Deutscher Fussball in der krise
DFB – Reform im Kinderfußball: Polemik statt Inhalt! Watzkes Kritik geht am Thema vorbei
- Veröffentlicht: 07.09.2023
- 22:05 Uhr
- Justin Kraft
Hans-Joachim Watzke und zahlreiche andere Persönlichkeiten des deutschen Fußballs kritisieren die Reform im Kinderfußball durch den DFB. Doch diese Kritik geht häufig am Thema vorbei.
"Unfassbar". Mit diesem Wort umschrieb Hans-Joachim Watzke die Reform im Jugendfußball, die beim DFB ab 2024 umgesetzt werden soll. Aber dabei beließ es der 64-Jährige nicht.
"Für mich nicht nachvollziehbar", "grundsätzlich falscher Ansatz", "demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft" – der erste Vizepräsident des DFB bediente sich an einem ganzen Koffer voller Polemik.
So polemisch, dass sich der Verband zu einer schnellen Replik gezwungen sah. "In den neuen Spielformen im Kinder- und Jugendfußball wird Leistung gefordert und durch die unmittelbare Rückmeldung des Gewinnens und Verlierens gefördert", wird Hannes Wolf, Direktor "Nachwuchs, Training und Entwicklung", in einer Mitteilung des DFB dazu zitiert.
Watzke hat sich mit seinen Aussagen eingereiht in eine Riege von Funktionären und ehemaligen Sportlern, die ebenfalls kritisch auf die Reform blicken.
Das Wichtigste zum DFB-Team
Die Debatte um die Zukunft des deutschen Fußballs hat bisweilen oberflächliche Züge angenommen. Doch wie berechtigt ist der Aufschrei? Und was soll durch die Reform tatsächlich verändert werden?
DFB: Was soll sich durch die Reform im Kinderfußball verändern?
Nach einer zweijährigen Pilotphase erfolgt zur Saison 2024/25 die Umsetzung neuer Spielformen im Kinderfußball. Diese lösen die bisherigen Wettbewerbsangebote in der G-, F- und E-Jugend ab. Sie betreffen also Kinder in den Altersklassen von der U6 bis zur U11.
In der G-Jugend (U6/U7) wird laut DFB im Zwei-gegen-Zwei oder Drei-gegen-Drei auf kleinen Spielfeldern gespielt. Gespielt wird auf vier Mini-Tore. Nach jedem Tor wird automatisch ein Teammitglied gewechselt. Gespielt wird in Turnierformaten. Die Gewinnerteams gehen jeweils ein Spielfeld weiter, die Verliererteams eines zurück, was zu ausgeglichenen Duellen führen soll.
In der F-Jugend (U8/U9) ist es ähnlich wie bei der G-Jugend – allerdings wird entweder im Drei-gegen-Drei oder im Fünf-gegen-Fünf gespielt. Beim Fünf-gegen-Fünf gibt es die Option, auf Kleinfeldtore zu spielen statt auf je zwei Minitore – dann mit vier Feldspieler*innen plus Torhüter*in.
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Ab der E-Jugend (U10/U11) wird im Fünf-gegen-Fünf oder im Sieben-gegen-Sieben gespielt. Ersteres folgt den gleichen Regeln wie in der F-Jugend: Zwei Kleinfeldtore oder vier Minitore. Im Sieben-gegen-Sieben wird auf zwei Kleinfeldtore gespielt. Empfohlen wird vom Verband eine Turnierform mit vier Teams. "Für die Einwechselspieler*innen sollen Nebenspielfelder für ein Zwei-gegen-Zwei oder Drei-gegen-Drei aufgebaut werden", schreibt der DFB weiter. In der G- und F-Jugend wird es keine Meisterschaftsrunde geben.
DFB: Was sind die Gründe für die Reform im Kinderfußball?
Der Verband beschreibt "das Spielen mit dem Ball am Fuß und das Erzielen von Toren" als "die zentralen Gründe, warum so viele Kinder und Jugendliche Freude am Fußball haben". Die neuen Spielformen sollen das fördern.
