Bundesliga
FC Bayern München: Wie viel Schuld trägt Thomas Tuchel?
- Aktualisiert: 23.01.2024
- 13:48 Uhr
- Justin Kraft
Die Niederlage gegen den SV Werder Bremen sorgt beim FC Bayern München für Unruhe. Thomas Tuchel steht trotz eines starken Punkteschnitts abermals unter Druck. Wie viel Verantwortung trägt er wirklich für die Formkrise des FCB?
Ein Spaziergang zu den nächsten drei Punkten sollte es für den FC Bayern München werden. Schließlich war am Sonntagnachmittag "lediglich" der SV Werder Bremen zu Gast.
Drei Auswärtspunkte holte das Team von Ole Werner bis zum Auftritt in München, die Bilanz in der Allianz Arena ist bekanntermaßen eine, über die man im Norden nur noch mit Galgenhumor sprach.
Doch schon in der ersten Halbzeit wurde klar: Das wird ein sehr langer Tag für den FC Bayern. Insbesondere nach dem Abseitstor von Justin Njinmah war den Münchnern vor allem eines anzumerken: Ratlosigkeit.
Bezeichnend dafür ist das Schauspiel, das sich aufmerksamen Fans in der 31. Minute darbot: Im Mittelkreis gestikulierten mehrere Bayern-Spieler wild in unterschiedliche Richtungen. Anspannung, Ideenlosigkeit und kein einheitlicher Weg – das sind die Eindrücke, die das Team gegen Bremen hinterließ.
Das Wichtigste zum FC Bayern in Kürze
Und das eben auch nicht zum ersten Mal. Ebenso bezeichnend wie die mehreren kleinen Uneinigkeiten auf dem Platz ist die Erklärungsnot des Trainers. Nicht mal ein Jahr ist Thomas Tuchel im Amt und schon verfällt er in Plattitüden, die Beobachterinnen und Beobachter mit vielen offenen Fragen zurücklassen. Darunter: Wie viel Schuld hat Tuchel selbst an der aktuellen Form?
FC Bayern München: Thomas Tuchel lebt öffentlich Ratlosigkeit vor
"Es geht darum, Wettkampfmentalität, Härte, Biss und Leidenschaft zu zeigen – und nicht von Montag bis Mittwoch zu glänzen, wenn am Sonntag ein Spiel ansteht", erklärte Tuchel hinterher: "Wir müssen Lösungen finden, das ist nicht unser Anspruch. Wir haben gespielt, als ob wir in der Liga mit zehn Punkten führen würden und am Dienstag ein Champions-League-Spiel haben."
Der Transfer vom Trainingsplatz auf das Spielfeld gelinge nicht. Tatsächlich fällt die Ursachenforschung dafür schwer.
Der 50-Jährige aber wirkt trotz seiner riesigen Erfahrung ratlos, fast schon überfordert. Jemand, der in Mainz, Dortmund, Paris und London eigentlich alles gesehen haben müsste, was es im Fußball zu sehen gibt, scheint keine Antworten darauf zu finden, warum das Team immer wieder solche Auftritte zeigt.
Auch die Spieler tun sich schwer, finden keine Erklärungsansätze. "Man hat nicht das Gefühl, dass wir wissen, um was es geht", so Joshua Kimmich. "Das Thema haben wir schon öfter", sagte Thomas Müller. Dass man im Training oft eine positivere und bessere Energie habe.
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FC Bayern München: Taktische Probleme
"Wir waren zu träge, ohne Leben", führte Müller aus: "Da geht es darum, der Mannschaft anzusehen, wie sehr sie ein Tor braucht und will." Eine Frage der mentalen Einstellung? Vielleicht. Die Spieler sind nicht aus der Verantwortung zu nehmen, die Kreativität und auch die Tiefenläufe wird Tuchel ihnen nicht verbieten.
Doch auch taktisch trägt der Trainer im Moment nicht dazu bei, die Situation zu verbessern. Man müsse generell "die Herangehensweise hinterfragen", wurde Kimmich etwas deutlicher: "Man hat fast das ganze Spiel gesehen, dass wir zu statisch sind." Tatsächlich gab es mehrere Angriffe, in denen die Bayern zwar zahlreich im letzten Drittel positioniert waren, dort aber kaum für Bewegung sorgten.
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Kaum gegenläufige Bewegungen, so gut wie keine Tiefenläufe in die Schnittstellen der Bremer Fünferkette. Oft werden die Passgeber kritisiert, wenn sie das Spiel verschleppen oder insgesamt zu abwartend agieren. Mehrfach war vor allem bei Kimmich zu beobachten, dass er den Ball lange am Fuß behielt, um letztendlich doch einen Querpass zu spielen.
Doch nur selten war er das Hauptproblem. Wen hätte er anspielen sollen? Wer lief sich frei? Wer zeigte die anschließend viel zitierte "Energie"? "Das Leben, die Freude, durch den tiefen Block zu kommen" habe gefehlt, sagte Müller treffend. Die Bayern hatten am Wochenende kein Passgeber-, sondern ein Passempfängerproblem.
Wie viel Verantwortung trägt Tuchel?
