Überangebot für Nagelsmann
DFB-Team: Diese Auswahl an Stürmern kann zum EM-Titel führen
- Aktualisiert: 07.05.2024
- 10:02 Uhr
- Chris Lugert
So eindrucksvoll die Stürmer-Historie der deutschen Nationalmannschaft ist, so düster sah es auf der so wichtigen Position in den vergangenen Jahren aus. Pünktlich zur Heim-EM aber ist die Auswahl an Spitzenpersonal wieder riesig - und kann zum Trumpf im Turnier werden. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
"Aus meiner Sicht ist dieser Typ auf einem anderen Level. Er ist nicht so schnell, nicht so kräftig, aber er ist so effektiv. Er wird aus meiner Sicht unterschätzt."
Diese Aussage tätigte niemand Geringeres als Alessandro del Piero, zu seinen aktiven Zeiten einer der besten Stürmer der Welt. Adressat dieses riesigen Lobes war ein gewisser Niclas Füllkrug. Der Dortmunder Angreifer wurde nach seinem Siegtreffer gegen Paris Saint-Germain (1:0) im Halbfinal-Hinspiel in der Champions League von del Piero mal eben in den Adelsstand erhoben.
Spätestens seit diesem Tor ist Füllkrug in aller Munde und hat sich seinen Platz auf dem internationalen Parkett erkämpft. "Er ist auch eine echte Gefahr im Strafraum. Das ist ein echter Stürmer", schwärmte del Piero bei "CBS Sports" über den 31-Jährigen.
Solche Bewunderung für einen DFB-Stürmer ist mit Blick auf die Historie von deutschen Angreifer an sich nicht ungewöhnlich, schließlich trugen Größen wie Gerd Müller, Uwe Seeler, Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, Jürgen Klinsmann oder Miroslav Klose - um nur ein paar zu nennen - über viele Jahre das Trikot der Nationalmannschaft.
Doch dieser außergewöhnlichen Ansammlung an Weltklasse-Stürmern fehlte in den vergangenen Jahren der Nachschub. Deutschland, das Land der Mittelstürmer, hatte plötzlich ein Mittelstürmer-Problem.
Das Wichtigste zur EM
Eine Fehlentwicklung, die verschiedene Ursachen hatte. Vorrangig ließen die spanischen Erfolge zwischen 2008 und 2012 plötzlich an der Notwendigkeit eines klassischen Stürmers zweifeln. Der Begriff "falsche Neun" prägte das Vokabular nachhaltig, auch in der deutschen Nationalmannschaft. Mit Blick auf die jahrzehntelange Identität des DFB-Teams ein Sakrileg.
Gut sechs Wochen vor der Heim-EM (14. Juni bis 14. Juli) aber sieht die Welt wieder ganz anders aus. Mit Füllkrug, Kai Havertz und Deniz Undav hat Bundestrainer Julian Nagelsmann drei herausragende Stürmer zur Auswahl, die sich in ihrem Wesen kaum deutlicher unterscheiden könnten und sich gerade deshalb so perfekt ergänzen. Was aber noch wichtiger ist: Alle drei spielen in den wichtigsten Wochen der Saison auf einem Niveau nahe der europäischen Spitzenklasse.
Was wurde aus Behrens und Ducksch?
Es ist eine Metamorphose, die genau rechtzeitig kommt - und so noch im vergangenen Herbst nicht abzusehen war. Havertz steckte damals in einer Formkrise beim FC Arsenal und wurde von Nagelsmann sogar als Linksverteidiger (!) aufgestellt. Die Fans der "Gunners" weinten den 60 Millionen Euro hinterher, die für Havertz an den FC Chelsea flossen.
Der kometenhafte Aufstieg von Undav wiederum stand damals erst am Anfang. Niemand konnte ahnen, dass der VfB Stuttgart seine damals noch als Zwischenhoch betrachtete Leistungsexplosion durchziehen könnte. Füllkrug war der Einzelkämpfer in einem verunsicherten deutschen Team, doch auch der Neu-Dortmunder war nicht unumstritten.
In seiner Not nominierte Nagelsmann zu jener Zeit alles, was in der Liga halbwegs zuverlässig traf. So kamen auch Kevin Behrens und Marvin Ducksch zu Einsätzen - Behrens hat seither genau ein weiteres Tor in der Liga erzielt. Ducksch beendete seine Torflaute zuletzt zwar, doch Angst und Schrecken auf der EM-Bühne würde er nicht ausstrahlen.
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DFB-Trio ergänzt sich perfekt
Ganz anders als das Trio, das aller Voraussicht nach zur EM fahren wird. Füllkrug entscheidet K.o.-Spiele in der Champions League. Havertz ist bei Arsenal längst zum Publikumsliebling geworden und mit 13 Toren wettbewerbsübergreifend der drittbeste Schütze seines Teams, das in der vielleicht stärksten Liga der Welt Meister werden kann. Und Undav ist derzeit nach Zahlen der beste deutsche Stürmer überhaupt und mit seiner Bodenständigkeit schon jetzt ein absoluter Sympathieträger.
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Rein taktisch bietet dieses Trio Antworten für alle möglichen Gegner und Situationen. Füllkrug ist der klassische Wandspieler, der Bälle ablegen kann und sich in jeden Zweikampf schmeißt. Dazu ist er eiskalt vor dem Tor. Havertz überzeugt als Komplettpaket aus technischen Fertigkeiten, körperlicher Präsenz und Abschluss, hat seine Stärken aber nicht mit dem Rücken zum Tor. Dafür ist er im Kombinationsspiel wertvoller.
Undav wiederum ist mit seinen 1,79 Metern Körpergröße deutlich kleiner als Füllkrug (1,89 m) und Havertz (1,93 m) und schon allein deshalb ein anderer Spielertyp. Hohe Bälle sind bei ihm wenig zielführend, dafür versteht er es perfekt, seine Mitspieler in Szene zu setzen. Seine neun Torvorlagen sind Bestwert beim VfB.
So bildet Undav mit Serhou Guirassy ein unwiderstehliches Duo, was Nagelsmann nicht entgangen sein dürfte. So wäre auch eine Formation mit Undav plus Havertz/Füllkrug denkbar.
Stürmer als Trumpf bei der EM?
Diese Flexibilität könnte bei der EM ein entscheidender Trumpf werden auf dem Weg zum Titel. Nur wenige Nationalmannschaften können auf solch ein Stürmertrio blicken, das nicht nur völlig unterschiedliche Stärken mitbringt, sondern außerdem auch geschlossen auf einem derart hohen internationalen Niveau spielt.
Und so scheint es angesichts der aktuellen Form durchaus denkbar, dass sich die Namen Füllkrug, Havertz und Undav nicht nur in die Reihe der großen deutschen Stürmer einreihen, sondern Mitte Juli auch mit dem EM-Pokal feiern dürfen.