DFB-Team: Patriots-Trikots, Pass-Formen und "Kante" Julian Nagelsmann
Beim DFB hat die Ära Julian Nagelsmann begonnen - in einem Wald mitten in Massachusetts. Kapitän Gündogan hat der Bundestrainer bereits überrascht - mit seiner Statur.
Aus Foxborough berichtet Heiko Oldörp
Zugegeben, es fällt schwer, sich beim Blick auf das New England Revolution Training Center vorzustellen, dass ausgerechnet hier eventuell der Grundstein für eine neue Fußball-Euphorie in Deutschland gelegt werden soll.
Ja, dass auf den beiden hiesigen Rasenplätzen von Foxborough, einem 18.000-Einwohner-Städtchen irgendwo im Nirgendwo von Massachusetts, womöglich ein solcher Teamspirit entsteht, der die zuletzt so schwächelnde Deutsche Fußball-Nationalmannschaft gar zum Europameister 2024 im eigenen Land führen könnte, ist nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Für Fans des American Football ist Foxborough, knapp 35 Kilometer südwestlich von Boston, natürlich ein fester Begriff. Gar eine Art Pilgerstätte. Denn hier steht das Gillette Stadium, Heimat der New England Patriots.
Von hier aus haben einst Quarterback-Ikone Tom Brady und der ewig maulige Trainer-Kauz Bill Belichick mit ihren "Pats" die National Football League dominiert, in 17 Jahren sechs Mal den Super Bowl gewonnen.
Football und Foxborough - logo. Aber Fußball?
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DFB-Team: Wie formstark ist der Kader von Julian Nagelsmann tatsächlich?
Wie formstark ist der Kader des DFB? Diese Frage stellen sich in Deutschland gerade viele. Von der vermeintlichen Aussetzung des Leistungsprinzips war in der Vergangenheit unter Hansi Flick zu lesen. Ist das beim neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann besser? ran macht den Check und prüft die Form der Nominierten.
Torhüter: Marc-Andre ter Stegen (36 Länderspiele) Seit Jahren spielt er beim FC Barcelona auf sehr hohem Niveau. Auch wenn es bei der Nationalmannschaft hier und da in der Vergangenheit einen Patzer gab, ist er zu Recht fester Bestandteil des Teams und die klare Nummer eins. Bei Barca wurde er zuletzt sogar Vizekapitän, blieb in elf Partien sechsmal ohne Gegentor. ran-Note zur aktuellen Form: 2.
Kevin Trapp (7 Länderspiele) Der Saisonstart mit Eintracht Frankfurt verlief holprig für Trapp – was jedoch nicht hauptsächlich an ihm lag. In der Europa League sah er zuletzt auf zweifelhafte Art und Weise die Rote Karte. Trotzdem: Trapp hat eine überragende Quote von 89,3 Prozent gehaltener Torschüsse. Nationalelfmaterial! ran-Note: 2.
Bernd Leno (9 Länderspiele) Für Fulham zeigt der 31-Jährige aktuell ordentliche Leistungen und Paraden. Zwar hagelte es zuletzt gegen Manchester City fünf Gegentore, doch bei allen war er chancenlos. Unter den vier Torhütern hat er zumindest mal die beste Quote an gehaltenen Torschüssen (76,7 Prozent). ran-Note: 3.
Oliver Baumann (0 Länderspiele) Der Hoffenheimer ist seit Jahren ein wichtiger Rückhalt für die TSG und so auch in dieser Saison wieder. Bei ihm weiß der DFB zuverlässig, was er bekommt. Zwar zählt Baumann nicht zu den besten Torhütern der Welt, aber er kann vieles auf hohem Niveau. Seine Konstanz ist dabei beeindruckend. ran-Note: 3.
Abwehr: Antonio Rüdiger (62 Länderspiele) Zweikampfstark und aggressiv wie eh und je präsentierte sich Rüdiger zuletzt bei Real Madrid, wo er längst zum Stammspieler wurde. Die Rückkehr von Mats Hummels könnte beim DFB für Veränderungen sorgen, doch leistungstechnisch kann sich der Innenverteidiger nichts vorwerfen lassen. Eine verdiente Nominierung. ran-Note: 2.
Malick Thiaw (2 Länderspiele) Zeigte zuletzt unter anderem gegen den BVB gute Leistungen, ohne aber zu überragen. Dass er auch unter Nagelsmann eine Rolle spielt, ist die Belohnung für seine Arbeit. Ob es allerdings zu mehr reicht, bleibt abzuwarten. Thiaw ist hier und da noch etwas wacklig im Zweikampf, auch wenn das für einen jungen Spieler ganz normal ist. ran-Note: 3.
