Nationalmannschaft
Markus Babbel exklusiv zum DFB-Team: "Da ist jetzt richtig Druck auf dem Kessel"
- Aktualisiert: 01.09.2023
- 13:32 Uhr
- Andreas Reiners
Hansi Flick hat mit seinem Kader für die Länderspiele im September für Überraschungen gesorgt. Ex-Nationalspieler Markus Babbel gibt im Gespräch mit ran eine Einschätzung zum Kader ab, zur Situation rund um Flick und des deutschen Fußballs.
ran: Markus Babbel, Hansi Flick hat den Kader für die beiden Länderspiele im September nominiert. Wie gefällt Ihnen der Kader?
Markus Babbel: Wichtig ist, dass er aus voller Überzeugung das umsetzt, was er in den beiden Spielen sehen will. Und das mit den Leuten, die er jetzt nominiert hat. Der Kader ist ein klares Zeichen, dass er Spieler haben will, die ihre maximale Leistung abrufen und dann auch regelmäßig spielen. Ich bin sowieso ein großer Befürworter davon, dass Leistung belohnt wird. Und trotzdem ist die eine oder andere Überraschung dabei. Flick muss jetzt versuchen, seine Truppe zu finden, bei der er glaubt, dass es die stärkste Mannschaft ist. Es geht ja nicht immer darum, die stärksten Einzelspieler auf den Platz zu bekommen, sondern die stärkste Mannschaft.
ran: Sie sprechen die Überraschungen an. Können Sie den Verzicht auf Leon Goretzka nachvollziehen?
Babbel: Der Zeitpunkt ist ein bisschen überraschend, weil er nach einem schwächeren halben Jahr seine Sache bei den Bayern zuletzt sehr gut gemacht hat. Ich persönlich bin ein großer Fan von Leon Goretzka. Mir gefällt diese Art von Spieler einfach wahnsinnig gut, weil er nicht nur alles auf dem Platz gibt, sondern er sowohl defensiv gut arbeiten als auch immer wieder selbst sehr torgefährlich sein kann. Aber der Verzicht ist das gute Recht des Bundestrainers. Er wird am Ende daran gemessen. Und wenn die EM in die Hose geht, dann braucht man kein großer Prophet sein, dass es dann für ihn schwierig wird.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Das Aus von Timo Werner dürfte weniger überraschend sein…
Babbel: Er läuft ja mehr oder weniger seit dem Wechsel zum FC Chelsea seiner Form ein Stück weit hinterher. Er lässt sein Können immer wieder aufblitzen. Aber er bekommt keine Konstanz rein. Aus welchen Gründen auch immer. Deswegen kann ich sehr gut nachvollziehen, dass er eine Pause bekommt. Um sich zu sammeln und darauf zu konzentrieren, im Verein wieder regelmäßig gute Leistungen zu bringen.
ran: Dass Pascal Groß in den Kader rücken würde, hatte auch nicht jeder auf dem Zettel…
Babbel: Ich finde, dass es überfällig war, er hat tolle Leistungen bei Brighton & Hove Albion gebracht. Er hat eine tolle Konstanz in seinem Spiel, mit der er den jungen Spielern Halt gibt. Ich hätte bei ihm eher schon früher damit gerechnet.
ran: Wenn Sie sich den Kader so anschauen - wer fehlt Ihnen?
Babbel: Es gibt keinen Fall, bei dem ich sage: 'Schade, dass der nicht dabei ist'. Das ist nun mal so ziemlich das Beste, das wir haben. Man könnte noch zwei, drei Spieler dazu nehmen, die es auch verdient hätten, aber das sind keine Spieler, bei denen man sagt: 'Wow, die müssen unbedingt dabei sein'. Mehr Top-Spieler haben wir eben nicht.
ran: Hansi Flick meinte, dass er Leute gesucht habe, die dem Team Energie geben und die ihr Ego hinten anstellen. Sehen Sie das als Seitenhieb gegen Spieler wie Goretzka?
