Nach den teils desolaten Vorstellungen in den vergangenen Monaten produzierte die DFB-Auswahl mit dem 2:1-Sieg im Test gegen Frankreich endlich wieder positive Schlagzeilen.
Auch Jürgen Kohler, Weltmeister von 1990, äußerte sich im ran-Interview zufrieden mit der Leistung. Er gab aber auch zu bedenken, dass der Sieg nur ein erster Schritt gewesen sein kann.
Außerdem macht sich der 57-Jährige für Felix Magath als Bundestrainer bis zur Heim-EM stark und verrät, was der Vorteil von Julian Nagelsmann wäre.
ran: Herr Kohler, die deutsche Mannschaft hat beim Sieg gegen Frankreich im Vergleich zu den Spielen davor wie verwandelt gewirkt. Wie erklären Sie sich das?
Jürgen Kohler: Verwandelt würde ich nicht sagen. Sie haben ein gutes Spiel gemacht. Es war von Anfang an ein guter Einsatz da, eine gute Laufbereitschaft. Das hat die Mannschaft gut umgesetzt. Auf der anderen Seite muss man auch ganz ehrlich sagen, dass die Franzosen auch fünf, sechs Mann draußen gelassen haben – ob verletzungsbedingt oder aus anderen Gründen, weiß ich nicht. Trotzdem können wir zufrieden sein mit der Leistung. Auch das Publikum hat ja die Zweikämpfe und die hohe Laufbereitschaft mit Applaus bedacht.
ran: Überall heißt es nun, die Rückbesinnung auf die deutschen Tugenden sei der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Ist es wirklich so einfach?
Kohler: Welcher Erfolg? Man hat ein Spiel gewonnen. Vorher hatte man fünfmal keinen Erfolg gehabt aus irgendwelchen Gründen. Ich glaube, dass es ein guter erster Schritt war, den sich vor allem die Mannschaft auch verdient hat. Sie stand ja schon hart in der Kritik. Jetzt hat sie ein kleines Ausrufezeichen gesetzt. Ich hoffe, dass die Spieler auch gesehen haben: Leidenschaft, Einsatz, Laufbereitschaft sind die Grundtugenden, die Basics, die man braucht, um überhaupt salonfähig in ein Spiel zu gehen. Das haben sie zu 100 Prozent umgesetzt, das war sehr erfreulich.
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Das größte Lob muss an die Mannschaft gehen
Jürgen Kohler, Weltmeister 1990
ran: Viel Lob hat auch Rudi Völler bekommen. Sie kennen ihn gut. Was glauben Sie: wird er vielleicht doch noch schwach und sagt zu, bis zur und während der Heim-EM Bundestrainer zu bleiben?
Kohler: Das muss Rudi beantworten. Das kann ich ja gar nicht beantworten (lacht). Das größte Lob muss eigentlich an die Mannschaft gehen, weil sie von der ersten Sekunde an Gas gegeben hat. Sehr erfreulich war, dass auch nach den Einwechslungen kein großes Gefälle zu erkennen war. Man hat schon gesehen, dass da Substanz da ist. Ob es immer so geht, weiß man aber nicht, weil wir von der Veranlagung her eine spielerische Mannschaft haben, die Fußball spielen will. Neben Can hat auch Groß für mich ein klasse Spiel im Mittelfeld gemacht, weil er sehr mannschaftsdienlich spielt. Da ich selbst im Stadion war, kann ich das beurteilen.
ran: Könnten Sie sich aber zumindest vorstellen, dass Rudi Völler weitermacht?
Kohler: Nein. Ich glaube nicht. Rudi hat sich da früh entschieden und auch ganz klar festgelegt, dass er das nur für ein Spiel macht. Das muss man dann auch respektieren.
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Deutschland vs. Frankreich: Die Noten zum Länderspiel
Noten: Deutschland siegt mit Völler gegen Frankreich Gelungener Neustart für die deutsche Nationalmannschaft unter Rudi Völler: Im ersten Spiel nach der Entlassung von Hansi Flick schlägt der EM-Gastgeber den Vize-Weltmeister Frankreich nach guter Leistung mit 2:1 (1:0). Wir haben die Noten für beide Mannschaften.
