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Rodolfo Esteban Cardoso im ran-Interview

WM 2022 - Rodolfo Cardoso: Messi dank Barcelona-Abgang so stark

  • Aktualisiert: 17.12.2022
  • 11:39 Uhr
  • ran.de
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© Imago

Im ran-Interview spricht der frühere Bundesliga-Star Rodolfo Cardoso über argentinische Knackpunkte, die Seele des Volkes, Lionel Messis Veränderungen und den Vergleich mit Diego Maradona.

München - Rodolfo Cardoso ist ganz nah dran. Er ist genau dort, wo man als Argentinier sein muss, wenn man nicht in Katar ist: in Argentinien.

Der 54-Jährige befindet sich auf Heimaturlaub und will seine Nervosität vor dem WM-Finale am Sonntag gegen Frankreich (16:00 Uhr im Liveticker) im ran-Interview gar nicht erst verstecken.

Der frühere Profi des SC Freiburg, von Werder Bremen und des Hamburger SV spricht über argentinische Knackpunkte, die Seele des Volkes, Lionel Messis Veränderungen und den ewigen Vergleich Messis mit Diego Maradona.

ran: Senor Cardoso, wie hoch ist das WM-Fieber im Moment bei Ihnen und in Argentinien?

Rodolfo Cardoso: Riesig, mehr geht eigentlich nicht. Was hier in den vergangenen Tagen und Wochen abgelaufen ist, ist beeindruckend. Die Menschen unterstützen die Nationalmannschaft wie schon lange nicht mehr. Und die Unterstützung sorgt auch dafür, dass das Team so erfolgreich spielt.

ran: Woran liegt es, dass es so euphorisch ist wie lange nicht mehr?

Cardoso: Ich glaube, dass sich die Mannschaft mit dem Sieg bei der Copa America 2021 in die Herzen der Fans gespielt hat. Die Copa in Brasilien zu gewinnen war historisch und ein Knackpunkt. Davor gab es immer ein wenig Zweifel, Probleme und auch Trainerwechsel. Seit der Copa stehen die Fans voll hinter der Mannschaft, die jetzt so spielt, wie es sich die Leute wünschen. 

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Die Weltmeisterschaft neigt sich dem Ende hingegen. Wie bei jedem Turnier gab es natürlich auch in Katar Spieler, die unter ihren Erwartungen blieben und unter dem Strich enttäuscht haben. ran hat zehn herausgesucht.

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  • 17.12.2022
  • 08:17 Uhr
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ran: Gibt es denn auch bei der WM einen Moment, der die Mannschaft auf den richtigen Weg gebracht hat? Schließlich lief es ja nicht von Anfang an rund.

Cardoso: Die Mannschaft war durch einige Verletzte im Vorfeld in gewisser Weise angeschlagen. Die Niederlage gegen Saudi-Arabien hat das Team aber geweckt, es hat sich gefangen und gefunden. Außerdem haben dann Spieler eingeschlagen wie Julian Alvarez oder Enzo Fernandez, mit denen so nicht zu rechnen war. Argentinien spielt einen guten Fußball, sicher in der Defensive und offensiv effektiv.

ran: Was zeichnet die Mannschaft - vom Erfolg abgesehen - aus, dass die Identifikation in der Heimat so groß ist?

Cardoso: Die Mannschaft haut sich rein, jeder kämpft für den anderen. Früher hatte Lionel Messi sehr viel Verantwortung. Ihm hat es gut getan, dass er den FC Barcelona verlassen hat. Man wächst als Spieler und als Mensch, das sieht man auf dem Platz. Er kämpft mit, hat Spaß am Fußball und eine gute Mannschaft um sich herum, die ihm etwas von der Verantwortung abnimmt.

Früher war immer er schuld, egal wie die Mannschaft gespielt hat. Das ist heute nicht mehr der Fall. Es ist die Art und Weise, wie die Mannschaft Fußball spielt. Plus Messi, der auch mal richtig sauer wird. Er hat Charakter gezeigt, und das ist der Messi, wie man ihn in Argentinien sehen will. Und dann gehen die Zuschauer mit. Argentinier waren schon immer ein bisschen verrückt, aber die Wucht, die sie in Katar entwickeln, ist schon unglaublich und für die Mannschaft ein ganz großes Plus.

ran: Die Spieler heben immer wieder die Bedeutung der Siege für die Menschen heraus. Wie wichtig ist der Erfolg für die argentinische Seele?

Cardoso: Politisch gesehen steckt Argentinien in einer großen Krise. Es gibt immer mehr Armut, und die Politiker bekommen die Situation nicht in den Griff. Das Land braucht ein Erfolgserlebnis für die Seele. Südamerikaner sind beim Fußball einfach fanatisch, gehen raus, feiern und vergessen die Probleme dann für den Moment. 

ran: Wie wäre denn ein Erfolg historisch einzuordnen? Wäre das der wichtigste Titel?

