Dank eines überzeugenden 3:0-Siegs über Rumänien steht die Niederlande einmal mehr unter den besten acht Mannschaften Europas. Innerhalb weniger Tage hat sich die Elftal von spielerisch enttäuschenden Gruppendritten zu einem Geheimtipp auf den EM-Titel gemausert. Doch es kommt noch "besser", denn: Oranje hat noch Luft nach oben. Eine kommentierende Analyse.
Symbolischer hätte der Auftakt in den Achtelfinal-Spieltag kaum sein können.
Knapp fünf Stunden vor dem Anstoß in der Allianz Arena endete der stimmungsvolle "Fan Walk", der rund zehntausend niederländische Anhänger auf die Straßen Münchens lockte, am Ort ihres größten und einzigen Triumphs: Vor den Toren des Münchner Olympiastadions, in dem sich die Niederlande 1988 zum Europameister krönte.
36 Jahre später könnte die bayerische Landeshauptstadt wieder eine schicksalshafte Rolle für die Mannen in Orange spielen. Mit einer überzeugenden Leistung buchte die Mannschaft von Ronald Koeman, der 1988 als Kapitän die Trophäe als Erster in die Höhe stemmen durfte, ihr Ticket für das Viertelfinale am Samstag in Berlin (ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de).
Dabei bestach die Elftal mit einer Leistungssteigerung, die andere (enttäuschende) Titelkandidaten nicht vollbringen konnten.
Nach einer durchwachsenen Gruppenphase mit einem Sieg, einem torlosen Unentschieden und einer Niederlage standen die Vorzeichen nicht günstig für die Niederlande. Einzig der vermeintlich machbare Achtelfinalgegner Rumänien, der überraschend die Gruppe E als Erster abgeschlossen hatte, sorgte für eine gewisse Aufbruchsstimmung im niederländischen Fan-Lager.
Dieser Eindruck verflog allerdings schnell: Lautstark unterstützt setzte der vermeintliche Underdog immer wieder Nadelstiche und brachte die niederländische Defensive einige Male in brenzlige Situationen.
In der 20. Minuten aber wendete sich das Blatt urplötzlich: Cody Gakpo zog in den rumänischen Strafraum und vollendete mit einem strammen Rechtsschuss ins kurze Eck. Ein Tor aus dem Nichts, aber zur richtigen Zeit.
Niederlande im Viertelfinale: Gakpo und Simons als Schlüssel
In der Folge spielte sich die Elftal in einen Offensivrausch, wie man ihn in der Gruppenphase viel zu selten gesehen hatte: Angeführt von einem überzeugenden Gakpo (ran-Note: 1) kam der Favorit zu zahlreichen hochkarätigen Torchancen.
Leipzig-Star Xavi Simons agierte - anders als noch in der Gruppenphase - aus einer tieferen Position und könnte sich so in dem freigewordenen Raum deutlich besser entfalten. Mit einem seiner gefährlichen Schnittstellenpässe bereitete er so auch das 1:0 vor.
Generell konnte Oranje ihr so gefürchtetes Spiel über die Flügel deutlich besser entfalten: Neben Gakpo, der die linke Außenbahn bearbeitete, tat sich in der ersten Halbzeit auch Denzel Dumfries hervor, der auf der rechten Seite für ordentliche Wirbel sorgte.
Solche Aktionen fehlten in der Gruppenphase noch weitestgehend, zur entscheidenden Zeit im Turnier scheint Koeman nun den richtigen Schlüssel gefunden zu haben. Auch das vorentscheidende 2:0 durch Dortmunds Donyell Malen (82. Minute) fiel – wenig überraschend - über die linke Seite und unter Beteiligung vom Mann des Spiels Gakpo.
Zwar bot der Gegner auch genügend Möglichkeiten zur Entfaltung, weil Rumänien mitspielen und sich nicht allein auf Defensivarbeit fokussieren wollte. So hatten beispielsweise die Polen den Niederländern in der Gruppenphase das Leben schwer gemacht.
Doch sei's drum: Selbst wenn der Selbstvertrauens-Schub durch den Sieg über einen am Ende klar limitierten Gegner kommt, er kann auf dem Weg nach Berlin neue Kräfte freisetzen, den Glauben an die eigene Stärke wiederherstellen. Und nicht nur das.
