Regionalliga West
KFC Uerdingen, 1. FC Düren und Co.: "Sonst wird die Regionalliga zum 'Friedhof der Traditionsvereine'"
- Veröffentlicht: 26.04.2025
- 11:01 Uhr
- Andreas Reiners
Fortuna Kölns Geschäftsführer Niklas Müller spricht im ran-Interview über das Chaos in der Regionalliga West, strukturelle Probleme und mögliche Lösungen.
Das Interview führte Andreas Reiners
Chaos. Insolvenzen. Rückzüge. Die Regionalliga West gibt in dieser Saison ein fragwürdiges Bild ab. Sie verkommt von der Profiliga zur Pleiteliga.
Türkspor Dortmund hat zurückgezogen, der 1. FC Düren Insolvenz angemeldet und der KFC Uerdingen musste jetzt den Spielbetrieb einstellen. Die Liga steht schon länger vor einer Zerreißprobe, eine Reform ist längst überfällig.
Findet auch Niklas Müller, Geschäftsführer von Fortuna Köln. Beim Traditionsklub schaut man mit Ungläubigkeit und Unverständnis auf die Vorkommnisse.
Im ran-Interview spricht Müller unter anderem über das Chaos in der Regionalliga West, Herausforderungen für die Fortuna, strukturelle Probleme und mögliche Lösungen.
Das Wichtigste in Kürze
Regionalliga-Chaos: "Verbandsrechtlich ist das kaum noch nachvollziehbar"
ran: Herr Müller, der KFC Uerdingen ist aus dem Spielbetrieb ausgestiegen, klagt aber per einstweiliger Verfügung für eine Rückkehr. Daneben will man in der Oberliga neu anfangen. Ist das nun das i-Tüpfelchen auf eine ohnehin chaotische Regionalliga-Saison?
Niklas Müller: Man muss sich die grundsätzliche Frage stellen: Wie geht man mit einem Verein um, der mitten in der Saison den Spielbetrieb einstellt? Aus meiner Sicht müssten in solchen Fällen klare Sanktionen greifen – etwa, dass der Verein nicht einfach eine Liga tiefer weitermachen darf, sondern ganz unten neu anfangen muss. Nur so entsteht ein Anreiz, die Saison sportlich zu Ende zu bringen, auch wenn es auf einen Abstieg hinausläuft. Wenn man sich jetzt Türkspor Dortmund anschaut – die waren zur Winterpause sportlich abgestiegen, haben dann einfach abgebrochen, um Geld zu sparen und in der nächsten Saison frisch in der unteren Liga anzugreifen. Genau das halte ich für problematisch. Insofern: Ja, das ist das i-Tüpfelchen auf eine ohnehin chaotische Regionalliga-Saison.
ran: Blicken Sie bei der Lage überhaupt noch durch?
Müller: Verbandsrechtlich ist das kaum noch nachvollziehbar. Früher konnte man mit Blick auf die Spielwertung noch einigermaßen nachvollziehen, was wann wie passiert. Heute ist das extrem komplex. Zum Beispiel: Wenn ein Team wie Düren sich jetzt zurückgezogen hätte – wir haben gegen sie vier Punkte geholt –, hätten wir unter Umständen sogar profitiert. Ab einem bestimmten Zeitpunkt der Saison aber greift die Regel, dass die kommenden Spiele eines zurückgezogenen Teams als Siege für die Gegner gewertet werden, während die bereits absolvierten Partien im Tabellenstand erhalten bleiben. Das führt zu einer ständigen Verschiebung in der Tabelle. Wenn ich aktuell auf die Tabelle schaue, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr genau, was schon berücksichtigt ist und was nicht. Man muss sich mittlerweile genau überlegen, welcher Quelle man überhaupt noch vertraut.
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ran: Hat das Chaos auch direkte Auswirkungen auf Fortuna Köln?
Müller: Ja, durchaus. Intern geht es zum Beispiel um Prämienregelungen für die Mannschaft. Wir honorieren Tabellenplätze unterschiedlich. Wenn durch Spielausfälle aber plötzlich nicht mehr klar ist, auf welchem Platz man eigentlich steht, führt das zu erheblichem bürokratischem Aufwand – nicht nur sportlich, sondern auch finanziell.
ran: Wie peinlich ist diese Entwicklung für die Außendarstellung?
