Fußball
DFB-Team - Türkei-Kenner Kocak: "War mir nicht sicher, ob Nagelsmann sich das antut"
- Aktualisiert: 18.11.2023
- 14:10 Uhr
- Martin Volkmar
Ex-Zweitliga-Coach Kenan Kocak, bis vor kurzem Assistent des früheren türkischen Nationaltrainers Stefan Kuntz, spricht im ran-Interview vor dem Länderspiel in Deutschland über die Besonderheiten des Duells, die Stärken der Türkei und sein Verhältnis zu Julian Nagelsmann.
Von Martin Volkmar
Die Türkei reist mit breiter Brust zum Prestigeduell gegen Deutschland.
Einerseits, weil rund die Hälfte der Zuschauer im ausverkauften Berliner Olympiastadion am Samstagabend (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei ran) die Gäste anfeuern werden.
Andererseits, weil der EM-Halbfinalist von 2008 über eine der stärksten Mannschaft seit einigen Jahren verfügt und sich in der schweren Gruppe mit Kroatien vorzeitig für die Endrunde in Deutschland qualifiziert hat.
"Wir sind auf einem guten Weg, aber es ist natürlich ein langer Weg", sagt der ehemalige Bayern-Profi und Ex-Nationalspieler Hamit Altintop im kurzen Gespräch mit ran. "Wir freuen uns alle auf das Spiel, tolles Stadion, es wird bestimmt eine tolle Atmosphäre."
Altintop, Vorstandsmitglied des türkischen Fußball-Verbandes weiß, dass der Erfolg nicht nur dem aktuellen Nationalcoach Vincenzo Montella, sondern auch Vorgänger Stefan Kuntz und dessen Assistent Kenan Kocak zu verdanken ist.
Der 42 Jahre alte Kocak kennt sich im Fußball beider Länder hervorragend aus, schließlich arbeitete er auch schon als Cheftrainer in der Zweiten Liga bei Hannover 96 sowie dem SV Sandhausen und war zuletzt unter anderem bei der TSG Hoffenheim im Gespräch.
Im Interview mit ran spricht Kocak unter anderem über die Besonderheit des Aufeinandertreffens, die Stärken der türkischen Mannschaft und die EM-Chancen des DFB-Teams gesprochen.
ran: Stefan Kuntz hat gesagt, er guckt sich das Spiel nicht vor Ort an, weil es ihn emotional noch "ein bisschen zwickt". Wie ist es bei Ihnen?
Kenan Kocak: Ich werde nicht vor Ort sein, weil ich meinen Söhnen versprochen habe, mit ihnen etwas zu unternehmen. Trotzdem ist es natürlich für mich ein besonderes Spiel. Ich habe mich freiwillig entschieden, zusammen mit Stefan Kuntz aufzuhören. Zu dem Zeitpunkt waren wir in der Nations League aufgestiegen und in der EM-Qualifikation punktgleich mit Kroatien auf einem guten Weg. Und parallel dazu haben wir einen Umbruch eingeleitet, das Durchschnittsalter betrug bei uns zuletzt 23,7 Jahre. Daher sind wir sehr stolz auf die von uns geleistete Arbeit.
ran: Aber vermutlich sind Sie auch ein bisschen traurig, die türkische Nationalmannschaft nicht beim Turnier in Ihrer zweiten Heimat zusammen mit Stefan Kuntz betreuen zu dürfen?
Kocak: Ja, selbstverständlich würden wir gerne bei diesem Event mit dabei sein. Das versteht sich von selbst. Aber so sind manchmal die Mechanismen im Fußball. Und es bringt ja auch nichts, dem Ganzen nachzutrauern. Alles im Leben hat seinen Sinn. Wir blicken nach vorne.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Die Türkei hat sich zum dritten Mal in Folge für die Europameisterschaft qualifiziert. Wie stark ist diese Mannschaft im Vergleich?
Kocak: Die Türkei hat eine qualitativ sehr gute Mannschaft. Und auch von der Altersstruktur her eine gute Basis, um auch die nächsten Schritte in den kommenden Jahren gehen zu können. Natürlich ist das immer davon abhängig, wie die Spieler bei ihren Vereinen performen, das ist nicht immer einfach vorherzusehen. Aber es gibt viele hervorragende Spieler.
ran: Welche Spieler sind die wichtigsten Stützen des Teams?
Kocak: Es gibt mehrere Eckpfeiler. Hakan Calhanoglu, der wie ich aus Mannheim kommt und bei einem Topklub wie Inter Mailand zu den Stammkräften zählt. Leider musste er diesmal absagen. Oder Kerem Aktürkoglu, der zuletzt mit Galatasaray gegen Bayern überzeugt hat. Aber sicherlich auch Ferdi Kadioglu und Ismail Yüksek von Fenerbahce. Oder Orkun Kokcü, der bei Roger Schmidt bei Benfica Lissabon gesetzt ist. Ozan Kabak von Hoffenheim, Caglar Soyüncu bei Atletico Madrid, ich könnte noch viele mehr nennen – da sind viele gute Jungs dabei. Also es ist schon eine starke türkische Generation.
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ran: Welchen Stellenwert hat das Spiel gegen Deutschland, gerade in Berlin, der Stadt mit der weltweit größten türkischstämmigen Bevölkerung außerhalb der Türkei?
