DFB-Team
Thomas Müller beendet DFB-Karriere: So groß wie Kroos - doch ein Makel bleibt!
- Aktualisiert: 15.07.2024
- 10:46 Uhr
- Justin Kraft
Thomas Müller beendet seine Karriere in der Nationalmannschaft. Sportlich hatte er zum Ende hin nicht mehr die allergrößte Bedeutung für das DFB-Team, dennoch endet eine Ära. Über einen Raumdeuter, der deutlich mehr war als nur das. Eine Würdigung.
"Müller spielt immer", sagte Louis van Gaal über den damals noch jungen Thomas Müller. Ein Satz der die Karriere des Angreifers begleiten sollte – in Zeiten, in denen es lief, aber auch in Zeiten, in denen es weniger lief.
Zu Beginn seiner Laufbahn kannte Müllers Weg aber nur eine Richtung: Nach oben. Und so stand er 2010 als 21-Jähriger und nach seiner ersten richtig guten Saison beim FC Bayern nicht nur im WM-Kader des DFB-Teams. Er stand in dessen Startelf und war mit fünf Treffern der beste Torschütze des Turniers – hinzu kamen drei Assists.
Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob Deutschlands Chancen im Halbfinale gegen Spanien besser gewesen wären, wenn Müller nicht gesperrt gefehlt hätte. Fakt ist: Er traf in jedem K.-o.-Spiel, gegen England sogar doppelt.
Müller war fortan in aller Welt bekannt. Für seine besondere Art und Weise, wie er Fußball gespielt hat, aber auch für seine flotten Sprüche und seinen speziellen Humor vor den Mikrofonen.
Das Wichtigste in Kürze
"Typisch Müller", etablierte sich in den deutschen Wohnzimmern gleich auf mehreren Ebenen. Sei es nach witzigen Interviews oder nach kurios erzielten Toren. Doch Müller wurde dadurch auch immer in eine Schublade gesteckt, aus der er bis heute nicht so richtig herauskam. Er war für die Nationalmannschaft und beim FC Bayern sowieso mehr als der "Lausbub", den alle in ihm gesehen haben.
Thomas Müller: "Lieblingstor" zeigt seine besondere Qualität
Müller zuzuschauen, war eine Freude. Ein Grund dafür: Bei ihm hatte man immer das Gefühl, dass niemand wissen könnte, was als nächstes passiert – selbst er nicht. Doch dieses Gefühl täuschte in den überwiegenden Fällen.
Nehmen wir nur eines seiner drei Tore gegen Portugal bei der WM 2014 im Auftaktspiel. Das 3:0 war "eines meiner Lieblingstore in meiner Karriere", erklärte Müller zehn Jahre später in der Dokumentation "Wir Weltmeister": "Weil es eine meiner großen Stärken zeigt, die mir auch immer wieder veranschaulichen, wieso ich im Weltfußball gut funktioniere."
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Müller mit Galgenhumor: "Handregel ist ein verzwicktes Luder"
Nach einer Flanke von Toni Kroos sah es zunächst gar nicht so aus, als würde Torgefahr entstehen. Müller stand schlechter im Vergleich zu seinem Gegenspieler Bruno Alves. "Normalerweise willst du als Stürmer bei einer Flanke natürlich zuerst am Ball sein", erklärte Müller: "Ich habe aber sofort erkannt, dass ich nicht zuerst an den Ball komme und habe handlungsschnell sofort entschieden, ich gehe nicht auf den Ballkontakt, sondern ich sehe, der andere kommt dran und ich gehe auf den Block."
Müller blockte den Klärungsversuch von Alves, hatte dann etwas Glück, dass ihm der Ball vor die Füße fiel und versenkte ihn im Netz. "Typisch Müller", dürfte süffisant in mehreren Wohnzimmern gefallen sein. Und es war ja auch typisch für ihn. Aber anders, als es oft interpretiert wurde.
"Guter Chip oben drin": Müller ist mehr als Intuition
Der Bayern-Profi war kein unorthodoxer Spieler. Keiner, der Zufälle aneinandergereiht hat oder "nur" die Fähigkeit hatte, sich richtig zu positionieren. Er war auch kein reiner Intuitionsfußballer. "Vielleicht habe ich einen guten Chip oben drin", sagte Müller über seine Fähigkeit, das Spiel richtig zu lesen.
Manchmal mag es merkwürdig ausgesehen haben, wie sich der Offensivmann bewegt hat. Aber Hand und Fuß hatten seine Aktionen immer. Durchdacht, klug, spielintelligent und mit einem unglaublich feinen Näschen dafür, was als nächstes auf dem Feld passieren würde – Müller wusste in seinen besten Jahren vor seinem Gegenspieler, was der als nächstes macht.