Müller: Wenn wir mit Sponsoren sprechen, sagen wir, Fortuna Köln ist ein Profiverein – nicht nur über die erste Mannschaft, sondern auch über unsere starke Nachwuchsarbeit. Aber dann sagen manche: Was wir über die Regionalliga West hören, hat mit Profibetrieb wenig zu tun. Das schmälert unsere Arbeit und erschwert die Sponsorenakquise, weil Unternehmen sich fragen, ob es negative Folgen für die Außendarstellung hat. Damit haben wir zu kämpfen. Deshalb ist es für uns unzufriedenstellend, wie sich diese Liga in dieser Saison präsentiert hat.
ran: Abgesehen vom Image: Verlieren Sie auch konkret Einnahmen?
Müller: Ja. Jeder Spielausfall bedeutet Einnahmeausfall – etwa durch wegfallende Ticketverkäufe, VIP- und Werbeleistungen. Glücklicherweise haben unsere aktuellen Partner Verständnis und halten uns die Treue. Aber für die Zukunft ist das heikel. Wer heute eine VIP-Dauerkarte kaufen soll, möchte wissen, ob er auch alle Spiele zu sehen bekommt. Fällt ein Spiel aus, sinkt der wahrgenommene Wert. Gleiches gilt für Dauerkarten im Public-Bereich. Und: Ein Dauerkartenkäufer ist für uns nicht nur ein Ticketkäufer, sondern potenziell auch ein wichtiger Fanartikelkunde. Wenn dieser wegfällt, sinkt das Umsatzpotenzial insgesamt. Das betrifft unser ganzes Merchandising-Modell.
ran: Wie bewerten Sie die Lizenzvergabe an den KFC Uerdingen? Warum bekommt der Verein überhaupt die Lizenz, obwohl die Probleme bekannt waren?
Müller: Das zeigt das Hauptproblem: In der Regionalliga gibt es – hart ausgedrückt - faktisch kein echtes Lizenzierungsverfahren durch den Westdeutschen Fußballverband. Man muss neben organisatorischen Dingen wie Stadion und Infrastruktur 35.000 Euro Kaution hinterlegen – zur Absicherung von Verbandsabgaben wie Schiedsrichterkosten. Das war’s im Wesentlichen. Der DFB in der 3. Liga prüft dagegen Bilanzen, Zwischenabschlüsse, Planungen – alles durch Wirtschaftsprüfer belegt. Gibt’s Zweifel beim DFB, werden Auflagen erteilt. Der DFB hat Hebel an der wirtschaftlichen Planung eines Vereins, um den Problemen entgegenzuwirken und um zu verhindern, dass man nicht den Spielbetrieb während der Saison einstellen muss. Man muss das so klar sagen: Die Struktur des WDFV wird der Vereinsstruktur in der Regionalliga West nicht mehr gerecht. Wir sprechen von einer Profiliga, in der die meisten einen riesigen Aufwand betreiben.
Düren: Gelder aus offenbar nicht ganz legalen Quellen
ran: Mit einem solchen Prüfverfahren wären Uerdingen, Düren oder Türkspor gar nicht erst zugelassen worden?
Müller: Das würde ich unterschreiben. In Düren gab es ein Sponsoring mit Geldern aus offenbar nicht ganz legalen Quellen. Da muss man sagen: Da hat der Verband wenig Handhabe, wenn ein Sponsoring-Vertrag in Höhe von 250.000 Euro auf diese Art und Weise platzt. Aber da hat ja weitaus mehr gefehlt. Und in Uerdingen redet man von 150.000 Euro Gehaltskosten monatlich - das liegt weit über dem, was wir bezahlen. Da wurde schlicht nicht professionell gearbeitet. Mit einem echten Lizenzierungsverfahren hätte man viele Risiken erkannt: ungedeckte Sponsorenverträge, unklare Verbindlichkeiten, fehlende Bürgschaften.
ran: Sind das nur Einzelfälle – oder strukturelle Probleme im Unterbau der Profiligen?
