WM in Katar
Gianni Infantinos One-Man-Show: Unpassend. Unangenehm. Unwürdig. Untragbar - ein Kommentar
- Aktualisiert: 19.11.2022
- 19:22 Uhr
- ran
Gianni Infantino hat mit seiner skurrilen One-Man-Show gezeigt, dass es immer noch eine Stufe schlimmer geht. Tatsächlich war sein Auftritt geprägt von Großmut, Realitätsverlust und einer eigenen Wahrheit. Ein Kommentar.
München - Die Bühne war perfekt. Denn es war nur seine: Gianni Infantino vor der (Fußball)-Weltöffentlichkeit. Eine Stunde lang. Keine Einwände, kein Gespräch, keine Widerworte.
Ein Monolog als Machtdemonstration.
60 Minuten lang Skurriles, Empörendes, Niederschmetterndes. Lässt man sich auf die Ausführungen des FIFA-Präsidenten ein, ist die WM eigentlich schon beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat. Keine Demut, keine Differenzierung, keine Kritikfähigkeit.
Irre Inszenierung
Stattdessen Großmut, Realitätsverlust, eine eigene Wahrheit. Ein verbaler Rundumschlag, eine Abrechnung. Und das als irre Inszenierung.
Und der Beweis: Der Fußball-Weltverband FIFA hat nichts verstanden. Infantino hat nichts verstanden. Oder will es nicht verstehen.
Oder noch schlimmer: Es ist ihm komplett egal.
"Heute fühle ich mich als Katari, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich als Afrikaner. Heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Gastarbeiter. Ich fühle so, weil ich all das gesehen habe", sagte Infantino.
Billiger Pathos, der angesichts der Vorgeschichte rund um Gastgeber Katar wie Hohn klingt. Verziert von Kunstpausen, die das Gesagte noch eindrucksvoller wirken lassen sollen.
Keine Frage: Es ist nicht falsch, wenn Infantino darauf hinweist, dass in der "westlichen Welt" nicht alles glatt und richtig läuft. Aber eine einseitige Moralpredigt? "Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren getan haben, sollten wir uns für die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, den Menschen moralische Lektionen zu erteilen", keilte er.
Menschenrechte einzufordern, ist keine moralische Lektion, sondern Pflicht.
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Die eigene Wahrheit
Ein weiteres Beispiel: "Sie verdienen hier das Zehnfache von dem, was sie in ihrer Heimat verdienen", sagte Infantino über die Gastarbeiter, denen Katar angeblich eine Perspektive biete.
Der Punkt mit dem Verdienst stimmt sogar, natürlich auch deshalb, weil er in der eigenen Heimat besonders erbärmlich ist. Dass sie als Leibeigene ohne eigene Rechte gehalten werden, ist ein nicht ganz unwichtiger Teil der Wahrheit. Das Kafala-System als moderne Sklaverei - passt leider nicht zu Infantinos eigener Argumentation.
Über die fehlenden LGBTQ-Rechte in Katar habe er mehrfach mit den Regierenden gesprochen. "Sie haben bestätigt, dass jeder willkommen ist - egal, welche Religion, Rasse, sexuelle Orientierung oder Glauben er hat." Möglicherweise glaubt er das tatsächlich selbst.
Und dann brachte er sich selbst in die Diskussion um Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung ein, indem er eigene Erfahrungen anführte: "Ich weiß, wie es ist, diskriminiert zu werden. Ich wurde gemobbt, weil ich rote Haare und Sommersprossen hatte."
Unangenehmer Vergleich
Was für ein Vergleich. Ohne Worte. Unangenehm.
Amnesty International hat darauf hingewiesen, dass es Verbesserungen gibt in Katar, fordert aber auch, dass der von Infantino oft erwähnte Prozess über die WM hinausgehen, dass er nachhaltig sein muss. Diesen Faden hätte man aufgreifen, betonen können, wie wichtig die WM dabei sein kann.
Wie verbindend, wie fördernd. Und dass Katar sich darauf einlassen, den eigenen Worten Taten folgen lassen muss. Auch nach der WM.
Die beste WM "ALLER ZEITEN"
Stattdessen Infantinos Gefasel von der "besten WM aller Zeiten. Sobald der Ball rollt, konzentrieren sich die Leute darauf. Weil es das ist, was sie wollen, das ist der Zauber des Fußballs". Der FIFA-Präsident als Propagandist des Gastgebers. Aber klar: Er wohnt ja inzwischen in dem Wüstenstaat. Und gutes Geld gibt es für die Ausrichtung ja auch. Die PK war so etwas wie Payback-Time für den immer noch stark in der Kritik stehenden Gastgeber.
Unwürdig.
Und der Beweis: Infantino hat es nicht verstanden. Und wird es auch nicht mehr verstehen.
Die schlechte Nachricht dabei: Er ist bei der Wahl zum Präsidenten im kommenden Frühjahr ohne Gegenkandidaten. Es wird also noch etwas länger seine Bühne bleiben.
Auch wenn es für den Fußball besser wäre, wenn man ihn endlich dort herunterholen würde.