Fußball-EM
EM 2024 - Manuel Neuer gibt Rätsel auf: Rückhalt oder Sicherheitsrisiko?
- Aktualisiert: 22.06.2024
- 14:28 Uhr
- Tobias Hlusiak
Lange war Manuel Neuer absolut unumstritten. Das galt sowohl für den Verein als auch für die Nationalmannschaft. Neuerdings aber scheiden sich am erfahrenen Bayern-Keeper die Geister. Was ist Neuer also: Rückhalt oder Sicherheitsrisiko?
Vom DFB-Team berichtet Tobias Hlusiak
Muss man den nun halten, oder nicht?
An dieser einen Szene in der 26. Minute des Spiels der DFB-Elf gegen Ungarn (2:0), entzündete sich die ganze Debatte neu.
Manuel Neuer hatte einen Versuch des ungarischen Freistoß-Virtuosen Dominik Szoboszlai gehalten und den Nachschuss mit dem Fuß verhindert. Spektakulär.
Noch während Joshua Kimmich und Antonio Rüdiger ihrem Keeper deswegen auf dem Platz vor Freude fast die Haare ausrissen, begann die Diskussion im Internet.
Das Wichtigste in Kürze
Die einen feierten eine Sensationsparade und die Rückkehr des unüberwindbaren Weltklassekeepers Neuer. Der andere Teil war der Meinung, als EM-Keeper sei vorausgesetzt, einen solchen Ball zu halten. Außerdem hätte Neuer ihn in früheren Jahren sogar gefangen.
Dass der mittlerweile 38-Jährige kurz vor Schluss der Partie noch einen Ball fallen ließ und so eine Großchance für den Gegner ermöglichte, trug weiter zur Uneinigkeit bei.
Nicht nur unter den Fans scheiden sich an Neuer die Geister. Zu den Kritikern gehört auch die Schweizer Torwart-Ikone Jörg Stiel. "Er ist nach wie vor einer der besten Torhüter der Welt", sagte der inzwischen 56-Jährige im ran-Interview. "Aber ich glaube, dass Neuer über seinen Zenit ist."
EM 2024: Nagelsmann stärkt Neuer
Über lange Jahre hat es derartige Debatten um Manuel Neuer nicht gegeben. Der fünfmalige Welttorhüter war mehr als eine Dekade lang so gut, dass es dafür schlicht keine Grundlage gab.
Das aber hat sich geändert.
Neuer spielte nach seiner langen Verletzungspause wegen eines Skiunfalls kurz nach der WM 2022 beim FC Bayern München zwar eine solide Saison, immer wieder unterliefen ihm aber auch Fehler.
Im Champions-League-Halbfinale in Madrid (1:2) beispielsweise. Oder im letzten Bundesliga-Spiel der Saison in Hoffenheim (2:4). Auch im Nationaltrikot wirkte er nach seinem Comeback nicht in jeder Szene unantastbar.
Im letzten Test vor der EM leistete er sich gegen Griechenland (2:1) einen schweren Patzer. Einige warnten, der hochdekorierte Torhüter mutiere zum Sicherheitsrisiko.
Trotzdem hielt und hält Bundestrainer Julian Nagelsmann an seiner Entscheidung fest. Der Weltmeister von 2014 ist seine Nummer 1 und eben nicht Marc-Andre ter Stegen, der sich ebenfalls große Hoffnungen gemacht hatte.
Nagelsmann hatte das frühzeitig entschieden. Schon im März.
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Ex-Teamkollege springt Neuer zur Seite
Neuer selbst weist alles von sich. Er verfolge Diskussionen um ihn nicht und verlasse sich auf das Feedback und Vertrauen von Mitspielern und Trainerteam, meinte er in den vergangenen Wochen immer wieder.
Nach dem Ungarn-Sieg sprach er deshalb auch demonstrativ für das ganze Team: "Gegen die Schotten war es ein sehr unglückliches Gegentor, da hätten wir als Mannschaft eigentlich auch ein Zu-Null verdient gehabt. Deshalb war es diesmal umso wichtiger, dass wir hier die Null halten."
Das war für Neuer auch persönlich wichtig, war es doch sein erstes "Zu-Null" bei einem großen Turnier seit dem EM-Achtelfinale 2016 gegen die Slowakei (3:0).
Nun sollte zumindest die Frage, ob er bei diesem Turnier abgelöst werden sollte, verstummen.
"Er ist einer der größten Torhüter, die es je gegeben hat. Sämtliche Zweifel und Diskussionen, die immer wieder fallen, sind Nonsens", erklärt Holger Badstuber. "Die Null stand - das war zu einem großen Teil ihm zu verdanken", meinte Neuers ehemaliger Mitspieler bei Bayern und in der Nationalmannschaft bei "Sport1".
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Die Mannschaft steht hinter Neuer
Die - zugegeben etwas provokante - Frage, ob Neuer bei diesem Turnier eher Rückhalt oder Sicherheitsrisiko ist, kann derweil nur die Mannschaft selbst beantworten.
Und sie tut es klar und deutlich.
"Wir können uns alle bei ihm bedanken", erklärte Abwehrchef Rüdiger nach dem Ungarn-Spiel klar und deutlich.
Auch Linksverteidiger Maxi Mittelstädt verlor nur lobende Worte über den Torwart, bevor er anhängte, dass der "Manu" eben genau dafür auch da sei: "Sonst könnte ja auch mein kleiner Bruder ins Tor gehen."
Das unterstreicht den hohen Anspruch, den seine Mitspieler nach wie vor an ihren Keeper haben. Sie verlassen sich auf ihn.
Er ist ihr Rückhalt. Von seiner Führungsstärke, seinem Selbstverständnis profitieren sie - nicht nur im Spiel, sondern in jedem Training.
Tritt Neuer nach der EM zurück?
Ein Umstand, der indes bald schon der Vergangenheit angehören könnte.
Denn die Zeichen verdichten sich, dass die EURO 2024 Neuers letztes großes Turnier mit dem Adler auf der Brust sein könnte.
"Das kann ich jetzt noch nicht verraten", sagte der EM-Rekordtorwart (17 Einsätze) selbst vor einigen Tagen. "Aber natürlich werde ich mir nach dem Turnier meine Gedanken machen."
Bei der WM in zwei Jahren wäre Neuer 40 Jahre alt. Auch für einen wie ihn und gerade mit Blick auf seine Verletzungshistorie ein biblisches Alter.
Gut möglich also, dass er sich einen weiteren Zyklus voller Diskussionen um das Trikot mit der Nummer 1 oder irgendwelche Freistöße einfach spart. Es wäre verständlich.