Cardoso: Ein WM-Titel ist das maximale Geschenk, das eine Mannschaft dem Land, dem Volk machen kann. Und es gab immer eine Geschichte, wenn wir den Titel geholt haben. 1978 mit Mario Kempes als bestem Spieler und Torschützenkönig, der eine Legende wurde. 1986 dann mit Diego Maradona und jetzt die mögliche Krönung von Messi. Für uns Argentinier ist diese WM etwas Besonderes.

ran: Wie schlimm wäre denn eine Niederlage im Finale?

Cardoso: Das weiß ich nicht. Eine Niederlage muss man einkalkulieren, das kann passieren, denn der Gegner hat eine großartige Mannschaft mit überragenden Spielern. Was dann passieren würde, ist schwer zu sagen. Wir haben bei dieser WM schon so viel erlebt. Aber klar: Die Enttäuschung wäre riesig.

ran: Es scheint aber, dass der Druck und die Erwartungen die Mannschaft nicht groß belasten. Wie erklären Sie sich das?

Cardoso: Die Niederlage gegen Saudi-Arabien hat da geholfen. Da hat sich ein starker Zusammenhalt entwickelt. Eine Mannschaft kann an einer Niederlage wachsen, man erkennt dadurch Dinge, die man vorher vielleicht nicht gesehen hat. Sie hatten dadurch von Anfang an Druck, sie durften sich ja keine Niederlage mehr erlauben. Mannschaft und die Fans bilden zudem ein Paket, das im Moment gut passt.

ran: Sie sagten, Messi habe sich als Typ verändert. Aber mit seinen 35 Jahren agiert er auch sportlich noch einmal auf einem besonderen Niveau ...

Cardoso: Er überrascht mich immer wieder. Er spielt noch abgezockter, glänzt als Passgeber, Vorbereiter und Teamplayer. Er wusste, dass es seine letzte WM wird und die wohl letzte Möglichkeit ist, den Pokal zu gewinnen. Seine Nebenleute sind auch heiß auf den Erfolg und helfen mit. Das passt alles zusammen. 

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ran: Ist dieses Turnier so etwas wie die Komplettierung seines Status in Argentinien?

Cardoso: Ja, die Fans stehen jetzt hinter ihm. Früher gab es immer die Vergleiche mit Maradona, er war auch nicht bei allen Fans beliebt, weil er oft kühl war. Er hat sich immer ein bisschen versteckt, hat nicht so viele Interviews gegeben, was bei den Zuschauern nicht so gut ankam. Aber der Abgang vom FC Barcelona hat ihn verändert, wie das so ist, wenn man sein Zuhause verlässt und man viele Dinge verändern muss.

Er spielt im Moment so, wie man es von ihm als Argentinier immer erwartet hat. Er geht vorne drauf, zeigt Charakter und geht als Kapitän voran. Es ist so, als sei er ein neuer Spieler. Der Copa-Sieg war auch für ihn ein Knackpunkt und hat ihm nach den Jahren ohne Titel den Rucksack abgenommen. 

ran: Lieben ihn die Argentinier jetzt noch mehr?

Cardoso: Ja, auf jeden Fall. Ich höre niemanden mehr über ihn meckern (lacht).  

ran: Dann die Frage, wegen der sich alle streiten: Ist er mit dem WM-Pokal größer als Diego Maradona oder Pele?

Cardoso: Das ist Geschmackssache. Ich mag den Vergleich nicht so gerne. Was ist denn, wenn Messi den Pokal holt - wird Diego dann vom Thron gestoßen? Das müssen andere beurteilen. Ich denke, dass er einfach ein ganz Großer ist und ich bin stolz, dass er Argentinier ist und ich ihm zuschauen kann.

ran: Was geht einem sehr versierten Fußballer wie Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Messi spielen sehen? 

Cardoso: Das ist einfach nur ein Genuss. Er macht Sachen, mit denen man kaum rechnet, die haben alle Hand und Fuß. Ich habe auch auf der Position gespielt, aber was er macht…Wenn man vom besten Fußballer der Welt spricht, muss man wissen, welche Voraussetzungen derjenige haben sollte. Cristiano Ronaldo hat viele Tore geschossen, aber Messi ist für alles gut.

ran: Wenn wir jetzt auf das Finale schauen: Was haben die Argentinier den Franzosen voraus?

Cardoso: Die Kompaktheit, dass wir defensiv gut stehen, zweikampfstark sind und wenig zulassen, dass wir effektiver sind und die Zuschauer im Rücken haben. Die Fans werden am Sonntag ein wichtiger Punkt sein.

ran: Ihr Tipp?

Cardoso: 2:1 für Argentinien. Nach 90 Minuten.

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ran: Wie schauen Sie das Finale?

Cardoso: Wir haben hier Hochsommer, das Spiel findet bei uns zur Mittagszeit statt. Normalerweise würden wir grillen, aber bei diesem Spiel habe ich keine Lust. Ich bin einfach zu nervös.

ran: Was wird in Argentinien los sein, wenn es klappt mit dem Titel? 

Cardoso: Ich weiß es nicht. Ich gehe dann vielleicht auf die Straße, singe und springe herum. Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen so lange durchfeiern, bis die Mannschaft wieder in Argentinien ist. Um dann weiterzufeiern.

Das Interview führte Andreas Reiners