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NBA-Kolumne: Formtief oder mehr? Die Warriors stehen am Scheideweg
- Aktualisiert: 29.01.2024
- 18:31 Uhr
- Ole Frerks/ran.de
Die Golden State Warriors sind nach einem guten Saisonstart schnurstracks in eine Krise geschlittert. Ist der vierfache Champion noch zu retten? Was zu den Problemen geführt hat – und was dennoch Hoffnung macht.
Von Ole Frerks
Eins der zahlreichen Merkmale der Golden State Warriors über die letzten Dekade war die fehlende Sicherheit, auf gegnerischer Seite.
Kein Rückstand wirkte je zu hoch für den viermaligen Champion, der – gerne im dritten Viertel – irgendwann entschied, nun ernst zu machen, sich nach vorne zu beugen wie ein im Stolz herausgeforderter PlayStation-Zocker. Der Spiele dann immer wieder umbog, oft in nur wenigen Minuten, lawinenartig, mit frenetischer Energie im Angriff und in der Defensive.
Die Warriors haben in ihren letzten drei Spielen zweimal Vorsprünge von über 20 Punkten verspielt – gegen die Kings wurde trotz 24 Punkten Führung noch verloren, gegen die Clippers waren es 22 Punkte. In der gesamten Steve Kerr-Ära war das zuvor erst viermal passiert, bei 288 Siegen nach über 20 Punkten Führung (laut "ESPN Stats"). Es ist besorgniserregend, zumal diese Niederlagen keine Einzelfälle waren.
Nach einem 6-2-Start haben die Warriors nur drei ihrer letzten zwölf Spiele gewonnen. Selbst bei den Siegen schafften sie es nicht, 48 Minuten den Fokus zu wahren, machten Spiele nach Führungen noch unnötig eng.
Golden State spielt nicht wie ein Contender, sondern eher wie ein alterndes Team, das im Glauben an die eigene Großartigkeit gefangen ist, obwohl diese womöglich nicht mehr existiert. Das mittelmäßig aussieht, sowohl von der Bilanz her (9-11) als auch vom Point Differential (+0,7).
Das Ende der zwei Timelines
Im Prinzip ist es ein normaler Prozess – viele der Leistungsträger im Team sind über 30, nicht mehr auf ihrem Zenit und trotzdem Großverdiener (kein Team ist teurer). Das ist der Preis, den schon viele Teams dafür gezahlt haben, dass sie über lange Jahre sehr viel richtig gemacht haben, sehr erfolgreich waren.
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Die Ära jedes Top-Teams endet irgendwann, nicht nur aufgrund des Alters seiner Spieler, sondern auch deshalb, weil diese in der Regel erst unter- und dann irgendwann überbezahlt sind und der Spielraum für Verbesserungen entsprechend kleiner wird.
Das Ungewöhnliche bei den Warriors ist, dass sie eigentlich dafür gewappnet schienen, diese Regel zu brechen. Die Idee der "zwei Timelines" mit alternden Stars und ihren Nachfolgern parallel im Team hat selbst Besitzer Joe Lacob zwar mittlerweile verworfen, es hätte allerdings klappen können – wenn sie 2020 mit dem Nr.2-Pick nicht James Wiseman, sondern (beispielsweise) LaMelo Ball oder Tyrese Haliburton gedraftet hätten.
Oder ein Jahr später an Position 7 Franz Wagner statt Jonathan Kuminga … und ja, hinterher ist man immer schlauer, aber diese beiden Picks waren schon damals überraschend und kontrovers.
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Beide Entscheidungen sind nicht gut gealtert; Wiseman kämpft aktuell in Detroit um Minuten, Kuminga bleibt sehr talentiert, kämpft aber auch in Jahr drei gegen die eigene Inkonstanz und Rebound-Aversion. Dass die Dubs 2022 Meister wurden, ohne in den Finals irgendeinen Beitrag von beiden Top-7-Picks zu bekommen, grenzte da schon an ein Wunder.
Nicht, dass die Warriors über die vergangenen Jahre keine guten Draftentscheidungen mehr getroffen hätten. Brandin Podziemski sieht aus wie einer der Steals des aktuellen Jahrgangs, Moses Moody, der 2021 gedraftet wurde, ist der bisher konstanteste Warriors-Wing in dieser Saison.