Jonathan Tah (17 Länderspiele) Einer der vielen Senkrechtstarter bei Leverkusen. Nimmt dort die Rolle ein, die man seit Jahren von ihm erwartet hat und geht mit gutem Beispiel voran. In der Vergangenheit noch oft für Unsicherheiten gut, zeigt er bisher eine fast schon ungekannte Sicherheit mit und ohne Ball. Kann dem Team durchaus Halt geben, wenn er eine Chance bekommt. ran-Note: 1.
Mats Hummels (76 Länderspiele) Halt erwartet sich Nagelsmann auch von Rückkehrer Hummels. Beim BVB ist er einer der stärksten Spieler der bisher durchwachsenen Saison. Die große Frage wird sein, wie schwer sein Tempodefizit wiegt. Nagelsmann steht für sehr schnellen und offensiven Fußball. Sportlich ist Hummels auch in guter Verfassung nicht fehlerlos. Gegen Hoffenheim verursachte er beispielsweise einen unnötigen Elfmeter. ran-Note: 2.
Niklas Süle (47 Länderspiele) Seinen Stammplatz hat Süle zuletzt verloren, seine Bindung zu Ex-Trainer Nagelsmann offenbar nicht. Dieser setzte den robusten Innenverteidiger auch gern mal auf der rechten Außenbahn ein. Jetzt wieder? Auch wenn Süles Form wegen mangelnder Einsatzzeit kaum zu bewerten ist, so ist das wohl die einzige Chance, wenigstens beim DFB Minuten zu sammeln. ran-Note: 4.
David Raum (18 Länderspiele) Einer von zwei Linksverteidigern im Kader. Bei RB Leipzig ist er aktuell unverzichtbar. In zehn Pflichtspielen gelangen ihm vier Scorerpunkte. Sein Drang nach vorne scheint Nagelsmann überzeugt zu haben. Defensiv hat Raum seine Schwächen, doch die fallen im System der Leipziger derzeit nicht so auf. ran-Note: 2.
Robin Gosens (18 Länderspiele) Hat bei Union Berlin vom ersten Tag an Verantwortung übernommen und sogar vier Tore erzielt! Wenn bei den Eisernen derzeit auch wenig funktioniert, so kann man Gosens hier keinen großen Vorwurf machen. Seine Form stimmt. Auch defensiv tut er den Köpenickern mit seiner Robustheit und Laufstärke gut. ran-Note: 2.
Mittelfeld: Joshua Kimmich (80 Länderspiele) Einer der meistdiskutierten Spieler in Deutschland. Ehrlicherweise aber auch einer der besten. Selbst dann, wenn es mal nicht hundertprozentig rund läuft. Keiner hat ein so nahezu komplettes Profil im Mittelfeld wie Kimmich. Auch bei den Bayern zuletzt mit aufsteigender Formkurve. Dass er unter Nagelsmann eine wichtige Rolle einnehmen wird, ist absehbar. ran-Note: 2.
Leon Goretzka (53 Länderspiele) Bei Goretzka hingegen ist unklar, welche Rolle er im DFB-Team bekommt. Mit Kimmich ist eine Position im Mittelfeld voraussichtlich besetzt, mit Ilkay Gündogan hat Nagelsmann seinen Kapitän festgelegt. Bei den Bayern schwankt Goretzka zwischen guten Auftritten und weniger guten, wenn er sich kaum am Spiel beteiligt. Eine seltsame Saison des FCB-Profis. ran-Note: 3.
Pascal Groß (2 Länderspiele) Lange ignoriert, jetzt häufiger Teil des Kaders. Groß performt seit Jahren auf hohem Niveau, kann im zentralen Mittelfeld alle Positionen spielen. Er ist zweikampfstark, scheut aber auch im Spiel mit dem Ball kein Risiko. Das dürfte ihn zu einem interessanten Spieler für Nagelsmann machen. Auch in dieser Saison kommt er bereits auf drei Tore in acht Pflichtspielen. ran-Note: 2.
Robert Andrich (0 Länderspiele) Einer der möglichen Debütanten und ein weiterer formstarker Spieler von Bayer 04 Leverkusen. Im Mittelfeld von Xabi Alonso räumt der ehemalige Unioner konsequent auf und selbst mit dem Ball zeigte er mitunter Fortschritte im Vergleich zu vergangenen Spielzeiten. Unspektakulär, aber mit wichtiger Arbeit – so könnte man seine Rolle beschreiben. ran-Note: 2.
