Beim 0:2 (0:1) in Österreich erlebt die deutsche Nationalmannschaft ein Debakel. Das Team von Julian Nagelsmann ist in allen Belangen unterlegen und zieht völlig zurecht erneut den Kürzeren. Die sanfte Aufbruchstimmung ist längst verflogen. Vielmehr befindet man sich im freien Fall. Ein Kommentar.
Als Rudi Völler weit nach Spielende im Bauch des Wiener Ernst-Happel-Stadions vor die versammelte Presse trat, wurden Erinnerungen an den 9. September wach. Vor zwei Monaten und zwölf Tagen hatte der DFB-Direktor den gleichen Weg gewählt - damals in Wolfsburg.
Abgekämpft erklärte er die 1:4-Blamage gegen Japan. Er beschwor "deutsche Tugenden" und forderte fünf bis zehn Prozent extra. Die, so Völler, hätten gefehlt.
Am nächsten Tag verlor Bundestrainer Hansi Flick seinen Job.
Mittlerweile heißt der Coach der DFB-Elf Julian Nagelsmann.
Doch in Wien wählte Völler im Grunde die gleichen Worte, auch wenn man zuvor nur 0:2 verloren hatte. Das allerdings völlig verdient gegen ein starkes Österreich.
Nagelsmann wird seinen Job nicht verlieren.
Und trotzdem zeigen die Auftritte Völlers und der Mannschaft, dass sich nichts verbessert hat. Im Gegenteil: Eigentlich ist die Situation noch viel verzwickter als vor zwei Monaten.
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Nagelsmanns Team ist jetzt doppelt verunsichert
Nagelsmann hatte ein verunsichertes Team übernommen. Er war der erklärte Wunschkandidat der Verbandsspitze gewesen. Als er schließlich antrat, schien sich alles zum Guten zu wenden.
Die USA-Reise absolvierte man durchaus erfolgreich. Der Trainer strahlte zuversicht aus und auch die Mannschaft schien den Ernst der Lage erfasst zu haben.
Zwei Spiele später hat man sich in ein Loch manövriert, welches tiefer ist, als je zuvor. 2:3 gegen die Türkei. 0:2 in Österreich.
Kapitän Ilkay Gündogan sprach aus, was viele dachten: "Schlimmer geht es nicht mehr!" Völler legte nahe, man habe sich "vielleicht zu sicher gefühlt".
Die Verunsicherung hat sich potentiert. Und nicht nur das. Der Bundestrainer hat durch seine innovative Spielidee zusätzlich für Verwirrung bei den eigenen Spielern gesorgt. So jedenfalls sieht es von außen aus.
Deutschland - Österreich: Die Pressestimmen zur DFB-Blamage
Deutschland - Österreich: Die Pressestimmen zur DFB-Blamage Im letzten Länderspiel des Jahres musste die deutsche Nationalmannschaft eine herbe 0:2-Niederlage gegen Österreich hinnehmen. Wie reagieren die nationalen und internationalen Medien auf die DFB-Pleite? ran hat die wichtigsten Pressestimmen zusammengefasst.
Kurier (Österreich) "Das ÖFB-Team spielte überragend gegen den überforderten vierfachen Weltmeister und gewann nach Toren von Sabitzer und Baumgartner völlig verdient."
The Sun (England) "Roy Rage! Wütender Leroy Sane erhält nach bösartigem Schubser die erste Rote Karte seiner Karriere, als ein vergessener Premier-League-Hitzkopf (Arnautovic, Anm.d.Red.) von der Bank aufspringt und eingreift"
AS (Spanien) "Deutschland ist ein Drama - Der EM-Gastgeber geht mit der zweiten Niederlage in zwei Spielen gegen Österreich in die Pause. Sané wurde nach einer Tätlichkeit gegen Mwene des Feldes verwiesen."
Süddeutsche Zeitung "Abbruchstimmung – Die deutsche Nationalmannschaft zieht mit einer irritierenden 0:2-Niederlage in Österreich ins EM-Jahr – und mit einer Debatte darüber, ob der neue Bundestrainer Nagelsmann seine Elf überfordert."
Platzverweis und die nächste schwache Leistung – das DFB-Team enttäuscht auch gegen Österreich und verliert mit 0:2. Die Noten und Einzelkritiken der Mannschaft von Julian Nagelsmann.
