vor dem länderspiel am freitag
Nations League - Bosnien-Legende Zvjezdan Misimovic vor Duell mit Deutschland: "Der Sturm ist unser Prunkstück"
- Aktualisiert: 11.10.2024
- 14:31 Uhr
- Philipp Kessler
Vor dem Spiel in der Nations League gegen Deutschland spricht Zvjezdan Misimovic bei ran über die Chancen der Bosnier, seine beiden Landsleute Sergej Barbarez und Hasan Salihamidzic sowie sein schönstes Erlebnis mit der Nationalmannschaft.
Das Interview führte Philipp Kessler
In Deutschland hat Zvjezdan Misimovic alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Als Teil des Profikaders Double-Sieger mit dem FC Bayern 2003, Zweitliga-Meister mit dem VfL Bochum 2006 und Meister mit dem VfL Wolfsburg 2009.
Der gebürtige Münchner war auch mit der bosnischen Nationalmannschaft erfolgreich, in 85 Länderspielen erzielte er 25 Tore und vertrat das Land auch bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien.
Der frühere Offensiv-Star ist mittlerweile strategischer Berater des Fußballverbands von Bosnien-Herzegowina. Das Nations-League-Spiel am Freitag (ab 20.45 Uhr im Liveticker) gegen Deutschland in Zenica wird sich Misimovic vor Ort anschauen.
Im exklusiven Interview mit ran spricht der 42-Jährige nicht nur über die Partie, sondern auch über seine erfolgreiche Karriere. Zudem verrät er, welcher frühere Mitspieler ihn einst überzeugt hat, für die bosnische Nationalmannschaft aufzulaufen.
ran: Ein 1:1 im Oktober 2002, ein 1:3 im Juni 2010 - bislang konnte Bosnien nicht gegen Deutschland gewinnen. Klappt es dieses Mal?
Zvjezdan Misimovic: Sagen wir so: Damit wir wirklich eine Chance haben, bräuchten wir schon einen perfekten und Deutschland einen schlechten Tag. Wir befinden uns ein wenig im Umbruch. Wir haben viele junge und neue Nationalspieler. Mit Sergej Barbarez haben wir zudem einen neuen Trainer, dem man Zeit geben will. Ich denke, dass Deutschland schon ein ganz anderes Kaliber ist.
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ran: Einen kleinen Vorgeschmack, wie es ist, in der Nations League gegen große Fußballnationen zu spielen, haben Sie zuletzt gegen die Niederlande bekommen.
Misimovic: Wir haben Anfang September gegen sie mit 2:5 verloren. Ich glaube, Holland hatte 28 Torschüsse. Das war also recht deutlich. Bei uns zu Hause gegen Deutschland wird es vielleicht ein bisschen anders mit unseren Fans im Rücken. Sie können das Spiel kaum erwarten. Es ist etwas Besonderes, wenn Deutschland zu Gast ist. Das passiert nicht alle Tage.
Misimovic: "Wir müsen auf ein Wunder hoffen"
ran: Worauf wird es aus bosnischer Sicht ankommen?
Misimovic: Deutschland ist besser, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Wir müssen dagegenhalten und fighten, das 0:0 solange wie möglich halten und auf ein Wunder hoffen. Die Defensive muss stehen, ein frühes Gegentor wäre fatal. Wir dürfen auch die Offensive nicht vernachlässigen und sollten nach vorne Nadelstiche setzen. Was passieren kann, wenn man sich einschnüren lässt, hat man bei unserem Spiel gegen die Niederlande gesehen.
ran: Ter Stegen, Musiala, Havertz oder auch Füllkrug - bei Deutschland fehlen dieses Mal namhafte Stars. Ein Vorteil für Bosnien?
Misimovic: Ich finde, dass Deutschland einen breiten Kader mit genügend Qualität hat. Aber wenn so viele verletzte Spieler ausgetauscht werden müssen, bringt das ein wenig Unruhe in eine Mannschaft. Das könnte uns schon entgegenkommen.
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ran: Welche Spieler könnten für Deutschland gefährlich werden?
Misimovic: Zum Beispiel Edin Dzeko mit seiner Erfahrung. Er ist als Kapitän und Leader unantastbar. Er hat enorme Qualität, das wissen alle. Aber gegen solche Mannschaften ist es auch schwieriger für ihn, wenn wir deutlich tiefer stehen. Er ist mit 38 Jahren nicht mehr der Jüngste. Ich denke allerdings, dass er sich mit Ermedin Demirovic, der viel unterwegs ist, gut ergänzen wird. Der Sturm ist unser Prunkstück. Amar Dedic sollten wir auch nicht vergessen. In jungen Jahren ist er als Rechtsverteidiger bei Salzburg gesetzt. Aber er hat sich am vergangenen Wochenende leider verletzt.
ran: Wer gefällt Ihnen bei Deutschland am besten?
