Adler zur Nübel-Thematik auf Schalke
ranFussball-Experte Rene Adler exklusiv zu Alexander Nübel: "Fans fehlt manchmal das Fingerspitzengefühl"
- Aktualisiert: 03.03.2020
- 18:45 Uhr
- ran.de / Dominik Hechler
Nach der Bekanntgabe seines Wechsels zum FC Bayern und vor allem seinen Patzern in den vergangenen Spielen weht Keeper Alexander Nübel auf Schalke ein eisiger Wind entgegen. Die Fans rebellieren gegen ihn und Coach David Wagner wird schon ab dem heutigen DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern auf Markus Schubert im Tor setzen. Der ranFussball-Experte und ehemalige deutsche Nationalkeeper Rene Adler spricht im exklusiven ran.de-Interview über die Situation auf Schalke, wie er Nübels Formschwankungen einschätzt, was sie mit seinem Wechsel zum FC Bayern zu tun haben, seinen Rat an den kommenden Bayern-Torhüter und was er Schubert nun zutraut.
ran.de: Herr Adler, Sie waren in Ihrer Karriere selbst Torhüter auf höchstem Niveau und haben sämtliche Höhen und Tiefen des Fußballgeschäfts miterlebt. Welche Gefühle kommen in Ihnen hoch, wenn Sie sich die aktuelle Situation von Keeper Alexander Nübel beim FC Schalke 04 anschauen?
Rene Adler: "Ich weiß ganz genau, was im Augenblick in ihm vorgeht. Als Keeper reitet man nicht nur auf einer Welle, Fehler gehören im Torwartspiel einfach mit dazu – aber eben auch die Art und Weise, richtig damit umzugehen. Allerdings prasselt im Moment auch sehr viel auf Nübel ein, den ich übrigens als einwandfreien Charakter kennengelernt habe. Mein Gefühl ist, dass er sich vor allem seit der Entscheidung für den FC Bayern noch mehr unter Druck setzt, er will für sich den bestmöglichen Abgang vom FC Schalke 04 erzwingen. Und genau das geht nicht. Ich hatte beim Spiel gegen RB Leipzig zum ersten Mal das Gefühl, dass ein Fehler etwas mit ihm persönlich macht, er zeigte eine Art von Scham. Als die Schalke-Fans dann auch noch 'Nübel raus' skandierten, war mein Eindruck, dass ihn das persönlich schon über alle Maßen getroffen hat. Junge Keeper wie er sind diesen mentalen und auch medialen Druck nicht gewohnt. Im Prinzip muss er jetzt im offenen Ozean schwimmen lernen."
ran.de: Inwiefern haben seine Formschwankungen der vergangenen Wochen auch mit dem bekannt gewordenen Wechsel zum FC Bayern im Sommer dieses Jahres zu tun?
Adler: "Er hat ja auch vorher schon mal Fehler gemacht. Ich erinnere mich an das Spiel gegen Bayer Leverkusen, als Nübel unter einer Flanke durchgesegelt ist. Aber er hat sich davon nicht unterkriegen lassen, sondern einfach mit breiter Brust weitergemacht. Das war seit Leipzig anders. Es wirkte, als ob Nübel einen schweren Rucksack auf dem Rücken hatte, der ihn nicht mehr atmen ließ. Da war viel weniger Leichtigkeit zu erkennen als in den Monaten zuvor – und genau die hat ihn bislang eigentlich immer ausgemacht. Ich nehme ihn als sehr professionell und reflektiert wahr, so dass er sicherlich ein Mensch ist, der sich sehr viele Gedanken macht. Und das kann durchaus auch kontraproduktiv sein. Du versuchst auf einmal Dinge, die so gar nicht möglich sind, willst alles nur noch erzwingen. Das ist leider der komplett falsche Weg. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Der mit Abstand größte Fehler ist, auf Fehlervermeidung zu spielen. Für die eigene Sicherheit brauchst du immer mal ein 'normales' Spiel, ohne groben Patzer, um Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Aber genau das hat Nübel in den vergangenen Wochen gefehlt. Im Gegenteil: mit seinen Fehlern ist noch mehr Angriffsfläche entstanden. Und wenn du dauerhaft in so einer Negativspirale bist, brauchst du in so einer Situation vielleicht jemanden von außen – in diesem Fall ist das dann der Cheftrainer – der dich in gewisser Weise 'erlöst' und mal vorübergehend auf die Bank setzt. Auch, wenn du als Spieler natürlich unbedingt weiterspielen möchtest."
