Organisation fifpro will Fußballer schützen
Jude Bellingham als Negativ-Beispiel: FIFPro geht auf FIFA los
- Aktualisiert: 07.09.2024
- 15:54 Uhr
- Luca Wolkstein
Die heutigen Fußballer müssen deutlich mehr Partien absolvieren als frühere Generationen. Das monieren Stars wie Kevin De Bruyne und Bernardo Silva. Auch die Spielervertretung FIFPro erachtet diese Entwicklung als äußerst gefährlich für die körperliche Gesundheit - und droht der FIFA.
Blickt er ein Jahr voraus, scheint es Kevin De Bruyne bereits zu grauen. Vor einem pickepackevollen Spielkalender. Am Rande der Nations League sagte der belgische Mittelfeldstar laut der Nachrichtenagentur "Reuters": "Wir wissen, dass es nur drei Wochen zwischen dem Finale der Klub-WM und dem ersten Premier-League-Spiel sein werden."
Der bei Manchester City unter Vertrag stehende 33-Jährige legte nach: "Also haben wir drei Wochen, um uns auszuruhen und auf 80 weitere Spiele vorzubereiten." Somit könne es "problematisch" werden. Spielergewerkschaften wie die Professional Footballers' Association würden an einer Lösung arbeiten.
Die Zeit aber scheint zu drängen. "Das Thema ist, dass UEFA und FIFA die Anzahl der Spiele immer weiter erhöhen und wir unsere Bedenken äußern können, aber es werden keine Lösungen gefunden", moniert De Bruyne: "Es sieht so aus, als würde Geld lauter sprechen als die Stimmen der Spieler."
Zwar schaut "KDB" eher auf den Sommer 2025, wenn erstmals eine Klub-WM mit 32 Mannschaften ausgespielt werden soll. In den USA sind dann auch der FC Bayern München und Borussia Dortmund dabei. Doch schon der zu Ende gehende Sommer zeigte, wie manche Ausnahmekönner an ihre Grenzen kamen.
Das Wichtigste in Kürze
Bellingham bei der EM: Nur ein spektakulärer Moment
Im Juni reiste Jude Bellingham als einer der größten Stars des Weltfußballs zur EM 2024 in Deutschland an. Der 100-Millionen-Euro-Mann hatte soeben seinen ersten Champions-League-Titel mit Real Madrid gewonnen - die Krönung einer fantastischen Debütsaison für die Königlichen.
Entsprechend setzten die englischen Fans große Hoffnungen in ihren Mittelfeld-Star, er sollte endlich für das große "Homecoming" des Fußballs - also den langersehnten Titel der Nationalmannschaft - sorgen.
Doch Bellingham konnte kaum an die Leistungen im Vereinstrikot anknüpfen, in Erinnerung blieb das Ex-BVB-Wunderkind trotz des Finaleinzugs nur für sein spektakuläres Fallrückzieher-Tor gegen die Slowakei, das die bis dahin behäbig wirkenden "Three Lions" im Achtelfinale in die Verlängerung rettete.
In allen anderen Partien wusste Bellingham kaum Akzente zu setzen, wirkte müde, teilweise gar gebrechlich. Eine Underperformance, die den Zuschauern und Medien nicht verborgen blieb: "Er ist ein Schatten seiner selbst", titelte der englische "Mirror" angesichts der rätselhaften Leistungen.
Doch kommt dieser Leistungsabfall wirklich überraschend? Seit Jahren füllt sich der Terminkalender eines auf höchstem Niveau agierenden Profifußballers mit immer mehr Partien, die körperliche Belastung nimmt exponentiell zu.
Auch Bellingham selbst deutete in Folge des EM-Endspiels eine Ausgebranntheit an: "Vielleicht sagt mir mein Körper, dass er nach einem anstrengenden Jahr ein wenig mehr Ruhe braucht." Er sei "mental und körperlich erschöpft", so der England-Star.
Auch Manchester-City-Akteur Ruben Dias, ein Teamkollege von De Bruyne, ging vor kurzem viral, als er seinen vollgepackten Terminkalender in den sozialen Medien teilte.
Externer Inhalt
Externer Inhalt
Bellingham auf dem Weg zu 1200 Spielen
Eine Thematik, auf die auch die Fédération Internationale des Associations de Footballeurs Professionnels (kurz: FIFPro) aufmerksam geworden ist - eine niederländische Organisation, die sich für Fußballer und deren Interessen einsetzt.