Babbel: Diese Aussage habe ich überhaupt nicht verstanden. Da müsste ich ihn mal persönlich fragen, was er damit bezwecken wollte oder was damit gemeint ist. Ich kann damit nicht ganz so viel anfangen. Ein Leon Goretzka, ein Timo Werner oder ein Thilo Kehrer sind ja keine Stinkstiefel. Die wirken nicht so auf mich, als wenn sie intern Probleme bereiten würden.
ran: Hat denn dieser Kader Energie?
Babbel: Wir haben gute Spieler. Wir müssen es schaffen, die beste Mannschaft zu finden. Eine Mannschaft, die auch wieder diesen Glauben entwickelt, dass sie etwas gewinnen kann. Dieser Glaube ist völlig abhandengekommen. Mittlerweile haben wir schon Bedenken, wenn wir gegen die Ukraine spielen, ob wir gewinnen. Die deutsche Mannschaft hatte immer die DNA, auf den Platz zu gehen und zu wissen, dass man besser ist und gewinnt. Diese Überzeugung müssen sie sich jetzt wieder hart erarbeiten. Das geht nur mit erfolgreichen Spielen, mit Siegen. Klar ist dabei aber auch: Wir sind nicht mehr Weltklasse. Wir sind in einer Gruppe mit vielen anderen Nationen, die Qualitäten haben, aber da muss viel zusammenkommen, dass man den ganz großen Wurf schaffen kann. Wenn man sich den Kader anschaut, ist das keine Rumpeltruppe. Doch die Mannschaft darf nicht mit 90 Prozent in die Spiele gehen, sondern benötigt immer 100 Prozent. Alles steht und fällt mit dieser totalen Überzeugung. Das ist der entscheidende Hebel.
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ran: Glauben Sie, dass Trainer und Team das Ruder herumreißen können, was die Stimmung angeht, die Hoffnung auf ein gutes Turnier?
Babbel: Es ist nicht mehr viel Zeit und es ist schwierig, aber es ist nicht unmöglich. Als Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 das Ganze übernommen hat, lagen wir auch am Boden. Und da haben wir ein Sommermärchen erlebt, von dem wir heute noch zehren. Und in dieser Lage sehe ich uns jetzt auch wieder. Wir haben aufgrund der schlechten Spiele und Turniere, die die Mannschaft abgeliefert hat, kein großes Vertrauen in diese Truppe. Auch die Grabenkämpfe beim DFB haben nicht geholfen, um sympathischer zu werden, um eine größere Euphorie zu schaffen. Man hat sich so weit von der Basis entfernt, dass der Fußballfan keine 50 Euro mehr für den Mist bezahlt. Es waren viele, viele Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Stimmung so schlecht ist. Aber das ist ja das Schöne am Fußball: Man kann es ändern, und das schnell. Und es geht dabei immer um die Art und Weise, wie man Fußball spielt. Man will eine Mannschaft sehen, die sich wehrt, die Leidenschaft auf den Platz bekommt, die versucht, das Publikum mitzunehmen.
ran: Was muss Hansi Flick anders machen?
Babbel: Er muss die Dinge, die offensichtlich sind, bearbeiten. Und es schaffen, dass der Fan sich wieder total mit dieser Mannschaft identifizieren kann. Da macht er viele gute Sachen. Aber er braucht auch die maximale Unterstützung. Man hat immer das Gefühl, dass der DFB nicht viel verändern will. Solange sich der Tanker DFB nicht großartig bewegen will, wird es eben auch mit hochkarätigen Leuten wie Hansi Flick oder Rudi Völler wahnsinnig schwer.
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ran: Matthias Sammer hat den Ist-Zustand des deutschen Fußballs als größte Krise seit er denken kann bezeichnet. Wie groß ist die Krise Ihrer Meinung nach?