ran.de: Vor dem heutigen DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern wurde nun ja auch bekannt, dass Schalke-Coach David Wagner sich offenbar festgelegt hat, bis zum Saisonende auf Markus Schubert im Tor der "Königsblauen" zu setzen. Die richtige Entscheidung?
Adler: "Ich glaube zunächst einmal, dass diese ganze Thematik eine Eigendynamik bekommen hat, die sie auf Schalke so nicht haben kommen sehen. Für mich war ehrlich gesagt die Rote Karte für Nübel am 15. Spieltag gegen Eintracht Frankfurt so ein bisschen der Startpunkt. Denn ohne die daraus resultierenden drei Spiele Sperre für Nübel hätte sein Vertreter Markus Schubert in meinen Augen wahrscheinlich kein Spiel gemacht – auch trotz der Entscheidung von Nübel pro FC Bayern, die einige Wochen später öffentlich verkündet wurde. Schalke hat es meiner Meinung nach in dieser Phase auch verpasst, sich klar zu Nübel oder eben Schubert zu bekennen. Sie haben sich nicht klar genug positioniert, alles blieb ein wenig schwammig. Und das kann für Torhüter, je nach Persönlichkeit, schwer sein. Denn – und so schätze ich beide Keeper auf Schalke persönlich ein – es gibt Spieler, die das volle Vertrauen spüren müssen. Und das war nicht der Fall."
ran.de: Ist der Schritt hin zu Schubert für Sie also nachvollziehbar?
Adler: "Der erste Impuls ist vielleicht: Das war zuletzt alles zu viel für Nübel, es ist erstmal gut für ihn, da kann er mal durchatmen. Ob das allerdings auf lange Sicht gut ist, wird sich zeigen. Ich kann mich noch an die WM 2010 erinnern, als bei der deutschen Nationalmannschaft das Keeper-Duell zwischen Manuel Neuer und mir medial hoch und runter gespielt wurde und ich in dieser Phase total überpaced habe. Für mich war klar: Das wird mein Turnier, ich trainiere noch mehr als sonst, esse noch gesünder, schlafe mehr und verhalte mich generell noch professioneller als sonst schon. Ich bin heute überzeugt davon, dass ich mir damals die beiden Rippen gebrochen habe, weil ich zu viel wollte. Und das hat mir brutal geschadet. Nübel ist aktuell in einer ähnlichen Situation. Der mediale Druck ist enorm, hinzu kommt der eigene Druck und vielleicht auch der unausgesprochene Druck vom zukünftigen Arbeitgeber FC Bayern, ob er mit den aktuell gezeigten Leistungen dem Konstrukt Bayern München in Zukunft überhaupt gewachsen und dort die künftige Nummer eins sein kann. Ob das alles wirklich so ist, spielt gar keine so große Rolle, aber als reflektierter Spieler wie Nübel einer ist, machst du dir ab einem gewissen Punkt über solche Sachen eventuell deine Gedanken und fängst gegebenenfalls an zu zweifeln. Somit gewinnt die negative Energie die Oberhand und du bist im Spiel nicht mehr in deiner Mitte, bist total unausgeglichen. Und wenn du als Torhüter nicht im Lot bist, machst du Fehler, die zwangsläufig zu Gegentoren führen."
ran.de: Trägt Nübel vielleicht sogar eine gewisse Mitschuld an seiner jetzigen Situation? Hätte man die Bekanntgabe des Wechsels zum FC Bayern auch anders lösen können?
