Frauen-WM in Australien und Neuseeland
Frauen-WM 2023 - Julia Simic: "Die stärkste und beste WM, die es bisher gab"
- Aktualisiert: 21.07.2023
- 12:21 Uhr
- ran.de / Christian Stüwe
Julia Simic wird während der Fußball-WM für ran als Kolumnistin arbeiten. Im Interview zum Auftakt spricht sie über die deutschen Chancen, die Favoriten und die Zukunft des Frauen-Fußballs.
von Christian Stüwe
Julia Simic hat als Spielerin nur zwei Länderspiele bestritten, kann aber dennoch auf eine imposante Laufbahn zurückblicken: Sie wurde mit Wolfsburg Meister und gewann viermal den DFB-Pokal, mit dem VfL und mit dem FC Bayern, wo sie acht Jahre spielte.
Zudem wurde die Deutsch-Kroatin 2007 mit der deutschen U19 Europameisterin und spielte später noch für West Ham United und zuletzt beim AC Mailand.
Einen Namen hat sich die 34-Jährige zudem als meinungsstarke Expertin gemacht und in dieser Rolle wird sie auch die deutschen Spiele bei der WM mit einer Video-Kolumne bei ran analysieren.
Vorher äußert sich Simic im Interview über die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland und die Situation bei der DFB-Auswahl.
Julia Simic, zuletzt haben Sie sich als meinungsstarke TV-Expertin einen Namen gemacht, jetzt sind Sie WM-Kolumnistin bei ran - was können die User von Ihnen erwarten?
Julia Simic: Ich will Einblicke geben, die man am TV nicht bekommt. Ich bin aktuell vor Ort und darf die Atmosphäre hier aufschnappen. Das hilft dabei, neben dem sportlichen Geschehen, das man vielleicht auch im Fernsehen mitbekommt, den Gesamteindruck von dieser WM zu vermitteln. Ich war beim Auftaktspiel Neuseeland gegen Norwegen in Auckland und werde beim ersten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen Marokko ebenfalls im Stadion sein. Da bekommt man ein gutes Gefühl für das gesamte Turnier und die beiden Ausrichterländer. Man bekommt auch einen Eindruck, wie fußballverrückt die Menschen hier sind. Das unterscheidet sich deutlich von dem, was wir aus Deutschland oder Europa kennen.
Wie lange werden Sie in Australien und Neuseeland vor Ort sein?
Ich bin bis zum 26. Juli hier. Ich bin Co-Trainerin der U20 bei Eintracht Frankfurt und muss dann in der Vorbereitung für die Mädels da sein. Vom Auckland fliegen wir nach Australien weiter, sind dann ein paar Tage in Melbourne und schauen uns die deutschen Frauen an. Dann sind wir noch einen Tag in Sydney und sprechen mit vielen Leuten vor Ort. Wir versuchen einen möglichst kompletten Eindruck aus unterschiedlichen Perspektiven zu bekommen.
Sie haben selbst 2008 die U20-WM in Chile gespielt und dort Bronze geholt. Bedauern Sie es, dass Sie im Erwachsenen-Bereich keine Weltmeisterschaft spielen konnten?
So ein Turnier hätte ich natürlich gerne als Spielerin miterlebt, gerade in der aktuellen Zeit. Klar, wenn man hier vor Ort ist, würde man am liebsten wieder auf dem Platz stehen (lacht). Das ist aber auch bei anderen Spielen so, dass ich schon noch Lust hätte, dabei zu sein. Da kribbelt es doch noch in den Füßen. Aber grundsätzlich ist es schön, dass der Frauenfußball so weit gekommen ist, dass man so eine Weltmeisterschaft auch aus anderen Perspektiven erleben kann. Das ist einer der Fortschritte, der einhergeht mit der Professionalisierung des Frauenfußballs.
Mit Alex Popp haben Sie in Wolfsburg zusammengespielt, mit Lina Magull in Freiburg. Wie ist Ihr Draht zur aktuellen DFB-Mannschaft?
Man trifft sich immer mal wieder. Ich war zuletzt im Trainingslager in Herzogenaurach, da konnte ich auch mit den Spielerinnen sprechen. Den engsten Draht in der aktuellen Mannschaft habe ich zu Lina Magull. Einige der anderen Spielerinnen haben wir im Rahmen einer Dokumentation kürzlich interviewt, da konnte man ganz gut mitbekommen, wie die Stimmung in der Mannschaft ist. Ich glaube, dass die Mädels ein gutes Gefühl haben und sich freuen, dass es endlich los geht.
Nationalspielerin Linda Dallmann hat im Interview mit ran gesagt, dass es vor einer WM noch nie so offen und spannend war, was die Favoritinnen angeht. Stimmen Sie zu?