Kocak: Natürlich ist das für uns ein ganz besonderes Spiel. Auch fußballerisch, schließlich gehört Deutschland seit Jahrzehnten zu den weltbesten Mannschaften. Hinzu kommt, dass viele Spieler wie Kaan Ayhan oder Salih Özcan von Borussia Dortmund ihre Wurzeln in Deutschland haben. Deswegen hat diese Partie natürlich eine hohe Bedeutung für die türkische Community. Man muss aber festhalten, dass das wichtigere Spiel für die Türkei danach gegen Wales kommt, in dem es in der EM-Qualifikation noch um den Gruppensieg geht.
ran: 2010 gab es das letzte Länderspiel beider Teams in Berlin, damals gewann Deutschland auch dank eines Treffers von Mesut Özil 3:0. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Kocak: Ich kann mich noch genau erinnern, ich war damals auch im Stadion. Es war eigentlich ein Heimspiel für die Türkei. Und Özil war damals ein sehr wichtiger Spieler der deutschen Nationalmannschaft. Wenn man sieht, wie sich das Ganze entwickelt hat, kommt es einem schon viel länger her vor.
ran: Özil entschied sich damals für die DFB-Auswahl, lebt aber inzwischen schon seit längerem in der Türkei. Schlagen generell bei den Deutsch-Türken auf dem Platz und auf der Tribüne zwei Herzen in einer Brust?
Kocak: Ja, mit Sicherheit. Es ist für viele Spieler ein Dilemma bei der Frage, für welches Land man spielt, wenn man als Türke in Deutschland aufgewachsen ist. Aber ich bin kein Freund davon, die Spieler diesbezüglich überzeugen zu wollen. Die Spieler sollen ihrem Herzen folgen. Man sollte nicht versuchen, zwei Nationen gegeneinander auszuspielen, sondern der Spieler muss das entscheiden, für welches Land er spielen möchte. Und das sollte man dann natürlich auch respektieren.
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ran: Ilkay Gündogan ist wie Özil und Ayhan in Gelsenkirchen geboren und hat sich für Deutschland entschieden, ist jetzt sogar Kapitän. Welche Rolle spielt er und welche Rolle kann er mit Blick auf die Heim-EM spielen?
Kocak: Da müssen sie sich ja nur das Starensemble von Manchester City anschauen, in dem sich Ilkay in den letzten Jahren durchgesetzt hat und am Ende sogar Spielführer war. Er ist ein sehr, sehr wichtiger Spieler, der in den letzten Jahren auf europäischen Topniveau gespielt und geliefert hat. Ihm gebührt gerade nach dem Triple-Gewinn ein besonderer Respekt und für mich ist er völlig zu Recht Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Ilkay ist für jedes Team eine Bereicherung, wegen seiner Klasse auf dem Platz, aber auch wegen seiner sozialen Kompetenz außerhalb des Platzes.
ran: Als langjähriger Trainer im deutschen Profi-Fußball kennen Sie sich auch hierzulande bestens aus. Wo sehen Sie die DFB-Auswahl nach dem blamablen Vorrunden-Aus in Katar und der Abwärtsentwicklung danach unter Hansi Flick?
Kocak: Nach dem frühen Ausscheiden war die Enttäuschung sicherlich sehr groß. Dennoch sollte man aufhören mit der Schwarzmalerei, sondern positiv und offensiv an die Sache herangehen. Die deutsche Nationalelf ist eine gute Mannschaft und hat auch sehr gute Nachwuchsteams. Zudem hat sie mit Julian Nagelsmann jetzt auch noch einen Spitzentrainer bekommen. Deswegen sollte man sich auch auf die EM freuen.
ran: Sie kennen Julian Nagelsmann sehr gut, sie haben zusammen den Fußball-Lehrer-Lehrgang absolviert. Ist er trotz seines relativ jungen Alters der richtige Mann als Bundestrainer?
Kocak: Jule hat in den letzten Jahren bewiesen, dass er ein fantastischer Trainer ist und eine sehr, sehr große Zukunft vor sich hat. Die Erfolge sprechen auch für ihn. Wobei auch ich sehr überrascht war wie alle anderen auch, dass er diesen Posten übernommen hat, weil ich eher davon ausgegangen bin, dass er bei einem Verein im europäischen Spitzenfußball unterkommt. Und er hat ja auch die Angebote gehabt.
ran: Warum hat Sie der Schritt überrascht?
Kocak: Ich war mir nicht sicher, ob er sich das antut, weil er als Nationaltrainer ja nur alle paar Monate ein Spiel hat - ohne die tägliche Arbeit mit der Mannschaft. Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen, dass das schon etwas anderes ist, wenn man die Frequenz vom Klub-Fußball kennt. Aber mittlerweile denke ich, dass das Gesamtkonzept passt, gerade als jüngster Bundestrainer eine deutsche Mannschaft zur EM im eigenen Land zu führen.
ran: Trauen Sie Deutschland den Titel zu?
Kocak: Ja, natürlich. Wenn Deutschland bei einem Turnier im eigenen Land nicht die Zielsetzung hätte, um den Titel mitspielen zu wollen, wäre man fehl am Platz. Man sollte sich auf die eigenen Stärken besinnen und an die Jungs glauben. Dann wird Deutschland eine gute EM spielen, davon bin ich überzeugt.
ran: Wie geht es bei Ihnen weiter? Zuletzt waren Sie im Frühjahr in Hoffenheim im Gespräch. Gibt es schon konkrete Pläne?
Kocak: Es gibt natürlich immer wieder Anfragen – auch aus der Bundesliga, aber ich warte auf etwas Passendes. Und dann möchte ich natürlich bald wieder einsteigen. Ob Klub oder wieder auf Nationalmannschaftsebene, da bin für alles offen.