Die Profispielervertretung präsentierte kürzlich eine neue Studie, die die zunehmende Belastung im modernen Fußball untersucht und auch den eingangs erwähnten Bellingham als Negativbeispiel der vielen Fälle in den Mittelpunkt rückt.
Denn: Wie die Studie belegt, hat der Ex-Dortmunder vor seinem 21. Geburtstag bereits erheblich mehr Partien absolviert als vergleichbare englische Fußballer in der Vergangenheit. Mit 251 Spielen toppt er Wayne Rooney (212), Michael Owen (156) oder Steven Gerrard (93) deutlich. David Beckham kam in seinem Alter gerade einmal auf 54 Einsätze.
Rechnet man diese Zahlen hoch, könnte Jude Bellingham bis zu seinem 37. Lebensjahr mehr als 1200 Profieinsätze absolviert haben.
Eine absolut wahnsinnige Zahl, die FIFPro alarmiert: "Wir stehen heute vor einem der schwerwiegendsten und dringendsten Probleme in unserem Sport. Ein Problem, das aus dem Missbrauch von Governance und einem Versagen der Sorgfaltspflicht resultiert. Die ganzheitliche Arbeitsbelastung, mit der unsere Spieler konfrontiert sind, ist beispiellos. Sie hat zu einer körperlichen und geistigen Ermüdung geführt, die mittlerweile gefährlich ist", so Stéphane Burchkalter, amtierender Generalsekretär, im "Telegraph".
Konsequenzen für die FIFA?
Laut dem Bericht von FIFPro haben einige der in die Studie involvierten Fußballprofis nur noch zwölf Prozent des Kalenderjahres frei, das entspricht hochgerechnet weniger als einem Ruhetag pro Woche. Und das trotz teils mehr als 150.000 Reisekilometern respektive mehr als 200 Reisestunden pro Jahr.
Ganz aktuell äußerte auch der portugiesische Nationalspieler Bernardo Silva sein Unverständnis über die Gestaltung des Spielplans: "Der Terminkalender ist völlig verrückt. Wir haben gerade die Nachricht erhalten, dass wir nur einen Tag für das englische Ligapokalspiel frei haben. Wir werden wahrscheinlich monatelang alle drei Tage spielen."
"Ich verbringe sehr wenig Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden. Die Anzahl der Spiele, denen wir ausgesetzt sind, ist absolut absurd", wütete der Mittelfeldstar in der portugiesischen Zeitung "Record".
Ramos, Martial und Co. - Wer ist noch ablösefrei zu haben?
Eine unzumutbare Situation, wie auch FIFPro-Generalsekretär Burchkalter findet: "Unsere Spieler sind bereits über ihre Grenzen hinausgegangen. Der internationale Kalender ist bereits mehr als voll. Doch was ist die Antwort der internationalen Gremien? Mehr. Mehr Spiele, mehr Wettbewerbe, mehr Abstimmungen. Und keine Garantien oder Rücksicht auf die Spieler. So können wir nicht weitermachen."
Die bewusste Aufblähung der Terminkalender könnte die FIFA jetzt teuer zu stehen kommen. Denn FIFPro hat sich mit den europäischen Profiligen zusammengetan und will gerichtlich gegen den Diszustand vorgehen. Bereits im Juli kündigte das Konglomerat an, bei der Europäischen Kommission offiziell Beschwerde gegen den Weltverband einlegen zu wollen.
Wie erfolgversprechend ein Rechtsstreit mit der FIFA wäre, lässt sich schwer beurteilen. Aber wie die allermeisten Fußballfans wissen, verliert der weltgrößte Fußballverband nicht gerne - vor allem, wenn es um Geld oder Privilegien geht.
David Raum: Viele Spiele ein Privileg
Doch nicht alle Profis können die Kritik am modernen Fußballkonstrukt nachvollziehen. Leipzig-Profi David Raum erklärte erst kürzlich in einem Interview mit der "Funke Mediengruppe", dass ihm eine hohe Belastung sogar lieber sei: "Eine Obergrenze (an Spielen, Anm. d. Red.) gibt es für mich nicht."
Für ihn seien möglichst viele Einsätze der Schlüssel zu sportlicher Weiterentwicklung: "Ich hatte schon als junger Spieler immer das Gefühl, dass ich nur über die Spiele besser werde. Daher freue ich mich über die vielen englischen Wochen. Für mich ist das ein Privileg."
Auch mit dem neuen Champions-League-System hat sich der Linksverteidiger schnell angefreundet. Für ihn sei mit acht Partien vor dem Start der K.o.-Phase noch keine Grenze überschritten, er freue sich stattdessen auf "geile Spiele".