Ja, das sehe ich genauso. Wenn man einen Tipp abgeben soll, wer Weltmeister wird, fallen einem einige Nationen ein. Da zähle ich Deutschland dazu, Europameister England, Frankreich, Spanien und Schweden als europäische Teams. Aber natürlich auch die USA, Japan sowie Kanada als amtierende Olympiasiegerinnen. Aber auch Australien gehört zu diesem Favoritenkreis, sie haben eine richtig gute Mannschaft. So eng war das Rennen an der Spitze mit so vielen Mannschaften noch nie.
Was sagt das über die Qualität des Frauenfußballs aus?
Das ist der nächste Schritt, deshalb ist es wahrscheinlich auch die stärkste und beste WM, die es bisher gab. Weil einfach so viele Mannschaften so gut sind und so viele Top-Stars in ihren Reihen haben. Ich glaube, ich persönlich kannte noch nie so viele Spielerinnen bei einer WM. Das liegt daran, dass der Frauenfußball immer sichtbarer wird und es immer mehr Spielerinnen gibt, die auf Top-Level performen können.
Sambia hat Deutschland zuletzt im Testspiel besiegt. Könnte auch eine afrikanische Mannschaft überraschen?
Überraschen auf jeden Fall, das haben sie gegen Deutschland ja schon getan. Man hat gesehen, zu was Stürmerin Babra Banda in der Lage ist. Sambia ist mit Spanien in der Gruppe C, das Spiel müssen die Spanierinnen erstmal spielen. Das gleiche gilt für Deutschland gegen den ersten Gruppengegner Marokko. Das ist eine Mannschaft, die zum ersten Mal bei einer WM dabei ist und mit Reynald Pedros einen Trainer hat, der selbst ein Fußball-Star war und mit Olympique Lyon zweimal die Champions League gewonnen hat. Im Land haben sie viel Rückenwind, Marokko ist total ambitioniert, ein gutes Bild bei der WM abzugeben. Sie wollen es den Favoriten richtig schwermachen.
Deutschland dritter Gruppengegner Südkorea hat mit Colin Bell einen Trainer, der jahrelang in der Bundesliga gearbeitet hat und in Deutschland lebt. Ist das ein Vorteil für die Südkoreanerinnen?
Er kennt viele Spielerinnen, das ist ein Vorteil. Er kennt den europäischen Fußballstil, arbeitet aber jetzt schon eine Weile in Südkorea. Ich kenne südkoreanische Spielerinnen, die schwärmen sehr von ihm. Sie finden seinen Spielstil gut. Südkorea ist eine Mannschaft die körperlich spielt, das ist untypisch für Asiatinnen. Japan etwa setzt auf Ballbesitz und Tiki-Taka-Fußball. Die Südkoreanerinnen sind aber auch von der Statur her etwas wuchtiger und größer. Das ist ein anderer Spielstil, den vielleicht auch Colin Bell eingebracht hat. Die Mannschaft ist sehr organisiert, sehr diszipliniert und hat viele gute Spielerinnen, die in Europa spielen. Auf Südkorea wird man aufpassen müssen.
Haben Sie weitere Außenseiter auf dem Zettel?
Es wird auf jeden Fall Überraschungen geben. Auch Deutschlands zweiter Gegner Kolumbien kann eine gute Rolle in dem Turnier spielen. Weil sie auf ihre Weise stark sind und sehr temperamentvoll spielen, um es mal nett auszudrücken (lacht). Aber das ist ja auch das Schöne bei einer WM, wenn es Überraschungen gibt.
Irland hat zuletzt ein Testspiel gegen Kolumbien wegen übertriebener Härte abgebrochen. Denken Sie, das ist in den Köpfen der DFB-Spielerinnen?
Das glaube ich schon. Das war groß in den Medien, das haben alle mitbekommen. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg oder ihre Assistentin Britta Carlson werden sich die Spiele anschauen und darauf hinweisen, dass man dagegenhalten muss. Das ist wie bei einem Pressschlag, wenn man zurückzieht, verletzt man sich selbst. Deshalb muss man gut reinkommen und den Gegnerinnen den Zahn ziehen. Darauf wird sich die deutsche Mannschaft vorbereiten, da bin ich mir ganz sicher. Aber das kann auch wehtun.
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Könnte das ein Problem für die deutsche Mannschaft werden?
Gerade wenn man eine spielerische Mannschaft ist, darf man sich von Gegnerinnen, die hart in die Zweikämpfe gehen, nicht aus dem Konzept bringen lassen. Das sagt sich leicht, ist aber auf dem Platz schwer. Jede Mannschaft ist für sich stark, alle sind fit und können auf dem Level mittlerweile gut verteidigen. Dann geht es auch darum, Tore zu schießen. Und damit hat sich die deutsche Mannschaft zuletzt gegen Sambia und Vietnam ein bisschen schwergetan. Das kommt dann mit der Leichtigkeit, mit dem guten Gefühl. Ich hoffe, dass sie das schnell bekommen werden.
