Europameisterschaft 2024
EM-Achtelfinale: "Dänen sind immer gut gegen bessere Mannschaften" - Flemming Povlsen im ran-Interview
- Aktualisiert: 29.06.2024
- 10:28 Uhr
- Philipp Kessler
Deutschland trifft im Achtelfinale der Europameisterschaft auf Dänemark (Sa., ab 21 Uhr im Liveticker). Im ran-Interview spricht Ex-Bundesliga-Stürmer Flemming Povlsen über das Duell - und einen überraschenden Sieg der Dänen 1992 gegen die DFB-Auswahl.
Das Interview führte Philipp Kessler
Dänemark gegen Deutschland? Da war doch mal was. 1992 gewannen die Dänen völlig überraschend die Europameisterschaft mit einem 2:0 im Endspiel gegen Deutschland.
Mit dabei: der frühere Bundesliga-Stürmer Flemming Povlsen.
Der Ex-Köln- und -Dortmund-Legionär wird sich auch das Achtelfinale bei der diesjährigen EM zwischen seiner Nationalmannschaft und der DFB-Elf anschauen (Sa., ab 21 Uhr im Liveticker).
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Im ran-Interview spricht der 57-Jährige über die Partie, seine Erinnerungen an den Sensationserfolg 1992 und seine Liebe zu Deutschland.
Povlsen: "Wir müssen uns steigern"
ran: Herr Povlsen, Dänemark trifft auf Deutschland. Was haben Sie gedacht, als das Achtelfinale feststand?
Flemming Povlsen: Wir hatten ja vorab damit gerechnet. Weil wir gedacht haben, dass wir Zweiter und Deutschland wahrscheinlich ihre Gruppe gewinnen werden. Unsere Gruppe war ja langweilig: Wenig Torgefahr, wenig Pressing und wenig Intensität waren in den Spielen zu sehen. Die Engländer haben sehr enttäuscht, muss ich sagen. Aber wir Dänen haben auch nicht dazu beigetragen, den Unterhaltungswert zu steigern.
ran: Welches Spiel erwarten Sie gegen Deutschland?
Povlsen: Deutschland hat eine Mannschaft, die mit höherem Tempo spielen kann. Sie können besser pressen, sie haben schnelle Spieler, auch Stars die gut im Eins-gegen-Eins sind. Es erwartet uns einiges, was wir in unserer Gruppe noch nicht gesehen haben. Vorrunde und Achtelfinale sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Dänen müssen über sich hinauswachsen, wenn sie gegen bessere Mannschaften spielen. Wir müssen uns steigern.
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ran: Was hat Ihnen bei den Dänen bislang gut gefallen?
Povlsen: Sie spielen aus einer kompakten Abwehr, sie sind eine Einheit. Defensiv stehen wir sehr gut. Wir können auch als Mannschaft pressen. Aber unsere Defensive ist weitaus besser als unsere Offensive, die ja bislang kaum in Kraft getreten ist. Höjlund, der Shootingstar von Manchester United, stand viel zu oft mit dem Rücken zum Tor – annehmen, ablegen. Er konnte seine Schnelligkeit nicht ausspielen. Ich habe von ihm kaum Läufe in den Strafraum gesehen, weil wir uns auch oft auf den Flügeln nicht durchsetzen konnten.
ran: Das klingt alles sehr kritisch.
Povlsen: Das, was wir benötigen, um zu gewinnen, sind Tore. Unsere Mittelfeldspieler Eriksen und Hjulmand, der jetzt gesperrt ist, haben unsere beiden Treffer erzielt. Das sind in der Gruppe aber zu wenig gewesen. Die Mannschaften, gegen die wir gespielt haben, hatten nicht so hohe Qualität. Wir hätten mehr machen können.
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Mehr Risiko von Dänemark erwartet
ran: Wird das gegen Deutschland besser?
Povlsen: Unsere Mannschaft sollte mit mehr Risiko, mit mehr Tordrang spielen. Die Frage ist: Tun wir das am Samstag oder konzentrieren wir uns auf das, was wir die letzten drei Spiele gemacht haben? Da hatten wir Ruhe, Kompaktheit, wir waren gut am Ball. Ich glaube, wir agieren wieder mit Dreierkette – weil wir die Geschwindigkeit der Deutschen fürchten. Deutschland wird sein Spiel auch in den zentralen Bereich verlagern. Die Schweiz hat uns gezeigt, wie man gegen die Deutschen spielen kann. Ich hoffe, dass wir davon gelernt haben und sie im Aufbauspiel stören können.
ran: Wo sehen Sie die Schwachstellen der DFB-Elf?