Misimovic: Musiala, der ja dieses Mal leider fehlt, und Wirtz natürlich. Beide sind unberechenbar und können jede Abwehr knacken. Schon in jungen Jahren können sie mit einer Aktion das Spiel entscheiden. Beide sind einfach unbekümmert.
ran: Sie haben Sergej Barbarez vorhin angesprochen. Was für ein Trainer ist er?
Misimovic: Schwierig zu sagen. Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Er war ein intelligenter Spieler. Und er ist auch ein intelligenter Mensch und Trainer. Wir sind aber auch ehrlich zu uns selbst: Die Gruppe A in der Nations League ist aktuell noch eine Nummer zu groß für uns. Wir richten noch unsere Taktik auf den Gegner aus. Ich denke, dass wir zur WM-Qualifikation ein besseres Team sehen werden.
Bosnien mit neuem Trainer Barbarez
ran: Haben Sie Ihren früheren Nationalmannschafts- und Bundesliga-Kollegen als Teamchef vorgeschlagen?
Misimovic: Ich bin mit unserem Präsidenten Vico Zeljkovic immer in Gesprächen. Sergej war schon öfter ein Kandidat. Er hat bereits seit 13 Jahren die Trainerlizenz, aber davor noch niemanden trainiert. Das war früher das Problem. In einer Situation, als wir beispielsweise gegen die Ukraine im Halbfinale der Playoffs für die EM 2024 gespielt haben, möchte man auch nicht einen ganz unerfahrenen Trainer reinschmeißen. Er ist sehr beliebt bei den Fans, er hat große Verdienste für das Land und die Nationalmannschaft. Jetzt kann er sich als Trainer beweisen.
ran: Sie sind strategischer Berater des bosnischen Fußballverbands. Welche Aufgaben haben Sie?
Misimovic: Ich war 20 Jahre lang Teil der Nationalmannschaft. Ich kenne das Umfeld sehr gut. Mit unseren Fans ist es nicht immer einfach, Erwartungen und Realität können manchmal schon weit auseinander liegen. Ich bin fast täglich im Austausch mit unserem Präsidenten, der schon in seiner ersten Amtszeit sehr viel für den bosnischen Fußball gemacht hat. Zum Beispiel Hybridplätze in den ersten Ligen oder den VAR dieses Jahr. In Bosnien hinken wir zwar immer ein bisschen hinterher, aber mit dem neuen Präsidenten nimmt alles Formen an. Wir leben auch von den ausländischen Spielern, die beispielsweise in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Skandinavien geboren wurden. Die versuchen wir, wieder nach Hause zu holen.
ran: Sie wurden in München geboren. War Ihnen schon immer klar, dass Sie für Bosnien spielen wollen?
Misimovic: Ich hatte ein Angebot der deutschen U21-Nationalmannschaft. Ich habe mich damals aber für Jugoslawien entschieden, quasi das heutige Serbien. Ich hatte also verschiedene Optionen. Hasan Salihamidzic hat mich bei Bayern mal im Kraftraum angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, auch für Bosnien zu spielen. Dann habe ich mit meiner Familie darüber geredet und mich schlussendlich dafür entschieden.
ran: Welche Rolle spielte Ihr Landsmann Salihamidzic in Ihrer Karriere?
Misimovic: Hasan war ein Vorbild für mich. Als ich aus der Jugend raus bin und einen Profivertrag bekommen habe, durfte ich mit der ersten Mannschaft der Bayern mittrainieren. Hasan war ein gestandener Spieler und als Typ super. Und dann hat er mich eben nach Bosnien gelockt.
ran: Was war Ihr schönstes Erlebnis mit der Nationalmannschaft?
Misimovic: Natürlich die WM in Brasilien 2014. Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir uns damals für ein großes Turnier qualifiziert. Schade finde ich, dass später der Quali-Modus geändert wurde. Dann war es leichter, sich zu qualifizieren. Zu unserer Zeit war nur der Gruppenerste fix dabei und der Zweite musste in die Playoffs. Meine Generation hätte mit dem heutigen Modus wahrscheinlich zwei, drei Turniere mehr gespielt.
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Misimovic stand beim letzten Länderspiel gegen Deutschland noch auf dem Feld
ran: Beim bis dato letzten Länderspiel zwischen Bosnien und Deutschland waren Sie 2010 auch dabei. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Misimovic: Es war das vorletzte Testspiel von Deutschland vor der WM in Südafrika. Der Juni-Termin ist immer ein bisschen undankbar für die Mannschaften, die nicht für das Turnier qualifiziert sind. Wir waren damals schon ein, zwei Wochen im Urlaub und sind dann zum Spiel kurz zurückgekommen. Solange wir Kraft und Luft hatten, konnten wir das Spiel offenhalten. Am Ende ging es aber 1:3 aus.
ran: Blicken wir auf Ihre erfolgreiche Vereinskarriere. Sie wurden beim FC Bayern ausgebildet und hatten sicher auch den Traum, dort mit der ersten Mannschaft große Erfolge zu feiern.