Wie sehr aber trägt dieses Problem die Handschrift von Tuchel? Das ist schwer auszumachen, doch wirklich wiederkehrende Abläufe und Muster sind im Angriffsspiel aktuell nicht zu erkennen. Es ist nicht neu, dass sich die Tuchel-Bayern schwer mit tiefstehenden Gegnern tun – und das, obwohl sie allein in der Bundesliga bereits 52 Tore erzielt haben.
Auffällig ist, dass kaum auf Seitenverlagerungen gesetzt wird. Die Münchner verlagern das Spiel nur sehr langsam und schleppend von einem auf den anderen Flügel, kommen dadurch nur selten in Überzahlsituationen.
Kingsley Coman und Leroy Sane waren häufig in Gleich- oder gar Unterzahl, konnten ihre Stärken im Dribbling nur selten einbringen. Bayern macht das Spiel auch nicht sehr breit, was Vorteile im Kombinationsspiel und Gegenpressing haben kann, gegen tiefstehende Gegner aber auch dazu führt, dass die engen Räume noch enger werden.
Und auch gegen den Ball fehlte den Münchnern gegen Bremen der Zugriff. Eigentlich hätte es das Ziel sein müssen, das Spiel von der ersten Minute an zu dominieren, verunsicherte Bremer unter Druck zu setzen. Doch das Anlaufverhalten wirkte halbherzig.
Thomas Tuchel: Fragwürdige Wechselpolitik
Tuchel gelingt es derzeit auch inhaltlich nicht, die richtigen Antworten zu finden. Seine Wechsel verpuffen oft oder kommen zu spät. Zur Halbzeit stellte Tuchel zwar um – Raphael Guerreiro positionierte sich insgesamt tiefer, um Kimmich zu unterstützen –, doch personell änderte er nichts. Seine taktische Veränderung funktionierte nicht. Stand Guerreiro zuvor zu hoch, um sich am Spielaufbau beteiligen zu können, stand er fortan meist zu tief.
Erst nach 65 Minuten gab es einen Dreifachwechsel und damit verbunden eine deutlich offensivere Ausrichtung. Sane und Coman tauschten die Seiten, agierten nun invers. Spätestens mit der Einwechslung von Eric Maxim Choupo-Moting (84.) gingen die Bayern aber endgültig auf Flanken. Ein taktischer Widerspruch.
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Denn einerseits mussten sich die Außenspieler zunächst den Ball auf ihren starken Fuß legen, ehe sie flanken konnten – und auf der anderen Seite nahm man ihnen so ihre Qualität im Dribbling.
Zwar gelang es Sane ein paar Mal, von rechts in die Mitte zu ziehen, doch gerade weil die Bayern den Strafraum für Flanken vielbeinig besetzten, war es umso schwerer für ihn, zum Abschluss zu kommen. Es passte in einen kopflosen, wenig einheitlichen Auftritt des FC Bayern.
FC Bayern München: Druck für Thomas Tuchel
Nun ist längst nicht alles schlecht bei den Bayern, was vor der Niederlage noch gut schien. Es gehört aber zum Selbst- und zum Fremdverständnis des Clubs dazu, dass die Probleme auf einem anderen Niveau stattfinden als bei allen anderen in Deutschland. Doch es ist die Welt, die sich der Rekordmeister selbst gebaut hat. Wenn es trotz 2,41 Punkten pro Spieltag ein Team gibt, das 2,67 holt, sind die 2,41 Punkte eben nicht genug.
Und damit steht auch Tuchel unter Druck. Losgelöst von Ergebnissen sind die beschriebenen Probleme nicht neu. Man habe insgesamt keine positive Energie auf den Platz bekommen, so der Trainer bei "DAZN".
Bisher hat er es geschafft, trotz aller Zweifel zumindest innerhalb der Mannschaft für einen gewissen Zusammenhalt zu sorgen und alles klug zu moderieren. Auch vom Team gab es keine offensichtlichen Anzeichen für gegenteilige Behauptungen.
Gegen Bremen war das vielleicht zum ersten Mal anders. Spieler, die in intensive Gespräche miteinander verwickelt waren und nicht zuletzt auch Sanes Reaktion auf Tuchels taktische Anweisungen. All das kann für sich genommen auch gar nichts für die kommenden Wochen bedeuten. Oft genug werden Kleinigkeiten im Fußball überbewertet.
Bundesliga: Kein Spaziergang für den FC Bayern
Aber Tuchel hat sich zuletzt die eine oder andere Baustelle selbst aufgemacht: Die Auswechslung von Kimmich, die taktisch keinen großen Vorteil einbrachte und eher das Agieren mit der Brechstange verstärkte. Oder der Umgang mit Leon Goretzka, dem bereits erste Unzufriedenheit attestiert wird.
"Wir haben am Mittwoch direkt die Chance, es besser zu machen", sagte Tuchel. Das wird auch notwendig sein. Dass die Bayern das können, haben sie unter Tuchel bereits mehrfach bewiesen.
Doch Ausrutscher darf man sich nun nicht mehr erlauben. Anders als zuletzt profitiert der Hauptkonkurrent nicht von schwachen Bayern – Leverkusen ist selbst auf sehr hohem Niveau unterwegs. Ein Spaziergang reicht den Bayern in der Bundesliga deshalb ausnahmsweise nicht. Spätestens mit der Niederlage gegen Bremen ist der Weg zum Titel ein Marathonlauf geworden. Bleibt die Frage, ob Tuchel das auch seinen Spielern erklären kann.