Babbel: Da kann ich mich nur anschließen. Wir klagen und jammern, wir sind aber auch nicht in der Lage, irgendetwas zu verändern. Wenn ich jetzt höre, dass in der Jugend gespielt wird, ohne die Tore zu zählen, ohne dass es irgendwelche Tabellen gibt, dann muss ich sagen: 'Alter Falter, was geht denn da ab?' Vielleicht bin ich auch nicht intelligent genug, um das zu verstehen. Das mag natürlich sein, denn da sind ja hochintelligente Menschen am Start. Aber mir fehlt mittlerweile der Glaube, denn Kinder brauchen den Wettbewerb. Die sollen einfach nur kicken. Es gibt ja auch gar keine Dribbler mehr. Über die hast du dich als Mitspieler zwar immer aufgeregt, aber die haben den Unterschied gemacht. Die Kinder sollten machen dürfen, Spaß haben, dribbeln, spielen. Das waren die Gründe, warum wir angefangen haben, Fußball zu spielen. Weil man völlig frei von der Leber Spaß haben konnte.
ran: Was muss sich beim DFB denn noch ändern?
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Babbel: Sie müssen mutiger werden. Wenn es stimmt, dass Sami Khedira zu innovativ war für den DFB, da stellen sich bei mir die Nackenhaare auf. Das ist ja genau das, was ich suche. Ich suche ja Leute, die Ideen oder Vorstellungen haben, wie man Dinge in eine bessere Richtung lenken kann. Und jetzt nehmen sie als DFB-Direktor im Nachwuchsfußball wieder einen aus dem eigenen Stall. Hannes Wolf ist ein super Mann, aber schlussendlich ändert sich nichts. Und das ist das ganz große Problem beim DFB. Da muss erst die Kacke so richtig dampfen, damit irgendwas verändert wird. Stattdessen müsste man wieder in die Vereine gehen. Um die Werte, die uns ausgezeichnet haben, wieder zu stärken, die Grundtugenden, die Basics. Wir haben brutale Werte gehabt, die uns in der Welt richtig stark gemacht haben. Doch wir wurden inzwischen von vielen Nationen überholt.
ran: Nadine Keßler ist im Gespräch als Nachfolgerin für Oliver Bierhoff. Kann diese Personalie ein wichtiger Impuls sein?
Babbel: Mir hat sowieso eine weibliche Sicht auf die Dinge gefehlt. Ich habe es auch nie verstanden, dass Oliver Kahn in der Taskforce sitzt. Der ist nicht der Mann an der Basis, der weiß, welche Hebel man jetzt anpacken muss, um das Richtige durchzusetzen. Da fehlt ein Jugendtrainer, ein Norbert Elgert oder ein Hermann Gerland, die genau wissen, wovon sie sprechen, weil sie an der Basis sind und sich mit den Themen auseinandersetzen, Woche für Woche. Ob jetzt eine Frau oder Mann kommt, ist egal, die- oder derjenige muss Kompetenzen und ein hohes Maß an Qualität und Fachwissen mitbringen. Die Qualität muss wieder der ausschlaggebende Punkt sein, genauso wie bei der Mannschaft auch.
ran: Spielt Hansi Flick bei den kommenden Länderspielen schon um seinen Job?
Babbel: So haben sich die Aussagen der Offiziellen zumindest angehört. Jetzt im September, da geht's los. Wenn das jetzt wieder so in die Hose geht, wenn er die zwei Spiele verlieren sollte und die Mannschaft wieder enttäuscht, dann wird's für Hansi Flick brutal schwer. Da ist jetzt richtig Druck auf dem Kessel.
ran: Halten Sie ihn noch für den Richtigen?
Babbel: Hansi Flick ist ein ausgewiesener Fachmann. Ob er der Richtige für diese Mannschaft ist, das werden wir anhand der Resultate sehen. Man muss das Gefühl haben, dass eine Mannschaft für den Trainer durch das Feuer geht. Das brauchen wir. Klinsmann hat es damals geschafft, den Spirit zu entwickeln, dass sie für ihn durch das Feuer gegangen sind. Da müssen wir wieder hin, da muss Flick mit seinem Team hin. Wir müssen es schaffen, den Glauben daran zu wecken, dass wir etwas erreichen können. Und wenn sie das hinbekommen, dann habe ich auch keine Sorgen wegen der EM, denn mit den Fans im Rücken kannst du schon etwas bewirken. Auch wenn es zum Titel meiner Meinung nach so oder so nicht reichen wird.