Blech statt Bronze: Die deutschen Handballer werfen die Medaille und die sichere Olympia-Quali gegen Schweden leichtfertig weg und sollten sich darüber kräftig ärgern, aber nicht zu lange mit der vergebenen Chance hadern. Am Ende der Heim-EM überwiegen nämlich trotz vier Pleiten die positiven Aspekte. Ein Kommentar.
Von der Handball-EM aus Köln berichtet Jonas Rütten
Alfred Gislason war zurecht bedient. Er habe "keine Erklärung" für den einmal mehr spielentscheidenden Chancenwucher seiner Mannschaft. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel um Platz 3 sprach er gar von "Selbstmord", den die deutschen Handballer gegen Schweden begangen hätten (Die Highlights vom Spiel seht Ihr hier).
Natürlich sei er sehr stolz auf das fast gelungene Comeback, aber am Ende der Heim-EM steht eine leichtfertig vergebene Chance auf eine Medaille und die sichere Olympia-Qualifikation. Das betonten auch die deutschen Spieler in der Mixed Zone unisono. Allen voran Kapitän Johannes Golla war der Ärger über das verlorene "kleine Finale" anzumerken.
"Das war heute ganz allein unsere Schuld. Der Ärger überwiegt heute und das soll er auch", sagte Golla gefrustet. Und damit traf er den Nagel auf den Kopf. Bei allem Respekt vor der jungen deutschen Mannschaft, dem großen erreichten Ziel des Halbfinal-Einzugs und den Qualitäten der Schweden, aber diese Niederlage muss alle DHB-Spieler mächtig ärgern.
Einmal mehr brach die verheerende Chancenausbeute den deutschen Spielern das Genick. Nur 49 Prozent aller Abschlüsse landeten am Ende im Tor. Das ist gegen eine Top-Mannschaft wie Schweden einfach zu wenig.
Ja, Andreas Palicka ist einer der besten Torhüter der Welt. Aber er musste auch selten wirklich seine ganze Weltklasse zeigen. Nicht umsonst attestierte Gislason seiner Mannschaft "richtig dumme Abschlüsse" in der ersten Halbzeit.
Deutschland enttäuscht bei der Handball-EM nur einmal wirklich
Was möglich gewesen wäre, zeigten die DHB-Stars in der zweiten Halbzeit, als der Sechs-Tore-Vorsprung der Schweden zur Pause nach und nach dahinschmolz. Weil Andreas Wolff wesentlich besser im Spiel war, aber auch weil vorne konsequent die Chancen genutzt wurden. Umso bitterer ist am Ende diese Niederlage (Hier gibt's die Noten der DHB-Stars zum Spiel).
Ärger, Enttäuschung und Frust sind angebracht. Doch der Kopf darf auch schnell wieder nach oben gehen. Denn: Am Ende der Heim-EM überwiegen die positiven Aspekte. Auf dem Papier sind vier Niederlagen und ein Remis zwar eigentlich deutlich zu viel für eine allzu überschwängliche Bewertung des Turniers.
Doch so richtig enttäuscht hat die DHB-Auswahl eigentlich nur beim glücklichen Remis gegen Österreich. Gegen Kroatien war Schonung angesagt, "sonst verliere ich gegen Dänemark im Halbfinale mit zehn Toren und werde gekreuzigt", gab Gislason berechtigterweise nach dem Schweden-Spiel zu bedenken. Und die anderen Niederlagen waren eben knappe Pleiten gegen die absolute Weltspitze des Handballs (Frankreich, Dänemark, Schweden).
Eben weil Deutschland gerade gegen die Top-Mannschaften und Medaillengewinner der EM in den meisten Phasen gut aussah, gut zusammenspielte und gezeigt hat, dass der Abstand zu Dänemark, Frankreich und Schweden sehr viel geringer geworden ist, darf und muss das Fazit der EM positiv ausfallen. Schließlich hatte es beispielsweise beim EHF Euro Cup im März des vergangenen Jahres gegen Dänemark zwei richtige Rutschen gegeben.