Aus Sicht des DFB würden die Veränderungen dazu führen, dass die individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt gestellt wird. Auf Meisterschaftsrunden verzichte man in den ersten beiden Altersklassen, "um den Leistungsdruck zu minimieren und die sportliche Entwicklung der Kinder stärker in den Vordergrund zu rücken".
Die Reform sei eine kindgerechtere Art des Fußballs. Dabei beruft sich der DFB auf die Erfahrungen, die in der Pilotphase gemacht wurden.
"Das Feedback der Kinder war und ist sehr positiv", heißt es auf der Website des Verbands. Viele Untersuchungen hätten gezeigt, dass zu früh zu viel Wert auf Taktik gelegt werde, "worunter die Ausbildung der fußballerischen Grundlagen leidet".
DFB: Was ist die Kritik an der Reform im Kinderfußball?
Fokussiert wird sich auf der Seite derjenigen, die die Reform kritisieren, vor allem auf vermeintlich fehlende Ergebnisse.
"Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht", meinte beispielsweise Steffen Baumgart im "WDR". "Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert", so der Trainer des 1. FC Köln weiter: "Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur, wenn ich zehn Tore schieße."
Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht
Steffen Baumgart über die DFB-Reform im "WDR"
Ein großer Teil der Kritik konzentriert sich also darauf, dass Kinder nicht lernen würden, mit Niederlagen und Siegen umzugehen. Damit äußern die genannten Kritiker ein Gefühl und die Sorge, dass Leistung in der Gesellschaft grundsätzlich an Bedeutung verliere. Dass der Sport in Deutschland auch deshalb in der Krise stecke, weil die Ausbildung nicht mehr konsequent oder hart genug sei.
Ein Thema, das auch weit über den Fußball hinausgeht. "Besser werden, der Erste sein. Das gibt es nicht", sagte beispielsweise der Olympiasieger und dreimalige Weltmeister im Diskuswerfen Robert Harting der "Bild". Dabei bezog er sich zwar nicht auf den DFB, aber auf die Reform der Bundesjugendspiele, bei denen es in Teilen keine exakten Ergebnisse mehr geben wird, um Diskriminierung zu mindern und Freude zu stärken.
DFB: Was ist dran an der Kritik?
Richtig ist, dass es durch die Abschaffung der Meisterschaftsrunden in der G- und F-Jugend keine Tabelle mehr geben wird. Zugleich hat der DFB ein gutes Argument für die Abschaffung auf seiner Seite: Falscher Ehrgeiz war über viele Jahre hinweg im Jugendbereich ein unterschätztes Problem.
Von zahlreichen Trainerinnen und Trainern ist bundesweit immer wieder zu vernehmen, dass die Kinder zu früh unter Druck gesetzt werden – sei es durch die Verantwortlichen bei den Vereinen oder durch Eltern. Zumal ein wichtiger Aspekt der Kritik ins Leere führt: Der Wettkampfcharakter geht nicht zwingend verloren.
"Wenn du am Ende auf Feld eins bist, hast du die ganze Zeit gewonnen", erklärte Wolf auf einer Pressekonferenz im August: "Wenn du auf Feld fünf bist, musst du trainieren, weil du willst ja zumindest auf Feld vier beim nächsten Mal. Das heißt, unmittelbar gibt es die Rückmeldung, ob du gewonnen hast oder verloren." Keiner wolle die Ergebnisse abschaffen.
Nur werden sie mit der Reform ein Stück weit an Bedeutung verlieren, weil es keine Gesamttabelle gibt. Dafür sollen Trainerinnen und Trainern einen Anreiz bekommen, weniger ergebnisorientiert zu coachen und sich mehr auf die Entwicklung aller zu fokussieren. Das könnte unangenehme Situationen verhindern, in denen Erwachsene die Ergebnisse zu ernst nehmen und so Druck auf die Kinder aufbauen.