Marc-Andre ter Stegen Sicherer Rückhalt im Tor, der ein starkes Spiel zeigt. Verhindert zweimal gegen Tchouameni (Kopfball, 38., Flachschuss, 57.) sowie in der Schlussphase gegen Griezmann (82.) den Ausgleich. Beim 1:2 durch Griezmanns Foulelfmeter (89.) in der richtigen Ecke, aber chancenlos. ran-Note: 2
Niklas Süle Nach der Geburt seines zweiten Kindes wieder in der Startelf. Verliert anfangs noch teilweise den Überblick, wenn die Franzosen schnell machen, im Laufe der Begegnung aber immer sicherer. Trägt seinen Teil dazu bei, dass die Defensive wesentlich besser steht als zuletzt. ran-Note: 2
Jonathan Tah Erstes Länderspiel für den Leverkusener seit Juni 2022, der aufgrund seiner bislang guten Saison im Verein überraschend von Völler auf der rechten Abwehrseite gebracht wird. Solide Vorstellung ohne Fehler, ist so eine echte Option auf Außen. ran-Note: 2
Antonio Rüdiger Der Profi von Real Madrid hat immer wieder Probleme mit dem quirligen Kolo Muani und kann froh sein, dass Schiedsrichter Taylor nach einem leichten Schubser gegen den Ex-Frankfurter nicht auf Elfmeter entscheidet (20.). Zu oft einen Schritt zu spät, in der zweiten Hälfte aber verbessert. ran-Note: 3
Benjamin Henrichs Der Leipziger, im Klub Rechtsverteidiger, erhält die Chance auf der ungewohnten linken Seite und nutzt sie vor allem in der Anfangsphase, als er viel Druck nach vorne macht und das frühe 1:0 vorbereitet. Mit zunehmender Spieldauer aber defensiv stark gefordert von Coman, den er aber letztlich in Schach halten kann. ran-Note: 2
Emre Can Im heimischen Stadion agiert der Dortmunder im defensiven Mittelfeld deutlich konsequenter als beim 1:4 gegen Japan. Gewinnt mehrere wichtige Bälle in der Rückwärtsbewegung, leistet sich aber auch viele unnötige Ballverluste. ran-Note: 3
Ilkay Gündogan Unglücklicher Abend für den Kapitän. Leitet zunächst mit einem Ballgewinn die Führung ein und hat einigen Anteil an der guten deutschen Auftaktphase. Muss aber nach einem Sturz auf den Rücken schon nach 25 Minuten verletzt vom Platz. ran-Note: 3
Leroy Sane Guter Beginn des Bayern-Profis, der mehrmals für Gefahr sorgt. Großes Laufpensum, hilft auch nach hinten, aber dafür nach vorne mit zunehmender Spieldauer zu ungefährlich. Erzielt dann kurz vor Schluss nach einem Konter das umjubelte 2:0 (87.), was er aber postwendend mit einem Foul im Strafraum gegen Thuram hinfällig macht. ran-Note: 3
Florian Wirtz Der Youngster zeigt Licht und Schatten. Wie seine Mitspieler viel mehr in Bewegung als zuletzt und mit einigen guten Ideen, aber nach wie vor auch zu vielen Fehlpässen. Verpasst aus guter Position das mögliche 2:0 (66.). Zwölf Minuten später ausgewechselt. ran-Note: 3
Serge Gnabry Auch der zweite Bayern-Offensivspieler sorgt am Anfang über links für mächtig Wirbel und lässt seinen früheren Teamkollegen Benjamin Pavard mehrfach schlecht aussehen. Taucht aber im Laufe der Partie immer mehr ab und geht nach 64 Minuten für Brandt vom Feld. ran-Note: 3
Thomas Müller Der Routinier erhält von Völler das Vertrauen in der Sturmspitze und rechtfertigt die Nominierung mit einer starken Leistung in seinem 123. Länderspiel. Krönt seinen Auftritt schon nach vier Minuten mit dem Tor zum 1:0, womit er mit nunmehr 45 Länderspieltreffern mit Karl-Heinz Rummenigge gleichzieht. Macht nach 64 Minuten mit vollem Einsatz Platz für Havertz. ran-Note: 2
Pascal Groß Der Neuling muss schon nach 25 Minuten für Gündogan aufs Feld. Hat zunächst große Probleme und leistet sich einige gefährliche Ballverluste. Nach dem Wechsel konzentrierter und besser im Spiel. ran-Note: 3
