DFB-Team
Paul Wanner: Der nächste große Spielmacher - doch für welchen Verband?
- Veröffentlicht: 05.09.2024
- 17:37 Uhr
- Justin Kraft
Paul Wanner startet beim 1. FC Heidenheim so richtig durch. Damit spielt er sich nicht nur beim FC Bayern München wieder in den Fokus, sondern auch beim ÖFB und dem DFB – die beiden Verbände, für die er auflaufen kann.
Fußball ist, obwohl eine Partie 90 Minuten plus Nachspielzeit dauert, ein Spiel der Sekunden. Manchmal gar eines der Bruchteile von Sekunden.
Paul Wanner lieferte am vergangenen Wochenende abermals ein sehr gutes Beispiel dafür: In der 69. Minute erobert er den Ball in der Hälfte des FC Augsburg und kann allein auf einen Verteidiger zulaufen. Im Zentrum steht ein Mitspieler im Abseits, weshalb er kein Tempo aufnehmen kann, hinter ihm ist ein Verteidiger bereits auf dem Weg nach hinten, hat also mehr Geschwindigkeit.
Viele Spieler würden wohl dennoch versuchen, den etwas überhasteten Pass in die Mitte zu spielen. Wanner aber zögert den Moment des Abspiels heraus, zieht nach innen und weiß, dass hinter ihm noch ein weiterer Mitspieler hinterläuft. Es ist Adrian Beck. Beck wird von Wanner geschickt und kann mit viel Tempo frei auf das Tor zulaufen. Sein Abschluss bringt das 3:0.
Ein Treffer, der vielleicht nicht gefallen wäre, hätte Wanner sich für den zunächst offensichtlichen Pass entschieden – entweder wegen einer Abseitsposition oder weil das Tempo gefehlt hätte.
Das Wichtigste in Kürze
Gegen einen Ball treten können alle Profis. Deshalb verdienen sie ihr Geld damit. Auch technisch haben die meisten sehr viel drauf. Einer der größten Unterschiede zwischen herausragenden Fußballern und durchschnittlichen ist gerade auf diesem Level aber der Faktor Zeit: Welche Entscheidung wird unter Zeit- und damit unter Gegnerdruck getroffen?
Paul Wanner: Beim FC Bayern schon lange im Fokus
Wanner deutet seit einiger Zeit an, dass er das Potenzial hat, ein herausragender Spieler zu sein und sich vom Durchschnitt abzuheben. Das hat man auch beim FC Bayern sehr früh erkannt. Mit 16 Jahren und 15 Tagen wurde Wanner im Januar 2022 zum jüngsten je in der Bundesliga eingesetzten FCB-Spieler.
Grund dafür war unter anderem, dass zahlreiche Profis ausfielen. Aber eben auch, dass man dem damaligen Top-Talent des Campus signalisieren wollte: Wir setzen auf dich. Es wird eine Perspektive für dich geben. Denn zum damaligen Zeitpunkt war noch gar nicht klar, ob er überhaupt bei den Bayern unterschreibt. Doch das tat er wenig später.
Anschließend wurde es lange ruhig um Wanner. Was ihm allerdings nicht gerade schadete. Am Campus begann er, diszipliniert an seinen Schwächen insbesondere in der Arbeit gegen den Ball zu arbeiten. Und so fasste man im Sommer 2023 den Entschluss, ihm die Möglichkeit zu geben, Spielpraxis auf höherem Niveau als am Campus zu bekommen.
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Ursprünglich sollte der damals 17-Jährige zu Sturm Graz verliehen werden. Weil die Leihe kurz vor Vollzug platzte, ging er nach Elversberg. Eine glückliche Fügung.
Denn in der 2. Bundesliga zeigte der Offensivmann starke Leistungen, etablierte sich schnell zu einem wichtigen Spieler – und das in einer Liga, die für technisch versierte Talente häufig schwierig ist. Sieben Tore und drei Assists standen nach 1.928 Minuten immerhin auf seinem Konto.
Die Station beim FC Heidenheim ist nun der nächste Schritt in seiner Entwicklung. Unter Frank Schmidt, das deutet sich jetzt schon an, wird Wanner auch gegen den Ball wieder ein Stück stärker. Dass er das einhundertprozentige Vertrauen des Trainerteams und seiner Mitspieler spürt, zeigte sich auch daran, dass das FCB-Talent den Elfmeter gegen Augsburg schoss – und verwandelte.
Entscheidet sich Paul Wanner für den DFB?
Bald wird auch eine weitere wichtige Karriereentscheidung für ihn anstehen. Seine Mutter ist Österreicherin, sein Vater kommt aus Deutschland. Wanner kann sowohl für den ÖFB als auch für den DFB auflaufen. In der Jugend durchlief er die Stationen des deutschen Verbands. Doch Österreich kämpft um ihn.
