) In der Rückwärtsbewegung kommt der Stuttgarter heute aber nicht im Spiel an. Immer wieder ist seine Seite offen. Da muss die Abstimmung besser werden. ran-Note: 3
Robert Andrich Erneut perfekter Partner für Kroos, dessen Ruhe auf den Leverkusener abzufärben scheint. Spielt eigentlich immer den richtigen Ball und läuft Räume zu, wenn sie entstehen. Gelb, weil er Depay per Grätsche zu Fall bringt (52.). Macht kurz darauf Platz für Groß. ran-Note: 2
Toni Kroos Wie gegen die Franzosen unumstrittener Chef auf dem Platz, wenngleich nicht ganz so omnipräsent. Giftig in den Zweikämpfen gibt er bei eigenem Ballbesitz Tempo und Rhythmus vor. Gelb nach taktischem Foul. Schlägt die scharfe Ecke, die Füllkrug zum 2:1 verwertet. Zweiter Assist im zweiten Spiel nach dem Comeback. ran-Note: 2
Jamal Musiala Legt überlegt zu Mittelstädts erstem Länderspieltor auf. Wenig später dann Zuckerpass auf Gündogan, der sofort frei vor Oranjes Keeper auftaucht – aber vergibt (17.). Leider hat er wohl Schlittschuhe an – rutscht ständig im Dribbling weg oder verzettelt sich. Vergibt die große Chance auf seinen dritten Länderspieltreffer, weil Verbruggen stark hält. ran-Note: 4
Ilkay Gündogan Muss nach 17 Minuten eigentlich zur deutschen Führung treffen, schließt aber zu ungenau ab. Verhindert dafür aufmerksam im eigenen Strafraum den erneuten Rückpass. Erneut nicht so gut, wie er eigentlich sein könnte. Gegen tiefstehende Niederländer ohne zündende Idee. Nach gut einer Stunde geht er raus. ran-Note: 4
Florian Wirtz Überall auf dem Platz unterwegs aber in vielen Situationen glücklos, weil in letzter Konsequenz zu ungenau. Kann seine Zauberkräfte heute nicht so entfalten, wie zuletzt gewohnt. Zwanzig Minuten vor Schluss nimmt ihn Nagelsmann runter. ran-Note: 4
Kai Havertz Lässt sich oft weit fallen, um sich am Kombinationsspiel zu beteiligen. Ganz vorne kaum eingebunden oder gefunden. Trotzdem oft mit dabei, wenn der Ball durch die deutschen Reihen läuft. Kommt bei Führichs scharfer Flanke einen Schritt zu spät (68.). Danach geht er raus – Füllkrug kommt. ran-Note: 3
Chris Führich Nagelsmanns erster Joker für die Offensive. Kommt in Minute 58 für Gündogan und geht auf den linken Flügel. Durch seine Tempoläufe ein belebendes Element. ran-Note: 3
Pascal Groß Bekommt in seinem fünften Länderspiel eine halbe Stunde neben Kroos. Fällt nicht weiter auf. Das soll er in seiner Rolle aber auch gar nicht. ran-Note: 3
Thomas Müller Kommt für Wirtz in die Partie (73.). Zehn Minuten später mit einer Riesenchance auf den Siegtreffer, die er aber aus aussichtsreicher Position vergibt. ran-Note: 2
Niclas Füllkrug Kommt wie gegen Frankreich von der Bank (73.). Legt nach zehn Minuten stark für Müllers Riesenchance auf. Eine Minute später macht er es per Kopf eben selbst. Sein elftes Tor im 15. Länderspiel. Eine echte Knipser-Quote. ran-Note: 2
Bart Verbruggen Sechstes Länderspiel für den Keeper von Brighton, der beim 1:1 durch Mittelstädt machtlos ist. Verhindert aber wenig später gegen den freistehenden Gündogan den Rückstand. Danach weitgehend beschäftigungslos bis zu Mittelstädts Distanzschuss (65.), den er zur Ecke klärt. Hält die Gäste in der Schlussphase mit Glanzparaden gegen Musiala (76.) und Müller (83.) im Spiel, ehe er Füllkrugs Kopfball zum 2:1 nur noch minimal hinter der Linie rausholen kann. ran-Note: 2
Denzel Dumfries Der Profi von Inter Mailand macht die rechte Abwehrseite relativ gut dicht und schaltet sich im Zusammenspiel mit Malen auch immer wieder mit Flankenläufen nach vorne ein. Vor allem nach der Pause sehr offensiv. ran-Note: 3