"Ich als Vater will, dass mein Sohn die ganze Zeit zockt. Die Tabelle ist am Ende des Tages völlig wurscht", sagte Sandro Wagner der "Bild". Wagner ist Teil des Kompetenzteams, das unter der Leitung von Wolf arbeitet und sich unter anderem mit diesen Themen befasst. "Du gibst den Kindern nur Spaß, wenn du sie spielen lässt."
DFB kein Vorreiter: Vorbilder im Ausland
Wichtig ist in diesem Kontext auch, dass der DFB keine verrückten Ideen ausprobiert, die es so noch nicht gegeben hat. Im Gegenteil: Die Spielform ist längst erprobt. In Deutschland gab es Anfang der 2010er vereinzelte Klubs, die das sogenannte "Funino" (Fun, englisch für Spaß; Nino, spanisch für Kind) etabliert haben. Beispielsweise der FC St. Pauli, der kleinere Vereine aus der Umgebung regelmäßig zu Turnieren in diesem Format einlud und das Format auch in der F-Jugend ersetzte.
"Funino schult auf ideale Weise die elementaren Fähigkeiten im Fußball", sagte 2014 der damalige Jugendkoordinator der U7 bis U13 von St. Pauli, Christian Klose, der "Zeit". Ein Vorteil: Das ganzheitliche Spiel losgelöst von Positionen und taktischen Rollen. Angriff und Verteidigung werden von allen übernommen.
In anderen Ländern ist die Spielform im Jugendfußball schon sehr lange etabliert oder zumindest erprobt. Der FC Barcelona begann bereits vor mehr als 30 Jahren damit, Trainer-Legende Arrigo Sacchi ordnete seinerzeit als Sportdirektor Italiens Funino für den Kinderfußball an, weil es "denkende Spieler" produziere.
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Gerade auf den spanischen Fußball wird häufig neidisch geblickt, wenn in Deutschland wieder Straßenfußballer vermisst werden. Teile der DFB-Reform beinhalten zentrale Aspekte der spanischen Ausbildung. Während die deutsche Ausbildung seit Jahren kritisiert wird. Die logische Gegenfrage wäre also: Wie lässt sich das ändern, wenn sich letztendlich möglichst wenig ändern soll?
DFB: Ein Generationenkonflikt
Deutlich wird in der Debatte vor allem ein Generationenkonflikt. Während es in der modernen Gesellschaft häufig um Wertschätzung, Sensibilität und Spaß im Umgang mit Sport geht, fordern Menschen aus den Generationen von Baumgart und Watzke häufig einen weniger "weichen" Umgang damit.
Vermutlich wird sich dieser Konflikt nicht auflösen lassen. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Kritik häufig am Inhalt der Reform vorbeigeht.
Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick äußerte sich ebenfalls kritisch. Das Ergebnis und das Gewinnen müsse immer im Vordergrund stehen, sagte er laut einem Bericht von "Sport Inside" des "WDR". Der DFB drehe "am völlig falschen Rad".
Interessant: Der Österreichische Fußball-Bund, für den Rangnick arbeitet, setzt "Funino" in seiner Jugendausbildung seit der Saison 2022/23 durch – ebenfalls ohne Tabellen in den jüngsten Jahrgängen.
Wochenlang wurde immer wieder an den eigentlichen Themen der Veränderungen vorbeidiskutiert. Das Thema der fehlenden Meisterschaftsrunde wurde größer gemacht, als es letztendlich wohl notwendig ist. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine fehlende Tabelle die Entwicklung von bis zu neun Jahre alten Kindern negativ beeinflusst?
Es ist aber auch deshalb bemerkenswert, weil jemand wie Watzke als Präsidiumsmitglied des DFB mehr Interesse daran haben sollte, sich sachlich damit auseinanderzusetzen. "Unfassbar" ist in diesem Sinne, dass er von Wolf nun erwarte, "uns in den nächsten ein, zwei Jahren Handlungsalternativen aufzuzeigen". Ausgerechnet Wolf, der ein starker Befürworter dieser Reform ist. Ein Gesamtbild des DFB, das für sich selbst spricht. Mehr Inhalt täte dieser Debatte gut – und weniger Polemik.