ranNFL-Experte zur Dominanz der New England Patriots
NFL-Kolumne von Sebastian Vollmer: "Tom Brady möchte der Sportwelt etwas hinterlassen"
- Aktualisiert: 04.02.2019
- 23:01 Uhr
- ran.de / Sebastian Vollmer
In seiner Kolumne auf ran.de schreibt der Ex-NFL-Profi und zweimalige Super-Bowl-Champion Sebastian Vollmer über den erneuten Super-Bowl-Sieg der New England Patriots. Er erklärt, was die Franchise aus Massachusetts seit Jahren so erfolgreich macht und was die Konkurrenz in Zukunft möglicherweise dagegen unternehmen kann.
Hi Football-Fans,
die New England Patriots haben es also wieder einmal geschafft. Das Team um Head Coach Bill Belichick und Quarterback Tom Brady hat gegen die Los Angeles Rams zum sechsten Mal seit 2002 den Super Bowl und die begehrte Vince Lombardi Trophy gewonnen.
Für mich ist das eine sportliche Ära, die wir alle in dieser Ausprägung und Dominanz wohl nicht mehr erleben werden. Es ist vergleichbar mit der Zeit der Chicago Bulls und Michael "Air" Jordan in der NBA der neunziger Jahre. So etwas hat es dort seitdem auch nicht mehr gegeben.
Die Patriots gegen den Rest der Welt
Dass die Patriots auch nach dieser Saison wieder ganz oben stehen, überrascht mich nicht wirklich. Ich kenne das Innenleben dieser Franchise, weiß, wie dort gearbeitet und gedacht wird. Deswegen war auch das Schlimmste, was der Konkurrenz in der NFL in den vergangenen Monaten passieren konnte, dass New England von den Medien komplett abgeschrieben wurde. Es war ja zum Teil sogar schon vom Ende einer Dynastie die Rede. Doch es kam ganz anders, die Patriots nutzten diesen verfrühten Abgesang für ihre Zwecke.
Es gibt hier in den USA einen Spruch: "The wolf on top of the mountain is not as hungry as the one climbing it." Auf den Sport übertragen soll das bedeuten, dass es manchmal schon etwas schwierig sein kann, sich immer wieder neu zu motivieren, wenn man schon ganz oben auf dem Olymp ist. Wenn ich als Verfolger aber noch unten stehe, bin ich erfolgshungrig und will mit aller Macht nach oben. Ich entwickele also einen Ehrgeiz, einen unbedingten Willen.
So, wie es die Philadelphia Eagles im vergangenen Jahr mit ihrer von der kompletten Mannschaft gelebten "Underdog"-Rolle und in dieser Saison eben die Patriots gemacht haben. Sie entwickelten irgendwann dieses Gefühl "Wir gegen den Rest der Welt".
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Belichick ein Meister der Motivation
Natürlich auch ein wenig gesteuert von Belichick. Jeden Mittwoch ist bei den Patriots ein Presse-Briefing, bei dem die Spieler mitgeteilt bekommen, was sie am kommenden Wochenende beim nächsten Spiel in der Öffentlichkeit sagen sollen und dürfen. Im Rahmen dessen zeigt der Head Coach der "Pats" dem Team aber auch den aktuellen Pressespiegel und liest diesen in Teilen vor.
Es ist schon vorstellbar, dass Belichick in den vergangenen Monaten nicht selten vorne stand und sinngemäß sagte: "Tom, sie schreiben, du bist viel zu alt. Julian, du lässt ihrer Meinung nach sämtliche Bälle fallen. Und du Chris, bist sowieso viel zu langsam." Das wird immer mal wieder eingestreut, bis sich dieses "Jetzt erst recht"-Gefühl bei den Spielern eingestellt hat. Diese Einstellung, dass sie es ihren Kritikern zeigen wollen.