Müller: Das sind ganz klar strukturelle Probleme. Die Regionalliga ist eine Art Zwischenliga zwischen dem Amateur-Fußball und absolutem Profifußball, in der du rudern musst. Wenn du sportlich hohe Ambitionen hast und aus der Regionalliga raus willst, brauchst du Drittligastrukturen. Da musst du als Verein einen unfassbaren Aufwand betreiben. Es ist ein Teufelskreis. Ohne Gönner ist dieser Aufwand kaum zu leisten – insbesondere, weil du regional vermarktest und nicht bundesweit sichtbar bist.
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ran: Sportlich läuft es bei der Fortuna – aber wie schafft man diesen Spagat zwischen Erfolg auf dem Platz und finanziellen Herausforderungen im Hintergrund?
Müller: Wir versuchen, ein Sponsoring-Netzwerk aufzubauen, das über den Sport hinausgeht. Unsere Partner sollen auch untereinander Geschäfte machen. So schaffen wir Mehrwert – unabhängig vom Tabellenplatz. Aber klar: Wir konkurrieren mit Klubs wie Duisburg oder Oberhausen, die andere Etats haben. Wir reden bei uns von etwa 2,2 Millionen Euro. Ein Aufstieg würde alleine 1,3 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen durch TV-Gelder und Zentralvermarktung bringen. Das zeigt, wie groß die Kluft ist. Viele Vereine unterschätzen, was nötig ist, um hier dauerhaft zu bestehen. Und unsere Angst ist, dass wenn sich strukturell nichts ändert, dass diese Kluft zwischen Regionalliga und 3. Liga immer größer wird. Sonst wird die Regionalliga tatsächlich zum "Friedhof der Traditionsvereine". Denn es bringt auch nichts, aufzusteigen, nur um im nächsten Jahr direkt wieder runterzugehen.
ran: Wie gehen Sie das wichtige Thema Sponsoring konkret an?
Müller: Unser Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Vertrieb. Die meisten unserer Mitarbeiter arbeiten in der Partnerakquise und -betreuung. Wir veranstalten pro Monat zwei Netzwerktreffen für unsere Sponsoren – zusätzlich zu den Heimspielen. Der Fokus liegt darauf, ein wirtschaftlich tragfähiges Fundament über Sponsoring zu schaffen. Aktuell generieren wir darüber rund 1,5 Millionen Euro pro Saison. Zum Vergleich: Im Merchandising liegen wir bei etwa 200.000 Euro – also noch Welten dazwischen.
ran: Wie gelingt das operativ?
Müller: Wir haben viele Berufseinsteiger, die enorm viel Herzblut und Energie in ihre Arbeit stecken. Jeder bringt eine hohe Emotionalität mit dem Verein gegenüber. Ohne dieses Engagement und dieses Maß an Identifikation wäre das alles gar nicht möglich.
ran: Wie hart ist dieser Weg, wenn man ihn seriös geht?
Müller: Man kann durchaus von einem Überlebenskampf sprechen. Wenn man sich damit zufriedengibt, zwischen Platz sieben und 13 zu pendeln, ist die Regionalliga handelbar. Aber wir haben Ambitionen. Wir wollen mittelfristig aufsteigen. Und da musst du deutlich mehr investieren als der Durchschnitt, um ganz oben mitzumischen – ohne die Einnahmen zu haben, die du erst in der 3. Liga bekommst. Natürlich könnten wir auf einer kleineren Anlage spielen. Aber das ist nicht Fortuna Köln. Wir stehen für ambitionierten Profifußball, wollen mittelfristig 5.000 Zuschauer im Schnitt erreichen. Dazu gehört sportlicher Erfolg – und ein professionelles Umfeld.
Müller: "Dann fehlt da jeglicher Respekt vor dem Wettbewerb"
ran: In Düren gab es viel Kritik an der Aktion mit einem Influencer, der zu einem Probetraining eingeladen hat. Was halten Sie davon?
Müller: Das erinnert mich stark an Formate wie die Kings- oder Icon League. Ich verstehe die Idee, mit Reichweite Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber aus sportlicher Sicht finde ich das sehr schwierig. Wenn ein Trainer wie Dietmar Hirsch vom Tabellenführer MSV Duisburg gegen ein Team spielen muss, das aus Spielern besteht, die zum Teil seit Monaten keinen Ball mehr gesehen haben, dann fehlt da jeglicher Respekt vor dem Wettbewerb, das schmälert den immensen Aufwand, den Spieler und Vereine Woche für Woche leisten. Und sportlich wird das nicht funktionieren.
ran: Im März haben Sie sich auf LinkedIn Luft gemacht – mit deutlichen Worten zur Lage der Regionalliga. Wie war das Echo?