Kai Havertz Der Arsenal-Legionär ersetzt Müller nach 64 Minuten in der Angriffsmitte. Hat zunächst Schwierigkeiten, ins Spiel zu finden, bereitet dann aber wunderschön Sanes 2:0 vor. ran-Note: 3
Julian Brandt Der BVB-Flügelspieler kommt nach 64 Minuten zu seinem "Heimspiel", als er Gnabry ersetzt. Leitet zwei Minuten später beinahe das 2:0 durch Wirtz ein. ran-Note: 3
Jonas Hofmann Der Leverkusener wird von Völler ebenfalls nach 78 Minuten ins Spiel gebracht, als er Gnaby ersetzt. Tut sich etwas schwer im ungewohnten linken Mittelfeld, hilft aber defensiver als Gnabry mit, den Vorsprung über die Zeit zu bringen. ran-Note: Ohne Bewertung
Benjamin Pavard Gleich zu Beginn große Probleme gegen den quirligen Gnabry. Hat auch danach Probleme im Eins-gegen-Eins, stabilisiert sich aber zunehmend. Dennoch die Schwachstelle der französischen Abwehr. ran-Note: 4
Jean-Clair Todibo Beim 0:1 nicht zwingend genug gegen Henrichs, danach jedoch im Verbund mit Nebenmann Saliba kaum zu überwinden. Verhindert mit einem starken Block gegen Wirtz zunächst das 0:2 (67.), leitet dann mit einem katastrophalen Fehlpass aber jenes ein. ran-Note: 4
Theo Hernandez Lässt sich von Sane vor dem ersten Tor ziemlich vorführen. Seine gefürchteten Offensivaktionen kann er gegen Tah nur sporadisch anbringen, seinen Flanken fehlt meist die Präzision. ran-Note: 4
Aurelien Tchouameni Defensiv im Mittelfeld kaum zu überwinden, sowohl im direkten Zweikampf als auch als Abfangjäger extrem stark. Hat gleich zwei gute Kopfballchancen gegen Ende der ersten Halbzeit. ran-Note: 2
Eduardo Camavinga Tchouamenis Klubkollege von Real Madrid leistet sich viele einfache Fehler und wirkt in einigen Situationen fahrig. Allerdings auch immer wieder mit guten Ideen nach vorne. Holt clever den Elfmeter raus. ran-Note: 3
Kingsley Coman Beißt sich an Henrichs lange die Zähne aus, kann in der 23. Minute erstmals eines seiner bekannten Dribblings ansetzen. Auffälligster Franzose in der Offensive, muss aber immer wieder hart einstecken. ran-Note: 3
Adrien Rabiot Spielt im defensiven 4-4-2 der Franzosen im linken Mittelfeld, rückt bei eigenem Ballbesitz aber meist in die Zentrale. Hat die wenigsten Akzente im Spiel und findet keine wirkliche Bindung. ran-Note: 4
Antoine Griezmann Frankreichs Kapitän taucht quasi überall auf, eigene Torgefahr strahlt er aber kaum aus. Dennoch Dreh- und Angelpunkt des französischen Spiels und mit vielen klugen Pässen. Prüft ter Stegen in der Schlussphase mit einem strammen Linksschuss und bleibt kurz vor Schluss beim Elfmeter cool. ran-Note: 2
Randal Kolo Muani Der ehemalige Frankfurter hängt in der ersten halben Stunde meist in der Luft, hat aber auch Pech, dass er nach einem Schubser von Rüdiger keinen Elfmeter bekommt. Hat danach mehr Aktionen, ein Ausrutscher in bester Position kostet ihn den möglichen Ausgleich (57.). ran-Note: 3
Ousmane Dembele Übernimmt in der 65. Minute den Platz von Coman auf der rechten Seite. Wird vom Dortmunder Publikum mit Pfiffen empfangen, bereitet der DFB-Abwehr aber direkt Kopfschmerzen. Kann das Spiel aber auch nicht mehr wenden. ran-Note: 3
Marcus Thuram Ersetzt in der 65. Minute Kolo Muani in der Sturmspitze. Versucht sich direkt einzubringen, bleibt aber ohne gefährliche Aktion. ran-Note: 3
Youssouf Fofana Ersetzt in der Schlussphase Rabiot. ran-Note: Ohne Bewertung
ran: Welche Trainer wären für Sie die besten Alternativen? Sollte jetzt schnell jemand für die EM gefunden werden oder sollte man sich schon jetzt Zeit nehmen für eine langfristige Lösung?