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Handball-EM - Deutschland vs. Schweden: Noten der DHB-Stars
DHB-Team verpasst Bronze bei der Heim EM: Die Noten zum Spiel Die DHB-Auswahl unterliegt Schweden im Spiel um Platz 3 mit 31:34 (12:18) und verpasst damit Bronze und die direkte Olympia-Quali bei der Heim-EM. Besonders für einen DHB-Star wird das letzte EM-Spiel anfänglich zu einem absoluten Albtraum. Die Noten und Einzelkritiken der deutschen Stars zum Spiel.
Tor: Andreas Wolff Fügte sich gleich mal mit einer Glanztat im freien 1-gegen-1 ein. Danach aber kaum mit einer Hand am Ball. Wird nach 20 Minuten durch Späth ersetzt. Seine Quote bis dahin: schwache 14 Prozent (2/14). Kehrt nach der Pause wieder zurück und pariert direkt zweimal. Steigert seine Quote (25%), verliert das Keeper-Duell aber klar gegen Palicka (43%). ran-Note: 3
Tor: David Späth Kommt nach 20 Minuten für den glücklosen Wolff. Hat direkt eine starke Parade, ist danach aber ebenfalls meistens chancenlos. Steht am Ende bei 1/6 und einer Quote von 16 Prozent. ran-Note: 4
Linksaußen: Rune Dahmke Offensiv zunächst kaum eingebunden, dafür aber defensiv bockstark mit guten Vorstößen auf die schwedischen Angreifer und einer Balleroberung. Seinen einzigen freien Wurf in Halbzeit eins vergibt er. Defensiv gut, offensiv schwach. ran-Note: 3
Linksaußen: Lukas Mertens Kommt nach der Pause für Dahmke, setzt offensiv viel bessere Akzente und trifft überragend (4/4). Defensiv offenbart er auf außen mehr Lücken als Dahmke und lässt so einige freie Würfe zu, hat aber auch zwei ganz wichtige Steals. Ein unterm Strich starker Auftritt. ran-Note: 2
Rückraum links: Julian Köster Weil Knorr offensiv zunächst ein Total-Ausfall ist, muss er mehr Verantwortung und Würfe nehmen. Steht zur Halbzeit bei 3/5. Defensiv wieder mit zwei starken Blocks und guter Arbeit. Doch auch ihm gehen immer mehr die Körner aus. Sinnbild: Ein katastrophaler Fehlpass auf Mertens. An ihm liegt es heute dennoch nicht. ran-Note: 2
Rückraum links: Sebastian Heymann Soll als Joker von der Bank mit seiner Wurfkraft aus dem Rückraum das Blatt wenden. Das klappt im ersten Durchgang gar nicht (0/2). Im zweiten Durchgang größtenteils auf der Bank. ran-Note: 4
Rückraum links / Mitte: Philipp Weber Weil Knorr in der ersten Halbzeit gar nichts auf die Kette bekommt, ist er früh drin und setzt richtig gute Akzente. Trifft traumhaft per Kempa-Trick, hat dazu mehrere gute Anspiele an den Kreis. Ein guter Auftritt. ran-Note: 2
Rückraum Mitte: Juri Knorr Albtraum-Start mit 0/4. Ein Sinnbild für seine Formkurve gegen Ende des Turniers. Muss daher früh und zurecht auf die Bank. Kommt nach der Pause viel stärker zurück und steht nach 20 Minuten bei 3/3, dazu ein starker Assist auf Mertens. Schade, dass die erste Halbzeit so schwach lief. ran-Note: 4
Rückraum rechts: Kai Häfner Kommt Mitte der ersten Halbzeit für Uscins. Macht seine Sache nicht schlecht, strahlt Entschlossenheit aus, hat gute Zuspiele, aber auch bei ihm sind die Abschlüsse zu harmlos (1/3). ran-Note: 3
Rückraum rechts / Rechtsaußen: Christoph Steinert Gute Anfangsphase mit 1/2 und einem wichtigen Block. Wirkt mit zunehmender Spieldauer platt und offenbart immer wieder Lücken in der Defensive. Vergibt in der Schlussphase einen immens wichtigen freien Wurf. Bitter. ran-Note: 4