Matthijs de Ligt Aufmerksame Partie des Bayern-Innenverteidigers angesichts des deutschen Dauerdrucks in der Anfangsphase. Hinten wie zuletzt in der Bundesliga sicher, leitet zudem vorne per Kopf eine Großchance ein (33.). ran-Note: 3
Virgil van Dijk Der Kapitän muss als zentraler Abwehrspieler in der ersten Hälfte teilweise Schwerstarbeit verrichten, um größeres Ungemach für sein Team zu verhindern. Organisiert die Hintermannschaft danach lange so gut, dass kaum deutsche Torchancen zu verbuchen sind. Doch in der turbulenten Schlussphase muss auch er tatenlos zuschauen, wie das Spiel noch verloren geht. ran-Note: 3
Nathan Ake Der Verteidiger von Manchester City hat anfangs wie die gesamte Defensive viel Arbeit, ehe er im Laufe der Partie immer sicherer steht und kaum noch was zulässt. Gewinnt einige wichtige Zweikämpfe. ran-Note: 3
Daley Blind 106. Länderspiel für den früheren Münchner, der auf der linken Seite zeitweise einen schweren Stand hat und nach einem Foul an Wirtz früh Gelb sieht (17.). Gefährlicher Freistoß (33.). Nach dem Wechsel deutlich weniger gefordert. ran-Note: 3
Jerdy Schouten Der Mittelfeldspieler von PSV Eindhoven agiert mit seinem Vereinskollegen Veerman als Doppelsechs, wo beide aufgrund der deutschen Dominanz zu Beginn weite Wege gehen müssen. Im Laufe der Begegnung immer stabiler. Nach 76 Minuten gegen de Roon ausgewechselt. ran-Note: 3
Joey Veerman Schon nach vier Minuten darf der 25-Jährige sein erstes Länderspieltor bejubeln, als er per Volley schön abschließt. Danach vor allem defensiv gefordert und dort mit einer ordentlichen Leistung. ran-Note: 3
Tijjani Reijnders Der Milan-Profi agiert hinter den Spitzen, kann aber kaum Akzente setzen. Unauffällig bis zur 57. Minute, als er freistehend aus bester Position übers Tor schießt. Geht nach 66 Minuten für Timber vom Platz. ran-Note: 4
Donyell Malen Der Dortmunder nutzt als hängende Spitze immer wieder seine Schnelligkeit für gefährliche Gegenstöße, vor allem über die etwas anfällige linke deutsche Seite. Leitet mehrere gute Angriffe ein. Scheitert zweimal an ter Stegen (19, 50.) und kommt nach Blinds Kopfball knapp zu spät (33.). Nach 76 Minuten gegen Gakpo ausgewechselt. ran-Note: 2
Memphis Depay In vorderster Front mit großem Engagement und vielen gelungenen Aktionen. Leitet die frühe Führung ein, macht viele Bälle in der Offensive fest und sorgt immer wieder für Gefahr. Nur ein Tor fehlt, weil er aus bester Position übers Tor schießt (61.). Geht nach 76 Minuten erschöpft für Weghorst vom Feld. ran-Note: 2
Wout Weghorst Der Hoffenheimer Stürmer wird nach 76 Minuten für Depay in die Partie gebracht, hat aber erst in der Nachspielzeit seine erste Chance, die ter Stegen pariert. ran-Note: ohne Bewertung
Marten de Roon Der defensive Mittelfeldspieler aus Bergamo kommt nach 76 Minuten für Schouten, kann aber deutlich weniger für Ordnung in der stürmischen deutschen Schlussphase sorgen. ran-Note: ohne Bewertung
Xavi Simons Der Leipziger darf erst nach 89 Minuten für Blind ran, um nochmal für Schwung zu sorgen. Verpasst kurz danach den Ausgleich, als er mit einem schönen Distanzschuss an ter Stegen scheitert. ran-Note: ohne Bewertung
Mats Wieffer Der Mittelfeldspieler von Feyenoord kommt nach 89 Minuten für Veerman. Bleibt ohne nennenswerte Aktion. ran-Note: ohne Bewertung
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2. Ein Loch ist zu schließen
Maximilian Mittelstädt hat aufregende Tage hinter sich. Mit 27 Jahren hat er nun seine ersten beiden Länderspiele absolviert.