Ilkay Gündogan (69 Länderspiele) Der Kapitän hat sich beim FC Barcelona sofort an seine neue Umgebung gewöhnt und ist ein wichtiger Faktor dafür, dass Barca noch kein Spiel verloren hat. Seine Qualitäten sind bekannt, seine Form stimmt, bleibt nur noch eine Frage: Wie und wo setzt Nagelsmann ihn ein? In der Nationalelf konnte er diese Leistungen häufig nicht zeigen. ran-Note: 2.
Florian Wirtz (10 Länderspiele) Hoffnungsträger. Dem DFB fehlte es in der Vergangenheit oft an Spielwitz. Wenn Leverkusen von einer Wirtz-Eigenschaft am meisten profitiert, dann wohl davon. Seine Torbeteiligungsquote ist allerdings noch ausbaufähig. So nahezu uneingeschränkt gut er auch ist, alle 191,5 Minuten ein Tor oder Assist? Das kann er noch besser. Dennoch Kritik auf höchstem Niveau. ran-Note: 2.
Julian Brandt (44 Länderspiele) Auch er zählt zu den Besseren beim BVB, schwankt aber wieder stärker in seinen Leistungen als noch in der vergangenen Saison. Dort zählte er zu den absoluten Schlüsselspielern. Im Moment scheinen ihn trotz sechs Torbeteiligungen in sieben Bundesliga-Partien hier und da ein paar Prozent zu fehlen. Vielleicht holt er sie sich beim DFB. ran-Note: 3.
Jamal Musiala (23 Länderspiele) Hat seit der WM immer wieder mit sich und seinem Zugriff auf das Spiel zu kämpfen. Gleichzeitig liefert er regelmäßig magische Momente für den FC Bayern wie in Kopenhagen. Seine Klasse ist insofern unumstritten, doch seine Form war schon mal besser. ran-Note: 3.
Jonas Hofmann (22 Länderspiele) Vom DFB im Mittelfeld aufgeführt, vielleicht aber auch ein Kandidat für die Rechtsverteidiger-Position? In jedem Fall zeigt er aktuell, dass er eine überragende Verstärkung für Leverkusen ist. Abgezockt, schnell, dynamisch – dazu acht Torbeteiligungen in neun Einsätzen. Genau das, was Nagelsmann jetzt eigentlich braucht. ran-Note: 1.
Leroy Sane (55 Länderspiele) Liefern kann das auch Sane. Der Bayern-Star ist aktuell der wohl formstärkste Nationalspieler. Zuletzt nahm er die komplette Hintermannschaft des SC Freiburg auseinander. In seinen neun Einsätzen traf er siebenmal und war an insgesamt 51 Abschlüssen beteiligt. Bringt er diese Qualität auch ins Nationalteam, hat Nagelsmann eine Sorge weniger. ran-Note: 1.
Chris Führich (0 Länderspiele) 14 gewonnene Dribblings – in der Bundesliga steht Führich damit auf dem fünften Platz. Dribbler sind das, was in Deutschland häufig vermisst wird. Dass der Stuttgarter mit seinen fünf Assists und zwei Toren in sieben Spielen noch mehr kann, steht außer Frage. Das Debüt wäre verdient. ran-Note: 1.
Angriff: Kai Havertz (39 Länderspiele) Beim FC Arsenal läuft es für ihn noch gar nicht. Ein mageres Tor und nur ein Assist stehen auf seinem Konto. Im Schnitt stand er in seinen zehn Einsätzen nur 62,2 Minuten auf dem Platz – mit absteigender Tendenz. In England gibt es derzeit viel Spott für ihn und seinen Klub, der 75 Millionen Euro bezahlte. ran-Note: 5.
Niclas Füllkrug (9 Länderspiele) Auch unter Nagelsmann der gesetzte Neuner? Das muss sich zeigen. Mit seinem Wechsel zum BVB hat er sich zumindest mal eine größere Bühne verschafft. Dass er Sebastien Haller dort den Stammplatz ablief, spricht für ihn. Mit zwei Toren und einem Assist trug er zum leichten Aufschwung der Dortmunder bei. ran-Note: 2.
Thomas Müller (123 Länderspiele) Irgendwie geht es dann doch nicht ohne ihn. Auch Nagelsmann hat Müller nominiert, obwohl dieser zuletzt beim FC Bayern vermehrt auf der Bank saß. Aber: Seine Einwechslungen brachten immer positive Energie auf den Platz. Müller präsentierte sich nicht nur formstark, sondern nahm seine neue Rolle auch an. ran-Note: 2.