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Niederlande im Viertelfinale: Gravierende Schwachstelle bedroht Oranje
Trotz aller Euphorie und der klaren (offensiven) Leistungssteigerung ist bei den Niederländern noch viel Luft nach oben. Die Chancenverwertung war mitunter katastrophal, vor allem Stürmer Memphis Depay vergab teils beste Möglichkeiten. Hier scheint sich Koeman treuzubleiben - so gut das Spiel über die Flügel auch war, fehlt merklich ein Abnehmer in der Mitte, eine echte Neun, die der 30-Jährige nicht ist.
Dieser Umstand ist mittlerweile auch auf den Tribünen angekommen: Früh in der zweiten Halbzeit forderten die Anhänger lautstark mit Sprechchören Hoffenheim-Star "Woutje" Weghorst. Zwar erfüllte Koeman ihnen den Wunsch, allerdings erst in der Schlussphase.
Deutschland vs. Spanien: Die bisherigen großen Duelle vor dem EM-Viertelfinale
Ebenso wird das Fehlen von Superstar Frenkie de Jong im Mittelfeldzentrum immer auffälliger. Eine wieder aufgebrochene Sprunggelenksverletzung hatte eine EM-Teilnahme des Strategen verhindert. Seine Rolle müssen aktuell Jerdy Schouten und Tijjani Reijnders ausfüllen. Mit neun bzw. 13 Länderspielen fehlt ihnen einerseits die Erfahrung und andererseits unübersehbar die Qualität des 27-Jährigen, die gerade in der entscheidenden Phase eines solchen Turniers ausschlaggebend sein kann.
Zwar lösten die beiden ihre Aufgabe gegen Rumänien zuverlässig und ohne große Fehler, doch in einigen Situationen ließ sich die fehlende Routine und Klasse eines de Jong nicht verbergen. Andere Gegner dürften im letzten Drittel gnadenloser agieren, wenn sich ihnen solche Räume bieten.
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EM 2024: Niederlande mit "einfachem" Weg nach Berlin?
Dennoch: Die Elftal ist zurück im Favoritenkreis auf den EM-Titel. Während Top-Teams wie England und Frankreich spielerisch weiterhin enttäuschten und eine deutliche Leistungssteigerung zur Gruppenphase vermissen ließen, legte die Niederlande eine deutliche Schippe drauf - und das zum perfekten Zeitpunkt.
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Zumal auch der Turnierbaum nun mehr und mehr für eine längere EM-Party der Niederländer spricht: Während Portugal, Frankreich, Spanien und die DFB-Elf untereinander einen Finalteilnehmer ausspielen, bekommt es die Niederlande erst mit dem Überraschungsteam aus der Türkei zu tun und dann mit dem Sieger aus dem Spiel zwischen England und der Schweiz und Überraschungsteam. Angesichts der bideren Auftritte der "Three Lions" ist das der wohl deutlich leichtere Weg ins Endspiel.
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EM 2024: Oranje MUSS man auf der Rechnung haben
Und dennoch muss sich Bondscoach Koeman nach dem starken Auftritt gegen Rumänien noch einige Fragen gefallen lassen. Etwa nach Bundesliga-Überflieger Jeremie Frimpong, der abermals 90 Minuten auf der Bank saß, das Flügelspiel aber noch weiter verstärken könnte. Oder nach eben jenem von den Fans in München so vehement geforderten Wout Weghorst.
Gleichzeitig offenbart die Kritik an Koeman auch ein weiteres Qualitätsmerkmal der Elftal: die Tiefe des Kaders. So wechselte Koeman beispielsweise zwei der drei Treffer gegen Rumänien in Person von Donyell Malen erst ein. Nur wenige Nationen können diese Qualität von der Bank bringen.
Drei Siege noch und die Elftal hätte ihr eigenes EM-Märchen 2.0 - 36 Jahre nach dem Triumph von München. Es weht ein Hauch von 1988 durch Deutschland. Und nach dem diesem Achtelfinal-Auftritt ist der Mannschaft von Ronald Koeman alles zuzutrauen. Gerade weil plötzlich gegen Rumänien so viel funktionierte, aber gleichzeitig noch Luft nach oben war.