Er spielt aber nur 19 Minuten, wurde beispielsweise auch in der Schlussphase gegen die Kings auf die Bank beordert, obwohl er überragend spielte. Womit wir beim nächsten großen Problem angekommen wären.
Drei Starter in der Sinnkrise
Die Warriors sind keine reine Meritokratie. Es zählen nicht bloß die aktuellen Leistungen, die Vergangenheit spielt in Lineup-Entscheidungen mit hinein, gerade am Ende von Spielen. Es ist kein Wunder; Klay Thompson hat sich das Vertrauen von Kerr über beinahe ein Jahrzehnt erarbeitet, Andrew Wiggins war 2022 essenziell für den Titelgewinn. Gerade Klay ist eine unbestrittene Franchise-Legende und wird in der Hackordnung wohl immer weit vorne stehen, obwohl er es momentan weder offensiv (Career-Low 40,6% aus dem Feld) noch defensiv rechtfertigt.
HIGHLIGHTS: Warriors auf den letzten Metern geschlagen
Thompson ist nach seinen Verletzungen langsamer geworden und hat Probleme mit schnelleren Guards, die er zu seinen besten Zeiten noch regelmäßig stoppte. Vorne geht er kaum noch zum Korb und erzwingt viele Würfe, statt sie im Fluss des Systems zu nehmen. Er wirkt überaggressiv, ist damit das Gegenteil vom passiven Wiggins, der außer Form beim Team erschien, sowohl am Ring als auch an der Dreierlinie Career-Lows trifft und Rebounds wieder ähnlich verweigert wie zu Wolves-Zeiten.
Dann ist da noch Draymond Green, der zwar gute Zahlen auflegt und sogar wieder Dreier nimmt, seine Emotionen aber noch weniger im Griff hat als in vergangenen Jahren und seinem Team – unter anderem – mit seinem Schwitzkasten gegen Rudy Gobert einen Bärendienst erwies, der ihn fünf (de facto sechs) Spiele kostete. Vom Team gab es dafür keine Konsequenzen, man kennt es bereits.
Alte Probleme werden größer
Es sind drei der fünf Starter, die momentan ihre Version einer Sinnkrise erleben. Noch 22/23 war das Quintett Klay-Draymond-Wiggins-Curry-Looney eins der besten Lineups der Liga mit einem Net-Rating von +22,1 laut Cleaning the Glass … momentan steht die gleiche Gruppe bei -8,7, wirkt defensiv klein, alt und oft einen Schritt zu langsam, offensiv nicht so explosiv (wobei damit zu rechnen ist, dass zumindest Thompsons Dreier bald wieder besser fällt) und merkwürdig asynchron.
In ihren besten Zeiten sind die Warriors so etwas wie die schönste Symphonie der NBA: Schnelle Pässe, Backdoor-Cuts, Blöcke abseits des Balles, konstante Bewegung, kaum Dribblings. Es gibt auch jetzt viele dieser Possessions, die nur die Warriors (okay, und die Kings) im Petto haben, es sind gefühlt aber weniger. Nba.com/stats-Tracking bestätigt es: Im Vergleich zu früheren Jahren wird bei den Warriors etwas mehr gedribbelt, jeder Spieler hält den Ball einen Ticken länger. Die Unterschiede sind nicht riesig, aber vorhanden.
Und es gibt Fehler in der Ausführung. Golden State schmeißt bei 15,2 Prozent seiner Angriffe den Ball zum Gegner (Platz 24), schießt sich immer wieder auch in entscheidenden Momenten ins Knie. Die Warriors foulen wie wild und schicken Teams häufiger an die Freiwurflinie als fast alle anderen (Platz 26). Sie haben momentan weniger Abschlüsse am Ring als jedes andere NBA-Team, nutzen das nach wie vor vorhandene Spacing nicht sonderlich gut.
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Golden State: Immerhin ein Problem ist (vielleicht) gelöst
Diese Probleme begleiten die Warriors zum Teil seit Ewigkeiten. Eine gewisse Wildheit gehört offensiv wie defensiv zu ihrer DNS, das wurde stets akzeptiert, weil alles andere eben so gut war und sie die Possessions, die nicht in Fouls oder Ballverlusten endeten, effizienter nutzten als alle anderen Teams. Im Moment können sie das nicht, ihre Wurfquoten sind unter Ligadurchschnitt, entsprechend treten die ohnehin existenten Schwächen noch stärker hervor.