Müller: Durchweg positiv. Wir haben den Zeitpunkt bewusst gewählt: Am 31. März endete die Kündigungsfrist für Sponsoringverträge. Das wollten wir nutzen, um ein Bewusstsein für unsere Situation zu schaffen. Im Verband hat man sich – soweit ich gehört habe – eher bedeckt gehalten. Aber insgesamt hat der Beitrag viele Reaktionen ausgelöst. Auch Spieler wie Angelo Langer, der bei uns war und nun in Uerdingen spielt, haben sich zu Wort gemeldet. Plötzlich war die Perspektive der Spieler, mit Miete, Familie und Gehaltsausfällen, präsent. Da hat sich ein Rad in Bewegung gesetzt.
ran: Sie haben auch den Verband kritisiert. Wie selbstkritisch sind die?
Müller: Ich bin mit einem Verbandsmitarbeiter im Austausch, der selbst sehr kritisch auf die Strukturen blickt. Was mir fehlt, ist echte Kommunikation auf Augenhöhe. Wenn bei Spielabsagen wie zuletzt die einzige offizielle Info eine Mail ist – das ist zu wenig. Man muss doch mit den Vereinen sprechen, sie mitnehmen. Mehr Information und Transparenz würden helfen, Verständnis zu schaffen – auch wenn der Verband für Insolvenzen oder Rückzüge einzelner Klubs nichts kann.
ran: Seit Einführung der 3. Liga 2008/09 haben 20 Klubs in der Regionalliga Insolvenz angemeldet. Braucht es eine Reform?
Müller: Zu 100 Prozent. Es gab nach Corona bereits Überlegungen zu einer zweigleisigen Regionalliga. Damals war die Sorge groß wegen höherer Reisekosten. Aber mittlerweile hat sich die Struktur verändert. Selbst in der Regionalliga tummeln sich Profiklubs mit großem wirtschaftlichem Potenzial. Ich glaube, viele wären heute bereit für eine Reform der Regionalliga.
Regionalliga West: Wie soll es weitergehen?
ran: Wäre eine zweigleisige Regionalliga die Lösung?
Müller: Der erste Schritt wäre aus meiner Sicht: Vier Regionalligen, vier Aufsteiger. Jeder Meister muss direkt hoch dürfen. Darüber hinaus könnte man Playoffs oder Finalrunden einführen – wie im Eishockey oder Basketball. Das schafft zusätzliche Ticketeinnahmen und hält die Spannung hoch. In England ist das längst Standard. Aktuell hast du als Zweiter eine Top-Saison gespielt – und bekommst nichts außer Schulterklopfern. Im Gegenteil: Du hast dann sogar viel Geld ausgegeben für nichts.
ran: Wie optimistisch sind Sie, dass sich strukturell etwas bewegt?
Müller: Tatsächlich bin ich optimistischer als noch vor ein paar Jahren. Früher waren es vor allem Nordost-Klubs, die auf eine Reform gedrängt haben. Mittlerweile sehen auch Vereine aus dem Westen und Südwesten, dass es so nicht weitergehen kann. Das erhöht den Druck auf den Verband. Der Wunsch nach Veränderung ist breiter geworden – und das ist die Grundvoraussetzung für echte Reformen.
ran: Ein zentraler Punkt wäre ein professionelleres Lizenzierungsverfahren in der Regionalliga. Gibt es da konkrete Schritte?
Müller: Aktuell gibt es Überlegungen, dass die Vereine selbst strukturelle Änderungen anstoßen – nicht der Verband von sich aus. Ein Bündnis großer Regionalliga-Vereine könnte dazu beitragen, den Weg für eine Art "Mini-Lizenzierung" frei zu machen. Eine abgespeckte Version des Drittliga-Verfahrens – mit geprüften Planungen, Jahresabschlüssen, Liquiditätsnachweisen. Die Werkzeuge existieren ja längst. Es braucht nur den Willen, sie auf die Regionalliga anzuwenden.