Povlsen: Falls Rüdiger und Tah ausfallen, hoffe ich, dass wir Anton und Schlotterbeck fordern. Die machen auch Fehler. Schlotterbeck hatte eine schlechte Phase, jetzt muss er sich erst wieder in die Mannschaft reinspielen. Da sehe ich einen Punkt, den wir nutzen können.
ran: Was sind die Schlüsselspieler der Dänen?
Povlsen: Eriksen war im ersten Spiel herausragend, auch im zweiten hat er eine tragende Rolle gespielt. Er ist unser Toni Kroos, obwohl der weitaus erfolgreicher war in seinen Vereinen. Die Spielweise ist ähnlich, Eriksen spielt aber etwas weiter vorne. Ihm kannst du immer den Ball geben, er kann starke Pässe spielen und gute Standards schlagen. Zudem ist Christensen von Barca sehr wichtig in der Abwehr. Er kann in der Dreierkette überall spielen. Jetzt hatte er zuletzt ein paar Mal links gespielt, weil gegen Englands Kane und Serbiens Mitrovic – beides gelernte Mittelstürmer – Vestergaard der bessere Mann für die Mitte war. Höjbjerg hat auch seine Stärken gezeigt, insbesondere gegen die Engländer. Er ist auch ein Schlüsselspieler. Und ich hoffe, dass Höjlund endlich mal in Szene gesetzt wird. Er war immer alleine vorne und hat dabei schlecht ausgesehen.
ran: Trauen Sie den Dänen den EM-Titel zu?
Povlsen: Nein. Wir sind ein kleines Land. Aber ich erwarte schon, dass sie leistungsfähig sind und auch mit den Großen mithalten können. Aber gewinnen? Dafür habe ich bisher zu wenig Offensivqualitäten gesehen. Die brauchst du auch, um Spiele zu gewinnen. Es heißt immer: Die Defensive gewinnt Titel. Jaja… Man muss aber auch die Zuschauer gewinnen. Und das gelingt mit einer mutigen Spielweise. Die haben wir bisher zu wenig gezeigt.
ran: Auch 1992 hat man Dänemark nichts zugetraut. Damals ist Ihre Nationalmannschaft für Jugoslawien durch den Balkan-Krieg ins Turnier gerutscht, am Ende wurden Sie völlig überraschend Europameister. Wie kam es dazu?
Povlsen: Nach der Bundesliga-Saison hatten wir mit Dortmund noch ein paar Freundschaftsspiele. Wir sind irgendwo im Süden Deutschlands herumgetingelt. Dann wurde uns gesagt, wir Dänen müssen nun doch zur EM kommen. Wir sind für Jugoslawien reingerutscht. Damals hat die Welt auch verrückt gespielt, wie heute leider auch. Wir dachten, wir reisen nach Schweden, spielen die drei Gruppenspiele und können dann unseren Urlaub wieder fortsetzen. Aber wir sind über uns hinausgewachsen. Wir haben eine Vereinsmentalität entwickelt, uns gegenseitig viel abverlangt. Die Rolle des Underdogs hat uns auch beflügelt. Das ist jetzt immer noch so. Die Dänen sind immer gut gegen bessere Mannschaften. Da können wir noch mehr Kräfte freisetzen.
ran: Im Finale haben Sie damals den Weltmeister Deutschland mit 2:0 besiegt.
Povlsen: Wir haben davor gegen den amtierenden Europameister Holland und auch gegen die Franzosen gewonnen. Auf einmal hat alles gepasst. Und wir hatten auch das Glück der Tüchtigen. Einige von uns haben in gewissen Spielen ihre beste Leistung gezeigt. Torwart Peter Schmeichel hat für uns quasi das Finale gewonnen. Wir haben zur richtigen Zeit die Tore geschossen. Das hat uns Kraft und Glauben gegeben.
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Povlsen: "Wir konnten uns alles erlauben"
ran: Sympathien bekam Dänemark auch, weil die Nationalmannschaft 1992 vor Spielen bei McDonald’s gegessen hat.