Es geht sogar unter, dass eins der anderen Dauer-Probleme scheinbar gelöst ist. Seit Jahren stürzte die Warriors-Offense komplett ab, wenn Stephen Curry auf die Bank ging, aktuell sind die Minuten ohne ihn in Ordnung, insgesamt performt die Bank viel besser. Wegen Leuten wie Moody, Podziemski, Dario Saric oder natürlich Chris Paul, der in Golden State zwar keine Würfe trifft, aber den Ball auch nicht ständig zum Gegner wirft (7,3 Assists bei 1,1 Turnover pro Spiel).
Dieser Umstand könnte und sollte den Warriors eigentlich Mut machen. Aktuell sind die Probleme anderswo jedoch so groß, dass dies nicht so leichtfällt. Jeder Plan in der Bay Area fußte auf der Annahme, dass ihr Kern, ihre Starting Five noch immer titelreif ist. Green tönte noch vor der Saison, dass noch mindestens zwei Ringe drin wären. Momentan stehen die Warriors auf Platz 11 im Westen.
Bob Myers floh vor dem Dilemma
Die Frage ist nun, was sie damit anfangen. Nüchtern betrachtet wäre es wohl ratsam, über Trades nachzudenken, die das Team etwas verjüngen und vor allem größer machen. Die auslaufenden, massiven Verträge von Klay oder CP3 samt Assets wären Werkzeuge dafür, die auch das "Problem" lösen würden, dass die früheren Star-Guards jeweils gern neue Deals hätten.
Das Front Office kann allerdings nicht ausschließlich nüchtern handeln. Das Kern-Trio samt Kerr ist legendär und hat die Warriors von einer grauen Maus zu der Vorzeige-Franchise gemacht, die wir heute kennen. Curry, Green und Klay wollen bis zum Ende zusammenspielen und haben sich diesen Status natürlich verdient. Niemand will derjenige sein, der diesen Traum zunichtemacht, selbst wenn das sportlich womöglich sinnvoll wäre.
Es ist ein Dilemma, welches der neue General Manager Mike Dunleavy Jr. "geerbt" hat. Es dürfte auch einer der Gründe sein, warum der langjährige GM Bob Myers vor der Saison seinen Hut nahm – es macht vermutlich deutlich mehr Spaß, ein neues Team aufzubauen als die letzten Jahre eines einstigen Giganten zu verwalten, dessen Zeit vielleicht schon abgelaufen ist.
Die gute Nachricht: Stephen Curry
Es gibt bei all diesen düsteren Aussichten natürlich aber auch eine gute Nachricht: Die wichtigste Komponente eines Contenders hat Golden State immer noch, den Top-5-Spieler. Curry bleibt auch in Jahr 15 einer der besten Scorer der NBA (29,1 PPG, 43% Dreier bei 11,7 Versuchen) und ein unlösbares Problem für jede Defense.
Individuell ist der 35-Jährige besser unterwegs als in der bisher letzten Meistersaison seines Teams, mehr als die derzeit 5,1 Dreier pro Spiel traf er nur einmal (5,3 in 20/21) in seiner Karriere. Mit Curry als bestem Spieler sind Titel immer noch möglich. Das nimmt sein Team umso mehr in die Pflicht – es wird nicht ewig so weitergehen, deshalb muss das Maximum aus jeder Saison herausgeholt werden.
Deshalb müssen Dunleavy und Co. nach Upgrades forschen. Deshalb muss Green, nach wie vor einer der besten Verteidiger der Liga, sich in den Griff kriegen, deshalb müssen Klay und Wiggins besser spielen. Deshalb muss Kerr seine Lineups hinterfragen. Die Dubs müssen über die kommenden Wochen herausfinden, ob sie noch "ernst machen" können wie früher – und ob das dann reicht.
Die zweite Timeline haben die Warriors spätestens mit dem Trade von Jordan Poole für Paul begraben. Es zählt nur noch die eine, die ursprüngliche Timeline. Auch diese hat aber ein Ablaufdatum. Fragt sich nur: Wann?