Ich kann mich selbst noch daran erinnern, dass wir einmal gegen die Miami Dolphins gespielt haben und die sich in ihrer Kabine an die Innenseite der Tür ein Plakat gehängt hatten. Das wurde von einer Kamera noch vor dem Spiel zufällig gefilmt und uns zugespielt. Darauf stand irgendetwas, dass sie uns locker schlagen würden oder so. Jedenfalls zeigte Belichick uns genau dieses Plakat als Extra-Motivation noch vor dem Kickoff dieser Partie. Natürlich wollten wir es den Dolphins dann erst recht richtig zeigen.
Belichick weiß genau, wie man das Beste aus einem Team herausholt. Er ist seit fast 40 Jahren als Coach in der NFL tätig, kennt alle Tricks und Kniffe und ist vielleicht jetzt schon der beste Trainer in der Geschichte der NFL.
Wenn es nur noch American Football gibt
Der Head Coach der Patriots ist ein von seinem Ehrgeiz getriebener Mensch - wie sein Quarterback Brady, auf den ich gleich noch näher eingehen werde. Diese Leute geben mehr oder weniger ihr Leben auf, um in ihrem Sport erfolgreich zu sein. Belichick ist ein Arbeitstier, 20-Stunden-Tage sind die Normalität und zur Not wird halt auch mal auf dem Trainingsgelände übernachtet. Die Möglichkeiten dafür sind ja auch vorhanden. Für Menschen wie ihn gibt es nichts anderes als American Football.
Mein ehemaliger Offensive-Line-Coach bei den Patriots, Dante "Scar" Scarnecchia, ist beispielsweise vor einigen Jahren eigentlich schon in Rente gegangen - doch schon nach zwei Jahren kam er wieder zurück nach Foxborough, weil er mit seinem "normalen" Leben nichts anfangen konnte. Die NFL ist in gewisser Weise schon ein eigener Kosmos und wenn man zu lange darin verbracht hat, fällt es einem schwer, sich wieder in die "normale" Gesellschaft einzugliedern und sich dort zurechtzufinden. Das ist wirklich ein sehr elitärer Kreis.
Wer das nicht selbst erlebt hat, kann das wahrscheinlich nicht so recht nachvollziehen. Ich versuche es mal mit einem Beispiel: Wenn ich damals mit meinen 2,05 Metern und 150 Kilogramm über das Trainingsgelände der Patriots lief, war das ganz normal, unser Defensive End machte sich vielleicht sogar schon Gedanken darüber, wie er im Training gleich an mir vorbeikommen sollte. Bin ich mit dieser Figur aber in ein Cafe oder Restaurant gelaufen, war ich eher ein Freak. Somit fühlt man sich selbst in dieser Team-Umgebung deutlich wohler und verliert so vielleicht auch ein wenig den Bezug zur Realität.
Brady möchte der Sportwelt sein Erbe hinterlassen
Neben Belichick ist natürlich Brady der größte Erfolgsgarant für die Patriots. Wobei das allen anderen Spielern nicht gerecht wird. American Football ist ein Teamsport und da braucht es mehr als nur zwei Spieler, um Erfolg zu haben. Ich denke da zum Beispiel auch an Julian Edelman, Rob Gronkowski, Dont'a Hightower oder viele andere, die auch Woche für Woche absolute Top-Leistungen abrufen. Aber klar, sowohl Belichick als auch Brady sind in der NFL sicherlich die Besten auf ihren jeweiligen Positionen.
Dass das bei dem Quarterback der Patriots auch mit 41 Jahren noch so ist, liegt aus meiner Sicht daran, dass er der Sportwelt etwas hinterlassen möchte, sein persönliches Erbe. Das würde er so zwar niemals sagen, aber ich denke schon, dass genau das noch sein Antrieb ist. All die Auszeichnungen als MVP, All Pro oder Pro Bowler interessieren ihn dabei allerdings nicht - für ihn zählen nur Meisterschaften, also Super-Bowl-Erfolge.