Povlsen: In dem Sommer konnten wir uns alles erlauben. Wir waren auch Minigolf spielen. Wir waren die Vorreiter damit. Heute ist es normal, dass die Spieler während eines Turniers ihre freie Zeit auch mal genießen. Damals war das nicht so, da hieß es generell: Ey, Jungs, konzentriert euch auf Fußball! Aber unser Trainer war sehr clever, er kannte uns und hat gesagt: Jungs, ich vertraue euch. Ich weiß, dass ihr am Spieltag voll da seid. Dieses Vertrauen haben wir zurückgezahlt. Auch heute haben die dänischen Spieler und der Trainer großes gegenseitiges Vertrauen. Das ist wichtig. Weil an der Qualität der Einzelspieler hapert es noch ein wenig. Als Mannschaft können wir das kippen. Das gelingt den Dänen oft. Aber seit dem Halbfinal-Einzug bei der EM 2021 können sie die Menschen wenig begeistern.
ran: Bei der vorherigen Europameisterschaft hat der dramatische Kollaps von Christian Eriksen die Mannschaft noch enger zusammengeschweißt. Der Teamgeist hat die Menschen begeistert.
Povlsen: Damals gab es eine Riesenwelle der Begeisterung, zudem hat die Mannschaft viele Sympathien gewonnen. Aber das wurde verspielt über die Zeit. Jetzt geht es wieder darum, sich aufzurappeln und den Kredit zurückzuerobern. Am Besten mit einem Sieg in Dortmund. Dann wäre die Welt für die Dänen wieder in Ordnung.
ran: Vier Jahre lang stand nach dem Überraschungs-Titel Europameister auf Ihrem Namensschild. Sie könnten für die aktuellen Nationalspieler welche als Anreiz ausgeben.
Povlsen: Das ist nicht notwendig. Die Leute kennen die Geschichten. Sie wissen, was möglich ist. Die Vergangenheit ist wichtig. Aber die Gegenwart ist das, was zählt. Die Außenseiterrolle liegt uns. Aber wir sind eben großer Außenseiter. Es freut mich, wenn kleine Länder zeigen, dass sie auch noch da sind. Jetzt, wo große Teams wie England, Holland oder Belgien bislang enttäuscht haben, müssen eben andere Mannschaften für Begeisterung sorgen. Das ist wichtig bei Europameisterschaften. Solche Turniere werden von den Fans und Spielern auf dem Platz getragen. Dafür braucht es aber begeisternde Spiele. Deutschland gegen Schottland war so eines, Österreich gegen Holland auch, ebenso Italien gegen Albanien. Davon braucht man mehr.
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Station in Deutschland war "eine gute Zeit"
ran: Sie haben insgesamt sieben Jahre in Deutschland gespielt, zwei Jahre davon beim 1. FC Köln. 1989 wurden Sie dort Vizemeister. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Povlsen: Sehr, sehr gute. Wir hatten eine Klasse-Mannschaft und mit Christoph Daum einen guten jungen Trainer. Ich kam damals aus der 2. Mannschaft von Real Madrid. Ich musste mich in Köln erst mal beweisen. Wir hatten ein erfahrenes Team, in dem ich mich gut entwickeln konnte. Auf einmal konnte ich meine Talente zeigen. Die Euphorie in Köln war damals groß. Udo Lattek kam als Technischer Direktor. In der Zeit waren wir ganz nah dran, den großen Coup zu schaffen. Aber wir waren nicht reif genug, als es im Spiel gegen den FC Bayern um die Meisterschaft ging. Dennoch hatten wir viel Spaß und eine gute Stimmung.
ran: Mit Dortmund wurden Sie dann 1995 Meister.
Povlsen: Ich bin 1990 von PSV Eindhoven zum BVB gewechselt. Wir haben uns sehr gut entwickelt. Es ging ständig bergauf. 1995 habe ich die Bundesliga leider als Sportinvalide verlassen müssen - aber mit einem guten Gefühl. Ich habe einen guten Eindruck hinterlassen bei allen Zuschauern in Köln und Dortmund. Das war mir auch wichtig. Ich habe den Leuten gezeigt, was für ein Typ ich bin. Als Spieler und als Mensch. Es war eine gute Zeit. Deutschland bedeutet sehr viel für mich. Ich gucke immer noch sehr häufig deutsches Fernsehen. Ich spreche auch gerne die deutsche Sprache und bin heimlicher Botschafter Deutschlands in Dänemark. Ich rede gerne und gut über die Menschen dort. Das hängt aber auch damit zusammen, wie gut ich behandelt wurde.
ran: Wie geht es Ihnen heute? Was machen Sie?
Povlsen: Ich habe eine neue Hüfte bekommen. Ich kann das tun, was ich gerne mache: Padel-Tennis spielen, Fahrrad fahren, ich trainiere auch einige Jungs in meinem Heimatverein Aarhus. Körperlich bin ich gut drauf und immer noch im Fußball tätig. Das bringt mir viel Energie. Während der EM bin ich in Dänemark auch als TV-Experte tätig. Das ist klasse.