Rückraum rechts: Renars Uscins Darf trotz der Häfner-Rückkehr von Beginn an ran und ist wieder ein absoluter Lichtblick. Vollendet einen Tempogegenstoß stark, dazu zwei gute Assists. Nach der Pause mit viel Licht, aber auch Schatten. Übersieht den komplett offenen Knorr, leistet sich einen katastrophalen Fehlpass. Dennoch ein absolut belebendes Element und bester deutscher Schütze (8/12). ran-Note: 1
Rechtsaußen: Timo Kastening Angeschlagen auf der Bank. Kommt in der ersten Halbzeit nur für Siebenmeter (2/3). Nach der Pause öfter auf der Platte, aus dem freien Spiel heraus aber ohne Abschluss. Ein durchschnittliches Spiel. ran-Note: 3
Kreis: Johannes Golla Wieder eine überwiegend blitzsaubere Defensiv-Leistung mit starken Balleroberungen, allerdings macht ihm Oscar Bergendahl das Leben durchaus schwer. Traumhaftes Anspiel auf Weber zum Kempa. Offensiv zunächst wie so viele DHB-Spieler glücklos im Abschluss, das bessert sich aber (4/6). ran-Note: 2
Kreis: Jannik Kohlbacher Von Beginn an für Knorr in der Defensive gefordert. Macht seine Sache richtig gut, geht immer wieder stark auf die Schweden drauf, unterbindet so öfter die schnelle Mitte. Im Überzahlspiel auch offensiv ein Faktor, trifft (2/3) und holt eine Zeitstrafe raus. In der zweiten Halbzeit dennoch lange draußen, trotz seiner guten Leistung. ran-Note: 2
Kreis: Justus Fischer Kommt wie schon gegen Dänemark im Halbfinale nicht zum Einsatz. ran-Note: Ohne Bewertung
Handball-EM: Deutschland ist auf zwei Positionen schon Weltklasse
Doch nicht nur die engen Partien gegen die Weltelite des Handballs müssen der DHB-Auswahl Mut machen, sondern auch ihre spielerische Entwicklung im Turnierverlauf. Die vor der EM noch äußert wacklige Defensive wurde zum absoluten Prunkstück. Der Innenblock mit Golla und dem jungen Julian Köster (23) agierte phasenweise auf Weltklasse-Niveau.
Auch Torhüter Wolff unterstrich im Turnierverlauf, dass er in diese Kategorie einzuordnen ist. Seine 92 Paraden sind der Top-Wert des Turniers, seine Fangquote mit 33,5 Prozent ebenfalls beachtlich, wenngleich seine Nominierung für das Allstar-Team anstelle von Emil Nielsen oder Palicka natürlich höchst diskutabel ist.
Fakt ist: Deutschland hat in den kommenden Jahren zwei Mannschaftsteile, die schon jetzt Weltklasse sind, dazu einen Juri Knorr, der sich dorthin entwickeln wird. Gerade der schwache Turnier-Endspurt von Knorr, der in den wichtigsten Spielen des Turniers, keinen guten Tag erwischte und hart mit sich selbst ins Gericht ging, ist eigentlich eine gute Nachricht für die DHB-Auswahl.
Handball-EM 2024: Zwei DHB-Stars im Allstar-Team der Europameisterschaft
Allstar-Team der Handball-EM 2024 bekannt: Zwei DHB-Stars dabei Das Allstar-Team der Handball-EM 2024 steht fest – und hält einige Überraschungen bereit. Drei Tage lang konnten die Fans abstimmen. Ihre Meinung floss zu 40 Prozent ein, 60 Prozent lagen wie üblich in den Händen von EHF-Experten. Mit dabei sind zwei DHB-Stars.
Tor: Andreas Wolff (Deutschland) Nach der EM 2016 seine zweite Nominierung. Spielte zweifelsfrei ein sehr gutes Turnier, hielt Deutschland gegen Island und Österreich im Turnier und war somit ein Schlüsselspieler auf dem Weg ins Halbfinale. Hatte die meisten Paraden aller Torhüter (92). ABER: Der beste Torhüter des Turniers war und ist wohl eher der Däne Emil Nielsen.