Kevin Behrens (0 Länderspiele) Hatte einen überragenden Saisonstart. Torvorlage gegen Astoria Walldorf im Pokal, Dreierpack gegen Mainz in der Liga und Tor gegen Darmstadt kurz darauf. Und dann? Sieben Niederlagen in Serie. Behrens traf nicht mehr, bereitete auch kein Tor mehr vor. Der Hype vom Saisonstart ist erstmal weg. ran-Note: 4.
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DFB-Team: Keine Entspannung für Nagelsmann
Julian Nagelsmann sind derartige Gedankenspiele total egal. Er hat ohnehin keine Zeit für sie.
Der 36-Jährige soll und will die zehntägige USA-Reise nutzen, sein Team, das er mindestens bis zum Ende der Heim-EM trainieren wird, besser kennenzulernen.
Viele Profis, vor allem die fünf Bayern München-Spieler Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Leroy Sane und Thomas Müller sind ihm natürlich noch bestens bekannt. Das Quintett hatte Nagelsmann bis zu seiner Entlassung beim Deutschen Rekordmeister am 23. März diesen Jahres trainiert.
Und mit Niklas Süle und Oliver Baumann hatte er einst als Coach der TSG Hoffenheim zusammengearbeitet.
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Nun mag die Abgeschiedenheit von Foxborough ideal anmuten, um zu trainieren, Einzelgespräche zu führen und sich so besser kennenzulernen. Knapp 6000 Kilometer von Deutschland entfernt. Doch ganz so entspannt ist es dann doch nicht.
Denn Nagelsmann bleiben nach dem gestrigen ersten Training nur noch vier weitere Einheiten, sowie die beiden Testspiele am Samstag in Hartford gegen die USA und am Dienstag in Philadelphia gegen Mexiko. Die Zeit drängt also.
Und deshalb sei es ihm wichtig, seine Inhalte "schnellstmöglich rüber zu bringen" und zudem "die erste Grundstruktur zu schaffen", hatte Nagelsmann vor dem Abflug in Frankfurt hervorgehoben. Was er damit meint, wurde am Dienstagnachmittag schnell klar.
DFB-Team: Nagelsmann macht selbst mit
Der 36-Jährige ließ seine 25 Profis, nur rund 600 Meter vom mächtigen Gillette Stadium entfernt, diverse Pass-Formen trainieren. Mal mit drei Spielern, dann mit sechs - und zum Schluss sogar auf engstem Raum im Sechszehner mit Torabschluss.
Nagelsmann und seine beiden Assistenten Sandro Wagner und Benjamin Glück verfolgten die Aktionen genauso konzentriert, wie DFB-Sportdirektor Rudi Völler und Geschäftsführer Andreas Rettig.
Nagelsmann gab klare Kommandos, geizte nicht mit Lob und Aufmunterung, unterbrach jedoch mitunter auch, wenn ihm die Ausführung nicht gefiel - und machte die Übung selbst vor.
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Gündogan von Nagelsmann überrascht
"Ich glaube, es war wichtig, direkt viel an den Ball zu kommen, Gefühl für den Ball zu kriegen", resümierte Mittelfeldspieler Jonas Hofmann. Er war erst 24 Stunden zuvor mit dem Gros des Teams von Frankfurt aus kommend in Boston gelandet.
Der Zeitunterschied von sechs Stunden zwischen der Main-Metropole und der Hauptstadt von Massachusetts war ihm jedoch kaum anzumerken.
Kapitän Ilkay Gündogan hob hervor, Nagelsmann habe dem Team "relativ klare Ansagen über Prinzipien, die wir in unserem Spiel haben wollen" gegeben.
Sonst noch was? "Ja", ergänzte der 32-Jährige. Es sei für ihn "ein bisschen überraschend" gewesen, wie groß Nagelsmann sei. Bislang kannte Gündogan den 1,90 Meter großen Bundestrainer nur aus dem Fernsehen. Und dort habe er "gar nicht so wahrgenommen, dass er schon eine gute Statur hat".
Zum Abschluss der Einheit gab es für alle Spieler eine Überraschung. Der ehemalige deutsche NFL-Profi Markus Kuhn, der 2016 einige Monate zum Kader der New England Patriots gehörte, überreichte seinen Landsleuten Trikots seines ehemaligen Vereins.
Thomas Müller streifte sein Jersey mit seiner Rückennummer 13 und seinem Namen sofort über und schlenderte damit sichtlich stolz zum Mannschaftsbus. Football und Foxborough - das passt einfach.