Kevin Trapp Überragend im 1-gegen-1 mit Gregoritsch (17. und 64.), bei Sabitzers Flachschuss zur Führung der Gastgeber aber chancenlos. Später dann von Baumgartner überlupft. Verhindert im Verlauf der Schlussphase mit einigen Paraden eine noch höhere Niederlage. ran-Note: 3
Jonathan Tah Zunächst knapp an Gelb vorbei (25.), dann zu zaghaft im direkten Duell mit Sabitzer, der zur österreichischen Führung trifft. Der Leverkusener wehrt sich lange, geht dann aber mit unter. ran-Note: 5
Mats Hummels Soll die Abwehrkette nach seiner Abwesenheit gegen die Türkei stabilisieren. Das gelingt ihm nicht. Immer wieder brechen die österreichischen Stürmer durch. Auch im Aufbau uninspiriert und mit zunehmender Spieldauer mutloser. Vor dem zweiten Gegentreffer geht ihm Baumgartner von der Leine und trifft. ran-Note: 5
Antonio Rüdiger Nach zwei Minuten mit der ersten Ungenauigkeit im Aufbau. Danach wirkt der so erfahrene Defensivmann verunsichert. Daran ändern auch zwei wichtige Grätschen gegen Gregoritsch nichts. Eigentlich soll Rüdiger vorangehen und führen. Das Gegenteil ist momentan der Fall. ran-Note: 5
Leroy Sane Hat den ersten wirklichen Abschluss für die Nagelsmann-Elf (32.). Man merkt ihm an, dass er will, aber diesmal nicht so richtig kann. Kurz nach der Pause brennen dem Bayern-Star die Sicherungen durch. Nach einer Tätlichkeit gegen Mwene fliegt er völlig zurecht vom Platz – im 402. Spiel seiner Karriere zum ersten Mal. ran-Note: 5
Leon Goretzka Erhält nach Groß und Kimmich gegen Österreich die Chance, sich neben Gündogan im zentralen Mittelfeld zu präsentieren. Genutzt hat er sie nicht wirklich. Seine Körperlichkeit kommt viel zu selten zum Tragen. Die riesengroßen Löcher im deutschen Mittelfeld kann auch der Bayern-Profi nicht stopfen. So ist er kein Startelfkandidat für die EM. ran-Note: 4
Ilkay Gündogan Der Kapitän wird nach einer Stunde ausgewechselt und durch den Debütanten Andrich ersetzt. Zuvor läuft er eher mit, als dass er sich als Führungsspieler gegen die nächste drohende Niederlage stemmt. In der Zentrale dazu gemeinsam mit Goretzka immer wieder zu leicht überspielt. ran-Note: 5
Kai Havertz Wenn in der ersten Halbzeit überhaupt etwas geht, dann über die Seite des Wahl-Londoners. Wie schon gegen die Türkei gibt er den linken Schienenspieler und muss auch defensiv ordentlich mit anpacken. Als Deutschland nur noch mit zehn Mann spielt, wechselt Havertz die Seite. Nach vorne geht da längst nichts mehr. ran-Note: 4
Julian Brandt Ständige Stockfehler und Ungenauigkeiten bestimmen das Bild beim Dortmunder. Ein ums andere Mal verstolpert Brandt in aussichtsreicher Position oder nimmt zu früh das Tempo aus den Angriffen der deutschen Mannschaft. Nach der Roten Karte für Sane muss er weichen. ran-Note: 5
Serge Gnabry Weitestgehend unsichtbar, ohne Bindung zum kaum vorhandenen Offensivspiel der DFB-Elf. Sein einziger Abschluss in einer schwachen ersten Halbzeit geht weit am Tor vorbei (41.). Wie auch im Verein (noch) nicht in der Form, um ein Spiel eigenhändig zu drehen. Als Sane schon duscht, wird sein Vereinskollege immerhin etwas aktiver ran-Note: 4
Niclas Füllkrug Der Dortmunder hängt komplett in der Luft, hat überhaupt keine Aktionen im österreichischen Strafraum. Kommt überhaupt nur in Ballnähe, wenn er sich weit fallen lässt – wird dann meist gefoult. Zur Halbzeit nimmt ihn Nagelsmann raus. ran-Note: 5
Thomas Müller Kommt zur zweiten Halbzeit für den schwachen Füllkrug. Versucht immer wieder wild gestikulierend seine Kollegen aufzuwecken. Es bleibt beim Versuch. Wie sehr Nagelsmann auf ihn baut, sieht man nach dem 0:2, als der Bayer an der Seitenlinie als verlängerter Arm Anweisungen des Trainers entgegennimmt. ran-Note: 3
Benjamin Henrichs Kommt nach Sanes Platzverweis für Brandt ins Spiel und geht auf die ungewohnte linke Seite. Macht keine großen Fehler und fällt damit in der Defensivabteilung des DFB fast positiv auf. ran-Note: 4
Florian Wirtz Deutschlands begnadeter Spielmacher kommt für 30 Minuten. Hier und da blitzt seine Klasse auf. Immerhin zwingt er Schlager im österreichischen Tor mit einem Fernschuss zu einer Parade. Ansonsten bleibt vieles Stückwerk. ran-Note: 4
Joshua Kimmich Diesmal bekommt der jahrelang unumstrittene Stammspieler eine halbe Stunde Spielzeit. Erzielt dabei um ein Haar den Anschlusstreffer aus der Distanz. Zeigt sich gewohnt giftig, ohne aber für den Umschwung zu sorgen. Wird sich strecken müssen, wenn er bei der EM zum Stammpersonal zählen möchte. ran-Note: 4
Marvin Ducksch In der 77. Minute für Havertz eingewechselt. Ohne Bewertung
Klar: Testspiele sind zum testen da. Aber: Nagelsmann läuft langsam aber sicher die Zeit davon.
Das Länderspielbudget für 2023 ist erschöpft. Bis März gibt es keine Partien mehr. Also auch keine gemeinsamen Trainings.
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Die Grundsatzfrage der Spielidee ist noch offen
Die ohnehin schon schwierige Aufgabe ist für den Bundestrainer noch anspruchsvoller geworden.
Auf der Pressekonferenz in Wien ließ er einen Blick in seine Überlegungen zu. Er wisse noch nicht, ob man im kommenden Jahr weiter den Ansatz eines Spitzenteams - also Durchsetzen der eigenen Spielidee - oder den einer auf den Gegner reagierenden Mannschaft wählen solle.
Darüber, so Nagelsmann, werde er sich nun Gedanken machen.
Dass eine solch grundsätzliche Frage ein gutes halbes Jahr vor der EM im eigenen Land überhaupt noch offen ist, zeigt das ganze Dilemma.
Österreichs Fans griffen zu einer drastischeren Formulierung. Sie sangen "Der DFB ist so im A****"!"