Formel 1
Österreich-GP - Nach Peinlich-Posse im Kreuzfeuer: Formel 1 hat ein Glaubwürdigkeitsproblem
- Aktualisiert: 04.07.2023
- 08:30 Uhr
- ran.de
Die Formel 1 hat in Spielberg mit einer Regel-Posse für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. Das Problem liegt aber tiefer als die Track Limits oder fehlende Kiesbetten: Die Rennserie hat inzwischen eine beängstigende, den Sport stark belastende Kontinuität entwickelt, was Chaos und Kontroversen angeht. Ein Kommentar.
Am Ende wurde es lächerlich. Der Abschluss des Österreich-GP geriet zur Farce.
Das Schlimme: Es war eine mit einem langen Anlauf. Noch schlimmer: Es ist nicht die erste.
Dass die Track Limits auf dem Red Bull Ring in Spielberg ein Problem sind, ist lange bekannt, und als am Wochenende die ersten Rundenzeiten gestrichen wurden, hätte die Rennleitung theoretisch noch einschreiten können.
Das Chaos war abzusehen
Es war klar, dass das Rennen sehr wahrscheinlich chaotisch wird, dass es peinlich wird, und dass die Fahrer, Teams und die Formel 1 dann kein gutes Bild abgeben würden. Die Superstars, die in den Boliden doch eigentlich einen unerschrockenen Ritt auf der Kanonenkugel verkaufen und die 1.000 PS ans Limit treiben wollen, müssen innerhalb der weißen Linien bleiben, sonst gibt es eine Strafe.
Um es klar zu sagen: Regeltechnisch hat sich die Formel 1, haben sich der deutsche Rennleiter Niels Wittich und sein Team nichts vorzuwerfen. Dass es alleine am Sonntag aber 1.200 zu kontrollierende Vergehen gab, zeigt das Problem aber anhand einer einzigen Zahl.
1.200 Vergehen. Dass das Regelwerk der Formel 1 komplex ist, liegt in der Natur der Sache. Was aber niemanden davon abhalten muss, es zu vereinfachen oder aber hier und da auch mal gesunden Menschenverstand walten zu lassen.
Denn anstatt sich dem Problem anzupassen und flexibel zu reagieren, indem man die Fahrer zum Beispiel schlicht und ergreifend die schnellste Linie fahren lässt, bis man eine langfristige Lösung für die Strecke gefunden hat, wird lieber starr an Regeln festgehalten, die der Königsklasse einen Bärendienst erwiesen haben.
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Ein peinliches Bild
Dass gestandene Formel-1-Fahrer dann fortlaufend petzen und dabei von den Teams auch noch dazu angestiftet und angestachelt werden, passt ins peinliche Bild.
Die Regel-Sturheit allerdings auch.
Denn es ist nicht das erste Mal, dass Wittich in der Kritik steht. Der in der Vorsaison aus dem Nichts vom Zaun gebrochene Piercing-Zoff mit Lewis Hamilton war auch durch die Regeln abgedeckt, mutete irgendwann aber bizarr an. Hamilton fährt dank einer Ausnahmegenehmigung übrigens noch heute mit seinem Nasenpiercing.
In Austin warfen Wittich die eigenen Rennkommissare (!) beim Thema Sicherheit Fahrlässigkeit vor. In dieser Saison lenkten das Rote-Flaggen-Chaos beim wilden GP in Australien und der Aston-Martin-Protest in Saudi-Arabien, als auch dort erst nach Stunden das Ergebnis feststand, vom Sportlichen ab.
"Das Regelwerk des Sports ist die Schlüssel-DNA", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Der Rennleiter ist derjenige, der dieses Regelwerk interpretiert und zum Wohle des Sports interveniert.
Whitings Lücke wurde nicht gefüllt
Fakt ist aber: Der Tod von Ex-Rennleiter Charlie Whiting vor der Saison 2019 hat eine Lücke hinterlassen, die der Weltverband bis heute nicht schließen konnte. Weder durch Michael Masi, noch durch die Doppelrolle 2022 durch Wittich und Eduardo Freitas. Der wurde nach dem Kran-Vorfall 2022 in Japan schon wieder abgesetzt. Wittich ist 2023 alleiniger Rennleiter, während die FIA parallel den Nachwuchs fördert. Ob das reicht, darf bezweifelt werden.
Denn die Formel 1 hat inzwischen eine beängstigende, den Sport stark belastende Kontinuität entwickelt, was Chaos und Kontroversen angeht. Die Situation ist deshalb nicht ungefährlich, die Mischung ist gar hochexplosiv: Zu komplizierte Regeln, nicht nachvollziehbare Strafen, Chaos wie in Spielberg oder ein stundenlanges Warten auf ein Endergebnis sind Gift für eine Rennserie, der dann irgendwann die Glaubwürdigkeit flöten geht. In einer Phase, in der die Formel 1 von der Dominanz von Red Bull und Max Verstappen förmlich erdrückt und Spannung im Keim erstickt wird, erst recht.
So wird das Stammpublikum auf Dauer vergrault, und neue Fans der Generation Netflix springen schnell wieder ab. Die Formel 1 erlebt in gewissen Märkten zwar einen Boom, Krisen wie zum Beispiel in Deutschland sollten aber auch ein Warnschuss sein, vor allem in Kombination mit den hausgemachten Problemen.
Denn durch die wird es inzwischen deutlich zu oft lächerlich. Nicht erst in Spielberg.