Im November 2022 trainierte der Linksfuß mit der A-Nationalmannschaft unter Ralf Rangnick. Ein Schnupperkurs mit dem klaren Signal: Bei uns ist der Weg in den Kader und in die Startelf kurz. Rangnick höchstpersönlich soll sich in dieser Zeit sehr eng mit dem Spieler ausgetauscht haben. "Ich hatte gute Gespräche mit Trainer Ralf Rangnick und seinem Assistenten Lars Kornetka. Das schätze ich sehr", sagte der U-Nationalspieler mal im Interview mit der "Sport Bild".
Rangnick wollte Wanner auch unbedingt für die anstehenden Nations-League-Partien Österreichs gegen Slowenien und Norwegen nominieren und bestätigte, dass beide Seiten im regen Austausch stehen.
"Wir haben regelmäßig Kontakt zu Paul. Er wäre ein klarer Kandidat gewesen", sagte Rangnick. Doch Wanner sagte dem ÖFB für die beiden Länderspiele ab.
Wanner habe Rangnick mitgeteilt, dass er sich zunächst "als Bundesligaspieler richtig etablieren möchte". Rangnick konnte die Entscheidung nachvollziehen. "Wenn er sich für uns entschieden hätte, hätte er den Rest seiner Karriere in Österreich spielen müssen, deshalb verstehe ich absolut, dass er abwarten möchte."
DFB ließ sich Zeit
Vom DFB hingegen kam sehr lange, sehr wenig. Julian Nagelsmann, der Wanner 2022 zum Debüt beim FC Bayern verhalf, sagte jüngst auf einer Pressekonferenz: "Er ist ein Spieler mit sehr viel Potenzial und Tempo, den wir beim DFB fest in unseren Planungen haben."
"Ich habe ihm damals als Bayern-Trainer in den Gesprächen viele Dinge gesagt, die ich verlange. Diese Dinge haben sich jetzt als Bundestrainer nicht geändert", erklärte der Bundestrainer: "Er weiß, an welchen Dingen er arbeiten muss und weiß, welche Dinge er herausragend gut kann."
Mit Jamal Musiala, Florian Wirtz, Kai Havertz und einigen anderen Spielern ist die Konkurrenz im DFB-Kader sehr groß. Das Potenzial für Titel ist in Deutschland aber ebenfalls groß – zumindest größer als beim ÖFB. Die Tendenz scheint aktuell zu sein, dass er für den DFB auflaufen wird.
Paul Wanner: Nochmal anders als Musiala und Wirtz
Und Wanner dürfte um seine Qualitäten wissen. Qualitäten, die ihn auch nochmal zu einem anderen Spielertypen machen, als es Florian Wirtz oder Jamal Musiala sind. Es gibt zwar Ähnlichkeiten, doch bei Wanner ragt die Fähigkeit beim letzten Pass heraus. Etwas, das dem DFB-Team bei der Europameisterschaft vielleicht einen Tick abging.
Musiala und Wirtz können ebenfalls sehr gute Tiefenpässe spielen. Wanner aber erinnert, was sein Passspiel und sein Timing angeht, an große Vorbereiter der letzten Dekade wie Kevin De Bruyne oder Mesut Özil. Seine Übersicht und sein Gespür für den richtigen Pass im genau richtigen Moment sind für sein Alter bemerkenswert.
Und doch muss man selbstredend vorsichtig sein, ihn nicht schon jetzt in Sphären zu heben, die noch fern sind. Physisch kann und muss er sich weiterhin verbessern und eine große Unbekannte ist zudem noch, wie er damit zurechtkommen wird, wenn er eines Tages für ein Team spielt, in dem die Gegenspieler ihm häufiger und schneller auf den Füßen stehen werden. Wenn die Räume plötzlich kleiner sind.
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Eines aber lässt neben dem reinen Talent durchblicken, dass er es eines Tages auf die ganz große Bühne des Weltfußballs packen kann: Sein Umfeld und er selbst haben bei allen Karriereentscheidungen, die bisher anstanden, Ruhe bewiesen. Während andere Talente nach ihrem Debüt beim FC Bayern wohl schon Ansprüche gestellt hätten, blieben er und seine engsten Vertrauten gelassen und realistisch.
Bodenständigkeit, die ihm in Elversberg half und jetzt auch beim 1. FC Heidenheim hilft. Vier Tore und zwei Vorlagen in bisher vier Einsätzen für den FCH sind eine erste Ansage. Hält er diese Form, wird er schneller eine Verbands-Entscheidung treffen müssen, als er selbst im Sommer wohl noch dachte.
Doch Wanner beherrscht nicht nur das Spiel der Sekunden auf dem Platz. Er scheint auch das Spiel im Griff zu haben, das neben dem Platz seinen Karriereweg beeinflusst.