Misimovic: Klar hat man diese Hoffnung. Aber natürlich ist es beim FC Bayern immer schwierig, sich durchzusetzen, weil man die Hochkaräter vor sich hat. Ich habe mich recht früh damals für den Wechsel 2004 nach Bochum entschieden. Hermann Gerland hatte beste Kontakte dorthin und mich empfohlen. Der VfL steht für Ruhrpott, für Kämpfen und Malochen. Ich war ein Spieler, der eher technisch versiert war. Von daher hat mich dieser Schritt nach Bochum nach vorne gebracht. Im März des Jahres meines Wechsels hieß es, Magath kommt als Trainer zu Bayern. Man kann natürlich nicht sagen, wie es gelaufen wäre, wenn ich geblieben wäre. Aber später haben wir in Wolfsburg sehr gut zusammengearbeitet.
ran: Waren das Training wirklich so hart unter ihm?
Misimovic: Die sechs Wochen Vorbereitung sind schon sehr hart. Aber der Erfolg, den er eigentlich überall hatte, wo er Trainer war, spricht für ihn. Mit Blick auf die heutigen Generationen und seine Philosophie würde ich aber sagen, dass da Welten aufeinandertreffen würden… (lacht)
ran: Damals hat es aber in Wolfsburg bestens funktioniert. In Ihrer ersten Saison dort wurden Sie 2009 auf Anhieb überraschend Meister.
Misimovic: Das war die erfolgreichste Zeit meiner Karriere. Wir hatten eine super Mannschaft. Dazu ist das Umfeld in Wolfsburg sehr ruhig. Natürlich waren es sehr schöne zwei Jahre.
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Misimovic: Türkische Fans gehen auch über die Grenzen hinaus
ran: 2010 sind Sie für 8,5 Millionen Euro Ablöse zu Galatasaray Istanbul gewechselt. Im März 2011 ging es weiter zu Dynamo Moskau. Vor Ihrem Karriereende haben Sie von 2013 bis 2015 bei BJ Renhe in China gespielt und wurden Pokalsieger.
Misimovic: In der Türkei gibt es ja nur Hopp oder Top. Entweder ist alles super oder alles katastrophal. Die Fans sind sehr fanatisch, desöfteren gehen sie auch über die Grenzen hinaus. Aber so sind sie halt. Als ich nach Russland kam, wurde gerade alles wegen der WM 2018 hochgefahren. Es war sehr professionell dort und Moskau ist auch eine wunderschöne Stadt.
ran: War der Wechsel nach China für Sie ein Kulturschock?
Misimovic: Am Anfang dachte ich mir, dass es schwierig werden könnte. China hat eine ganz andere Kultur und auch ein anderes Essen. Im Endeffekt waren die Menschen aber sehr nett. Zwar waren die sportlichen Verhältnisse nicht so professionell wie in Deutschland. Aber das Land war damals im Umbruch, sie haben angefangen große Summen in den Fußball zu investieren, ähnlich wie Saudi-Arabien jetzt. Der Verein war erst in Guangzhou, dann ist er nach Peking, drei Flugstunden entfernt, gezogen. Aber die Leute waren sehr zuvorkommend. Meine Kinder kamen mich zu der Zeit immer besuchen. Die schwärmen heute noch von China. Alles ist so groß dort.
ran: Ihr 19-jähriger Sohn Luka spielt seit Sommer für den bosnischen Meister Borac Banja Luka. Sind Sie streng mit ihm?
Misimovic: Das würde ich schon sagen. Es ist immer etwas schwierig: Wenn man den eigenen Söhnen etwas sagt, nehmen sie das vom eigenen Vater schwer auf. Er hat im Sommer die Möglichkeit gehabt, von Ingolstadt dorthin zu wechseln und beim amtierenden bosnischen Meister Fuß zu fassen. Obwohl er Bosnier ist, war es schon eine Umstellung für ihn. Er ist ja in Deutschland aufgewachsen und hat auch da gelebt.
ran: Ist er ein ähnlicher Spielertyp wie Sie früher?
Misimovic: Nein, da ist er ganz anders als der Papa. Er ist Stürmer, Linksfuß und behauptet die Bälle vorne. Da ist er eher wie Dzeko.
ran: Wie sieht Ihr Leben aktuell aus?
Misimovic: Ich pendle zwischen Bosnien und Deutschland. Ich verfolge Luka, versuche seit seinem Wechsel auch öfter da zu sein. Ich habe noch zwei weitere Söhne und meine Frau in München. Da hat man natürlich einiges zu tun.