Kohler: Vor allem ist wichtig, dass ein Trainer kommt, der viel Erfahrung hat, der auch solche Situationen schon erlebt hat und der weiß, wie Titel zu gewinnen sind. Da wäre für mich zum Beispiel Felix Magath jemand, der zumindest bis zum Sommer die Mannschaft in die Spur bringt, weil er eine klare Handschrift und eine klare Struktur hat, die die Mannschaft auch braucht – auf dem Platz und außerhalb des Platzes. Jetzt kann man wieder sagen, das ist alles old school, alles quatsch. Aber ich zitiere hier Otto Rehhagel, der gesagt hat, gut ist, wer gewinnt. Magath hat schon mit verschiedenen Mannschaften bewiesen, dass er Titel holen kann. Deshalb wäre er mich, zumindest erstmal bis zum Sommer die Top-Lösung.
ran: Aktuell scheint allerdings Julian Nagelsmann die erste Wahl zu sein. Es sollen schon Gespräche mit ihm laufen.
Kohler: Langfristig muss man einfach sehen, inwieweit man ihn auch in die Ausbildung mit reinnehmen würde. Im Jugendbereich weiß er schon, wovon er spricht, weil er ja selbst einige Jahre im Jugendbereich gearbeitet hat. Das wäre ein ganz dickes Plus. Ob er der Richtige ist oder nicht, das werden wir alle erst sehen, wenn er oder jemand anderes anfängt. Das ist Kaffeesatzleserei. Über Julian Nagelsmannn kann man sicherlich nachdenken. Ich bin und bleibe aber dabei: Wenn Sie mich nach meiner Wunschlösung fragen, wäre der beste Mann Jürgen Klopp. Denn er hat noch eine ganz andere Gabe. Er kann Menschen mitnehmen, er kann Menschen begeistern. Aber das wird schwer.
ran: Im Nachhinein betrachtet: War die Entlassung von Hansi Flick richtig?
Kohler: Irgendwann musste man eine Entscheidung treffen. Entweder man macht mit Hansi Flick weiter und zieht es durch bis zum Vertragsende oder man hat den Eindruck gewonnen, dass es doch vielleicht irgendwo Disharmonien gegeben hat. Flick hat sicherlich Verdienste um den deutschen Fußball. Er hat immerhin sieben Titel mit Bayern München gewonnen. Aber ich denke, dass die Entscheidung im Nachhinein richtig ist, weil man jetzt schon den Eindruck hatte, dass die Mannschaft befreiter ist. Nur die Wahrheit ist auch, das müssen sie erstmal über eine lange Strecke zeigen. Da zeigt sich, ob es nur ein kleines Strohfeuer war oder ob die Spieler wirklich verstanden haben, was es heißt, für die deutsche Nationalmannschaft aufzulaufen.
ran: Was muss sich Flick ankreiden lassen?
Kohler: Ich bin nicht in der Position, irgendwelche Themen aufzugreifen. Ich war ja nie bei einer Mannschaftssitzung dabei. Der eine oder andere Spieler war vielleicht schon irgendwie gehemmt, wenn man zum Vergleich dazu das Spiel gegen Frankreich betrachtet. Trotzdem ist das für mich keine Entschuldigung. Die Spieler stehen in der Pflicht, gute Leistungen zu bringen, und zwar nicht nur bei der EM, sondern auch auf dem Weg bis dahin.
ran: Sie hatten selbst dem DFB nach der missratenen WM in Katar ihre Unterstützung angeboten. Gilt dieses Angebot noch?
Kohler: Dass ich meine Unterstützung angeboten habe, stimmt so nicht. Ich wurde von dem Moderator gefragt, ob ich mir so etwas vorstellen könnte. Ich habe daraufhin nur gesagt, sie haben ja meine Nummer.
ran: Ist das Thema DFB dann für sie endgültig abgehakt?
Kohler: Im Fußball habe ich gelernt, niemals nie zu sagen. Manchmal gibt es eben Umstände, wo man auch ein Stück weit Erfahrung einbringen muss. Ich glaube sogar, dass der deutsche Fußball, was die Erfahrung von ehemaligen Spielern, Trainern und Managern betrifft, so viele PS auf der Straße hat, die gar nicht genutzt werden. Da muss man schon die Augen und Ohren offenhalten.