Lag es an dieser fehlenden Leichtigkeit, dass das DFB-Teams zuletzt so schwache Testspiele gezeigt hat?
Ich habe das schon mehrfach gesagt: Es geht auch darum, eine Nation zufriedenzustellen, die jetzt sehr wohl die Namen der Spielerinnen kennt. Man muss mit einer gewissen Erwartungshaltung, mit einem Druck umgehen. Die Spielerinnen haben alle ein hohes Verantwortungsbewusstsein, diesen Hype um den Frauenfußball fortzuführen. Die Nationalmannschaft ist das Zugpferd für den nationalen Frauenfußball. Das Momentum muss aufrecht erhalten werden, um die nächsten Schritte gehen zu können. Man spürt vielleicht, dass die Mädels deshalb ein bisschen Druck haben. Das hatten sie letztes Jahr vor der EM nicht.
Warum?
Weil man da nicht so genau wusste, was man von der deutschen Nationalmannschaft erwarten kann. Jetzt ist das Ziel der Titel, oder zumindest das Halbfinale. Das sagen die Mädels ganz offen, das erhoffen sich auch die Medien. Das ist etwas Neues. Ich hoffe, dass sie die Leichtigkeit wiederfinden und nicht zu verkopft spielen. Das Baby von Melanie Leupolz ist dabei, vielleicht sorgt das für ein bisschen Lockerheit. Es muss bei diesem Turnier wieder ein Spirit entstehen, es müssen neue Geschichten geschrieben werden. Dafür wäre es hilfreich, wenn man sich von der Erwartungshaltung etwas lösen könnte.
Denken Sie, der Hype um den Frauenfußball in Deutschland könnte unter einem schwachen WM-Abschneiden des DFB-Teams leiden?
Nein, das glaube ich nicht. Dafür ist man mittlerweile zu weit gekommen. Aber wenn man die Diskussionen um die TV-Rechtevergabe sieht, war das wieder ein kleiner Rückschlag. Da ging es darum, dem Frauenfußball einen Wert zu geben. Das ist bei allen negativ hängengeblieben, das haben die Mädels alle so bestätigt. Es ist das Gefühl: Alle finden Frauenfußball toll, aber so richtig will dann doch niemand dafür bezahlen. Beim Männerfußball wäre das keine Diskussion gewesen. Man muss nicht die WM gewinnen, aber die Mannschaft muss wieder mitreißen und begeistern wie bei der EM. Auch diese Nahbarkeit muss sich die Mannschaft beibehalten. Aber das machen sie ja auch total gut. Sie müssen auf und neben dem Platz performen und sich treu bleiben. Die Art und Weise, wie sie Fußball spielen, wird entscheidend.
Carolin Simon hat sich im letzten Testspiel gegen Sambia die Kreuzbänder gerissen, mehr als 30 Spielerinnen werden die WM mit dieser Verletzung verpassen, einige Top-Stars sind nicht dabei. Wie beunruhigend finden Sie diese Zahlen?
Das ist ein großes Thema, die Entwicklung ist bedenklich. Die Zahlen sind erschreckend. Das ist etwas, das man dringend angehen muss. Es gibt verschiedene Gründe. Die Anatomie der Frauen ist anders, mit der Menstruation kommt ein zusätzlicher Grund dazu. Das Tempo und die Qualität im Spiel sind gestiegen, es gibt die Gruppenphase in der Champions League und damit mehr Spiele auf höchstem Niveau. Jetzt kommt noch die Nations League dazu. Es gibt immer weniger Partien, in denen Leistungsträgerinnen geschont werden können.
Was muss aus Ihrer Sicht getan werden?
Die Vereine müssen in die Pflicht genommen werden, um durch größere Kader die Belastung besser steuern zu können. Auch die Nationalmannschaften müssen mehr rotieren. Damit die Spielerinnen und ihre Körper mit dem wachsenden Niveau mitwachsen können. Man kann nicht einfach neue Wettbewerbe erschaffen, die Spielerinnen 15 bis 20 Spiele mehr auf Top-Niveau machen lassen und abwarten, bis sich alle nach und nach verletzen. Man muss einen Rahmen schaffen, dass die Spielerinnen gesund und auf höchstem Niveau ihren Sport betreiben können. Es ist unglaublich schade für alle Spielerinnen, die die WM wegen Kreuzbandrissen verpassen werden, zum Beispiel für Carolin Simon und Giula Gwinn. Man muss daher dringend Präventionsprogramme angehen, um die Zahl dieser Verletzungen deutlich zu senken.