Linksaußen: Hampus Wanne (Schweden) Der 30-Jährige vom FC Barcelona spielt ein starkes Turnier. Seine Nominierung ist absolut verdient. Traf fast 68 Prozent seiner Würfe (36/53). Besonders in den großen Spielen gegen Dänemark (9/12) und Frankreich (5/7) eine Bank.
Rückraum links: Martim Costa (Portugal) Der Superstar der Portugiesen spielte eine überragende EM. Trotz des Ausscheidens der Portugiesen in der Hauptrunde mit 54 Treffern gemeinsam mit Matthias Gidsel der beste Torjäger der EM. Dabei mit einer atemberaubenden Effizienz am Werk (67 Prozent).
Rückraum Mitte: Juri Knorr (Deutschland) Seine Nominierung überrascht etwas. Knorr spielt kein schlechtes Turnier, immerhin ist er einer der Top-Torjäger der EM. Außerdem legte er 3,7 Assists pro Spiel auf. Dennoch gibt es einige Rückraummitte-Spieler, die durchaus konstanter und besser performten, etwa Lukas Hutecek (Österreich), Felix Claar (Schweden) oder Simon Pytlick (Dänemark).
Rückraum rechts: Matthias Gidsel (Dänemark) Der individuell beste Handball-Spieler der Welt aktuell. Der Star von den Füchsen Berlin ist ohne Zweifel das Maß aller Dinge auf Rückraum rechts und spielte eine bärenstarke EM. Top-Torjäger mit 54 Buden, dabei eine Wahnsinns-Quote von 82 Prozent (!!). Dazu mit 4,63 Assists pro Spiel. Hätte Dänemark die EM gewonnen, wäre er wohl auch der verdiente MVP geworden.
Rechtsaußen: Robert Weber (Österreich) Der Oldie (38) erlebte bei der EM seinen dritten Frühling und war einer der Schlüsselspieler im Überraschungsteam der Europameisterschaft. Seine Quote von außen ist bockstark (33/48). Den vielleicht wichtigeren Außenpart der EM spielte aber Niclas Kirkelökke, der als Rückraum rechts offensiv immer wieder auf Außen agierte und defensiv dann einrückte.
Kreis: Ludovic Fabregas (Frankreich) Der aktuell wohl beste Kreisläufer der Welt. Defensiv kaum zu überwinden, offensiv der Schlüsselspieler der Franzosen, wenn der Wurf aus dem Rückraum nicht fällt. Er wäre anstelle von Teamkollege Nedim Remili auch ein würdiger Turnier-MVP. Seine Abschlussquote von 88 Prozent ist zudem auch ein unfassbarer Offensiv-Wert (44/50).
Bester Verteidiger: Magnus Saugstrup (Dänemark) Nach Fabregas und neben DHB-Kapitän Johannes Golla der beste Kreisläufer bei der EM. Hätte Deutschland Dänemark im Halbfinale geschlagen, wäre hier die Wahl wohl auf Golla gefallen. Doch Saugstrup ist wie der Deutsche eine absolute Defensiv-Maschine und neben Gidsel wohl der wichtigste Spieler der Dänen.
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Knorr, Uscins, Fischer: Die DHB-Zukunft strahlt hell
Obwohl der offensiv wichtigste Spieler zwei verheerende Halbzeiten erwischte, war Deutschland gegen Dänemark (26:29) und Schweden (31:34) nicht chancenlos. Das sollte Mut machen, denn was wäre gegen diese Gegner möglich, wenn Knorr endlich sein ganzes Potenzial entfaltet?
Apropos Potenzial: Das zeigte auch der erst 21 Jahre junge Renars Uscins. Gegen Dänemark und Schweden blühte er regelrecht auf, war der beste deutsche Torschütze und kann in Zukunft eines der größten deutschen Probleme lösen: Die Torgefahr aus den Halbpositionen im Rückraum.
Dazu hat Deutschland in Justus Fischer, "eines der größten Kreisläufer-Talente der Welt" (Gislason) oder in David Späth einen würdigen Wolff-Nachfolger.
Die Zukunft des deutschen Handballs strahlt also hell und es waren spielerisch deutliche Fortschritte bei der EM festzustellen. Und das ist eine sehr gute Nachricht am Ende des letzten EM-Tages, an dem der Ärger über eine verpasste Riesenchance aber überwiegen muss.