Auch technisch wurden die Fähigkeiten Müllers weitgehend unterschätzt. Neben 45 Toren in 131 Länderspielen kommt Müller auf 41 Torvorlagen für Deutschland. Mehr als jeder andere DFB-Kicker in der Vergangenheit. Wegen seiner klugen Laufwege wurde er als Raumdeuter bekannt. Seine Mitspieler profitierten enorm davon, dass er immer wieder Gegenspieler binden oder Räume aufziehen konnten, wo eigentlich gar keine da waren. Ein enormer Profit für seine Teamkameraden.
Müller aber war mehr als ein Raumdeuter. Mit dem Ball am Fuß konnte er auch sehr feine und technisch anspruchsvolle Pässe hinter die Kette des Gegners spielen. Gechipt, durchgesteckt, geflankt – sein Repertoire war das eines echten Zehners. Das hat es auch so schwer gemacht, ihn zu stoppen.
DFB-Team: Ein kleiner Makel bleibt bei Müller
Einen kleinen Makel in der Nationalmannschaftskarriere gibt es dennoch: Denn letztendlich sind es nur zwei Turniere, in denen er seine Qualitäten vollumfänglich auf den Rasen bringen konnte. Die erwähnte WM im Jahr 2010 und die darauffolgende Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, als er erneut fünf Tore und drei Vorlagen beisteuerte.
In 17 Partien bei Europameisterschaften kommt Müller indes auf kein einziges Tor und nur zwei Assists. Nun ist der heute 34-Jährige niemand, den man nur an Zahlen messen sollte. Auch 2012 und 2016 zeigte er bei den jeweiligen Europameisterschaften gute bis sehr gute Leistungen. Trotzdem bleibt gerade im Vergleich zu seiner Karriere beim FC Bayern das Gefühl, dass er beim DFB nicht ganz das Maximum herausholen konnte.
Karriereende nach EM-Aus: Das ist Toni Kroos' unglaubliche Titelsammlung
Zumal es nach der EM 2016 nicht nur für Müller, sondern für das gesamte Team einen spürbaren Bruch gab. Einer, der 2019 darin mündete, dass die DFB-Karriere des Stürmers eigentlich schon vorbei war. Joachim Löw sortierte ihn gemeinsam mit Mats Hummels und Jerome Boateng damals aus.
Müller kam zurück – und auch wenn sein Fehlschuss bei der EM 2021 gegen England sowie die schwache WM 2022 nicht dazu geführt haben, dass er nochmal an das Ansehen alter Tage anknüpfen konnte, so ging er bei der Heim-EM 2024 dann doch mit mindestens einem schönen Moment.
Als Julian Nagelsmann ihn in München gegen Schottland einwechselte, schallten Sprechchöre für ihn durch die Arena.
Thomas Müller: Achterbahnfahrt und doch einer der Größten
Müllers Karriere beim DFB war eine Achterbahnfahrt. Allerdings eine mit derartigen Höhen, dass er als Legende gehen wird. Als Spieler mit den drittmeisten Länderspielen für Deutschland, als Top-Assistgeber und mit zehn Toren bei Weltmeisterschaften. Dazu als absoluter Schlüsselspieler beim WM-Titel 2014 und eben als jemand, der immer Verantwortung übernommen hat.
So schwierig es für ihn persönlich in den letzten Jahren auch wurde, Interviews oder Stellungnahmen hat er nie gemieden. Müller stellte sich und analysierte ehrlich sowie in unnachahmlicher Art die Lage aus seiner Perspektive. Ganz am Ende übernahm er gar die Rolle als Bankspieler, erweiterter Assistent des Trainerteams und Mentor für die jungen Spieler mit voller Leidenschaft.
Neben aller sportlicher Qualität sind es auch diese Aspekte, die dem DFB-Team nach seinem Karriereende am meisten fehlen werden. Jemand, der es immer geschafft hat, über seine reflektierte und authentische Art einen Draht zu den Fans aufrechtzuerhalten. Selbst dann, als sich viele von der Nationalmannschaft abgewandt hatten.
Müller verlässt die große Bühne vielleicht nicht mit so viel Aufmerksamkeit und Glitzer wie sein Kollege Kroos. Doch schaut man auf seine Bedeutung auf dem Weg zum vierten WM-Titel 2014 und auch in den anderen Jahren, dann geht er als einer der bedeutendsten Spieler der deutschen Fußball-Geschichte.