Adler: "Ich bin vor allem der Meinung, dass es diese Entscheidung zu akzeptieren gilt. Egal, was man persönlich davon halten mag. Wir kennen die genauen Hintergründe nicht. Vielleicht war es insgeheim immer Nübels Traum für den FC Bayern zu spielen und er hatte ab einem gewissen Zeitpunkt das Selbstvertrauen, sich einen Zweikampf mit Manuel Neuer zuzutrauen – zumal Neuer in der Vergangenheit auch noch recht verletzungsanfällig war und mit seinen 33 Jahren auch nicht mehr jünger wird. Zudem wird von der Nübel-Seite ja immer von einem schlüssigen Konstrukt gesprochen - weitere Vertragsdetails kennen wir ja nicht und können sie somit nicht näher bewerten. Und irgendwann musst du so einen Transfer ja auch verkünden, da gibt es in meinen Augen keinen perfekten Zeitpunkt. Zumal es im Fall vom Nübel-Transfer ja letztlich schon aufgrund der Regularien vorgegeben war, da ein Wechsel erst ein halbes Jahr vor Vertragsende offiziell verkündet werden darf. Da kam mit der Roten Karte und seinen schwankenden Leistungen für Nübel leider ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt alles zusammen."
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ran.de: Wie schätzen Sie die Reaktionen der Schalke-Fans ein?
Adler: "Die Fans sind natürlich frustriert und enttäuscht. Nicht nur von Nübel, sondern aktuell von der ganzen Mannschaft, die nicht mehr die Leistungen bringt und die Ergebnisse erzielt, wie noch in der wirklich sehr starken Hinrunde. Andererseits war Nübel bis zur Verkündung seines Wechsels zum FC Bayern Kapitän der 'Königsblauen' und ein starker Rückhalt. Ich nehme hier mal das Beispiel Kai Havertz von Bayer Leverkusen: Er wurde von den dortigen Fans ausgepfiffen, als er in einem kleinen, für sein Alter normalen Leistungstief war und gleichzeitig in den Medien über seine weitere Karriereplanung diskutiert wurde. Das ist für mich null nachvollziehbar. Da fehlt den Fans in meinen Augen manchmal auch ein bisschen das Fingerspitzengefühl. Da zieht für mich auch das Argument 'Der muss das abkönnen, dafür kassiert er ja auch sehr viel Geld' nicht. Das halte ich für totalen Quatsch. Das sind junge Menschen, die erstmal lernen müssen, mental mit all dem Druck um sie herum umzugehen – da hilft ihnen kein Geld der Welt."
ran.de: Was bedeutet die aktuelle Situation für Schubert? Wie wird er damit umgehen?
Adler: "Schubert ist für mich ein großes Torwarttalent, aber in seiner Entwicklung noch hinter Nübel. Das ist jetzt eine Chance, die er für sich nutzen muss – er ist ja auch keine 17 Jahre mehr jung. Er sollte jetzt mit großer Freude in das DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern vor ausverkauftem Haus gehen und die Partie mehr als Chance denn als Risiko sehen. Schubert sollte mit dem Selbstvertrauen ins Spiel gehen, dauerhaft die Nummer eins auf Schalke werden zu wollen - dieses Selbstvertrauen hat mir bei seinen bisherigen Auftritten ein wenig gefehlt. Ich wünsche mit aufgrund seines enormen Potenzials, dass er es schafft, den richtigen Mix aus Leichtigkeit, Unbekümmertheit und totalem Fokus hinzubekommen."
ran.de: Und was würden Sie jetzt Nübel raten?
Adler: "Er muss gemeinsam mit seinem Team erörtern, was für ihn jetzt wichtig ist, um aus dieser Situation gestärkt herauszukommen. Das ist meiner Meinung nach nämlich definitiv möglich. Er muss im Moment durch ein brutales Stahlbad gehen, was ihn aber für die Zukunft durchaus wappnen kann. Außerdem gibt es viele prominente Beispiele wie Oliver Kahn oder Jens Lehmann, die auch für eine gewisse Zeit auf der Ersatzbank Platz nehmen mussten, dann aber umso stärker zurückkamen."
Das Interview führte: Dominik Hechler
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