Er hat viel für den Sport und den Erfolg aufgegeben, seine Kinder sind mittlerweile schon recht groß geworden und somit muss es sich für ihn lohnen, sich Jahr für Jahr neu zu quälen. Brady spielt, um zu gewinnen. Nichts anderes. Und Erfolg macht in gewisser Weise süchtig. Wenn du gewinnst, willst du nochmal gewinnen. Dieses Gefühl, im Super Bowl vor 80.000 Menschen in einer Arena und hunderten von Millionen von Menschen vor den heimischen Bildschirmen zu spielen, bekommst du nirgendwo anders. Das hat was von modernen Gladiatoren.
All das treibt Brady nach wie vor an. Er will sich als individueller Sportler möglichst weit von allen anderen absetzen. Jetzt geht es mit bereits sechs Super-Bowl-Ringen am Finger eigentlich nur noch darum, wie viel Abstand Brady in Zukunft noch zwischen sich und den Rest bringen wird.
Brady und Patriots mit Sieger-Gen
Brady hat dieses "Sieger-Gen" in sich, das man nicht so recht erklären kann. Ich bin der Meinung, man hat es oder man hat es eben nicht. Vielleicht entwickelt es sich aber auch ein wenig aus der Erfahrung, die irgendwann in Selbstbewusstsein umschlägt. Denn wie oft hat er beispielsweise im vierten Viertel noch einen entscheidenden Touchdown gebraucht? Und je öfter du diese Aufgaben erfolgreich bewältigst, desto überzeugter wirst du von dir selbst. Brady weiß durch seine enorme Erfahrung haargenau, was er kann - und vertraut darauf. Ohne jeden Selbstzweifel.
Die gibt es eigentlich in der gesamten Franchise nicht. Bei New England herrscht die Überzeugung, dass du jedes Spiel gewinnen kannst. Egal, wie der Spielstand ist. Ich kann mich in meiner Karriere an kein einziges Spiel erinnern, bei dem ich gezweifelt hätte. Der Erfolg bringt dir Selbstsicherheit.
Es ist ein extremer Unterschied, ob du beispielsweise bei den Cleveland Browns spielst, bei denen es in den vergangenen Jahren nicht so gut lief und du als Spieler im Zweifel denkst: "Das Ding verlieren wir sowieso." Oder eben bei einer erfolgsgetriebenen und -verwöhnten Mannschaft wie den Patriots, die mit breiter Brust in jedes Spiel geht und denkt: "Die schlagen wir heute."
Das Warten der anderen
Auch der Umgang mit dem Salary Cap trägt bei New England zum Erfolg bei. Denn zu den Patriots kommen viele Spieler nicht zwingend wegen des Geldes, sondern vor allem weil sie gewinnen wollen. Dafür sind sehr viele bereit, auf Geld zu verzichten. Man muss halt die Entscheidung treffen, ob du drei, vier hochbezahlte Top-Stars in deinem Roster haben willst oder lieber ein durchweg ordentliches, homogenes Team hast, das du als Head Coach noch formen kannst.
Und genau so machen es die Patriots. Sie holen sich junge, talentierte und vergleichsweise günstige Spieler und entwickeln diese durch ihr hartes Training zu Stars. So wie in den vergangenen Jahren bei Edelman oder Gronkowski.
Bleibt die Frage, was die anderen NFL-Teams machen können, um die Patriots vom Thron zu stoßen. So blöd es sich auch anhören mag, aber ich befürchte, dass sie einfach warten müssen, bis Belichick und Brady aufhören. Dann wird in New England alles auf Null gestellt und es beginnt ein Neuaufbau. Dafür waren allerdings die letzten 20 Jahre eine einzige Erfolgsgeschichte.
Wir hören uns am Mittwoch wieder bei unserem Podcast "The Vollmer + Kuhn NFL Show" und hier lasse ich natürlich auch schon ganz bald wieder von mir lesen.
Bis dann,
Euer Sebastian
@vollmerseb
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