"Wenn ich Maxi sehe, wie abgeklärt der das gemacht hat in seinem ersten Länderspiel, das ist absolut hervorzuheben", überschüttete ihn Chef Toni Kroos nach seinem Debüt gegen Frankreich mit Lob.
Spiel zwei begann denkbar ungünstig. Ein schlimmer Fehlpass des Stuttgarters, gefolgt von einem Ausrutscher beim Klärungsversuch, führte zum frühen Rückstand.
Trotzdem kämpfte sich der gebürtige Berliner ins Spiel zurück, traf vorne per Traumtor und bot dem erstaunlich schlechten Rasen mit großem Willen die Stirn.
"Sehr guter Spieler, viel Ehrgeiz, viel Power und dazu noch ein top Typ, der tut uns gut", befand der Bundestrainer hinterher.
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Mittelstädt nach Traumtor: Meine Mama war im Stadion
Mittelstädt hat gute Chancen im EM-Kader zu stehen, das steht fest. Und dennoch, oder gerade deshalb, wartet noch Arbeit auf den Neuling.
Denn in der Rückwärtsbewegung war gerade gegen die Niederländer der Wurm drin. Fast alle gefährlichen Angriffe der Gäste entstanden über die linke deutsche Seite.
Die Abstimmung zwischen dem linken Innenverteidiger Jonathan Tah und Mittelstädt und auch die mit dem (meist) linken Außenspieler Florian Wirtz klappte in der Defensive nicht immer reibungslos.
So stand der linke Mann der Viererkette oft allein gegen zwei Gegenspieler. Hier muss an der Feinabstimmung gearbeitet werden.
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3. Der Geist hat sich gewandelt
In Frankreich hatte das Spiel kaum begonnen, da führte die deutsche Mannschaft bereits. Das gab natürlich Sicherheit. In Frankfurt war es gegen Oranje nun genau umgekehrt.
Der große Fehler von Mittelstädt führte zum frühen Rückstand nach nur vier Minuten. Und trotzdem übernahm die DFB-Elf ohne zu zögern die Kontrolle über das Spiel, kam so erst zum Ausgleich und spät noch zum Sieg.
"Vor ein paar Monaten wären wir wahrscheinlich nach dem 0:1 halb zusammengebrochen - aber das ist nicht passiert", stellte Toni Kroos fest.
Die Mannschaft erarbeitete sich das nötige Spielglück, durch den neu wiederentdeckten Glauben an die eigene Stärke.
"Dadurch kommen wir relativ schnell zurück und es beginnt gar nicht die Phase, in der du anfängst, an allem zu zweifeln", meinte Thomas Müller.
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Füllkrug: "Zu früh für maximale Euphorie"
Rekordnationalspieler Lothar Matthäus hatte am Nachmittag vor dem Spiel bei einem Termin seines Partners "Interwetten" appelliert, man müsse wieder dahin kommen, sich nicht nach dem Gegner zu richten, sondern konsequent an die eigenen Stärken zu glauben.
Das aktuelle Team glaubt an sich und zieht seinen Stil durch.
Das ist ein großer Verdienst des Bundestrainers. Er hat es geschafft, innerhalb weniger Tage die Stimmung zu drehen. Sowohl im Mannschaftskreis als auch bei den Fans.