Verstrickungen mit der Vereinsführung
Alemannia Aachen im Umgang mit Rechtsradikalen: Zu wenig, zu spät - ein Kommentar
- Aktualisiert: 30.08.2024
- 12:29 Uhr
- Kai Esser
Alemannia Aachen hat ein Problem mit einzelnen Fans aus der rechtsextremen Szene. Nach etlichen fragwürdigen Statements räumt der Klub nun erstmals Fehler ein - doch das darf nur ein Anfang sein.
Von Kai Esser
Es hätte alles so schön sein können in Aachen.
Im April dieses Jahres schaffte Alemannia Aachen nach elf Jahren den Sprung zurück in den Profifußball, den Aufstieg in die 3. Liga. Doch bereits da waberte ein nicht-sportliches Thema über dem Klub: die Nähe zu rechtsextremen Fans. Ganz vorne dabei: Kevin P., der in Aachen nur "Chemo" genannt wird.
Der kooperierte trotz Vorstrafen und Vergangenheit im rechtsextremen Millieu mit dem Klub - weil er eine karitative Einrichtung führte, Obdachlosen Essen ausgab und versprach, "kein Nazi mehr zu sein". Bei der Aufstiegsfeier durfte er gar am Tivoli medienwirksam den Spielball des Aufstiegsspiels über seine Kanäle versteigern.
Der Verein berief sich immer auf eine "zweite Chance", die man ihm geben wolle. "Chemo" jedoch konterkarierte das Leitbild immer wieder, verherrlicht als praktizierender Hooligan Gewalt, sagte auf seinem öffentlichen Instagram-Kanal, dass "Frauen im Stadion nichts zu suchen" hätten, und pflegt weiter Kontakte zu offenen Rechtsextremen.
Nachdem eine Doku der "Sportschau" etliche Missstände aufdeckte, distanzierte sich der Klub von jener Doku und verwies auf Aussagen der Polizei Aachen, wonach es keine rechtsextremen Strukturen im Stadion gäbe.
Das Wichtigste in Kürze
Dieses Statement musste die Alemannia widerrufen - auf Druck der Polizei, wie die "Sportschau" weiter berichtet. Nach monatelangem Ignorieren und Leugnen räumen Geschäftsführer Sascha Eller und Aufsichtsratschef Marcel Moberz in einem Videostatement nun "Fehler" und "Versäumnisse" ein.
Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung im Kampf gegen Rechtsextremismus in Aachen, aber noch längst nicht genug. Und in manchen Teilen nicht klar genug.
Abgrenzung nur über Umwege
Das Statement beginnt etwa mit der Aussage Ellers, dass es im Stadion keinen Rechtsextremismus gäbe. Während durchaus stimmt, dass ausgelebter Rechtsextremismus Niemandem am Tivoli bekannt ist, ist "Chemo" der verkörperte Rechtsextremismus. Dies erneut schönzureden hilft in der Situation, in der der Drittligist steckt, wenig.
"Chemo" selbst sitzt seit Juli übrigens in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet versuchter Todschlag. Spätestens da wäre es für die Alemannia höchste Zeit gewesen, sich proaktiv klar von der Personalie abzugrenzen.
Das ist immerhin im Videostatement gelungen - halbwegs zumindest. "Wir hätten klar und deutlich eingreifen müssen. Das war ein Fehler." Allerdings lassen die Aussagen der Vereinsbosse erneut Interpretationsspielraum zu. Der Inhalt ist richtig - aber nicht klar genug. Die Worte "Wir", "Alemannia", "Distanz" und "Chemo" fallen nicht in einem Satz.
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Hausverbote juristisch nicht tragbar?
"Chemo" und andere polizei- und auch vereinsbekannte Rechtsextreme aus dem Stadion zu verbannen, sei zudem nicht so einfach, wenn man Eller und Moberz glauben kann. Hausverbote aufgrund von "politischen Einstellungen" seien "juristisch nicht haltbar".
Tatsächlich ist die Rechtslage nicht ganz klar. Fußball und die Alemannia speziell sind Kulturgut, das erst einmal jedem zur Verfügung steht. Wenn sich Menschen trotz ihrer gewaltverherrlichenden und frauenfeindlichen Gesinnung am Tivoli den Vorschriften nach benehmen, wäre ein generelles Hausverbot in der Tat in der Schwebe, sollte dagegen geklagt werden.
Dennoch hätten auch hier klarere Worte fallen können, wenn nicht müssen. Anstatt sich auf die Justiz zu verlassen, hätte die Alemannia klar sagen können, alles dafür zu tun, um diese Personen aus dem Stadion zu entfernen. Auch das hätte keine Fragen offen gelassen.
Das gilt nebenbei ebenso für die "Boxstaffel 520". Eine Hooligan-Gruppe, deren Anführer "Chemo" ist. Das soll keinesfalls jedes Mitglied als rechtsradikal einstufen - aber jedes Mitglied toleriert mindestens einen Rechtsradikalen. Ein Fehler, den auch die Führung von Alemannia Aachen gemacht hat.
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Ihren Geburtstag feiert die Gruppierung nebenbei am 20. April - ein bekannter Nazi-Code. Dass es die Verstrickungen zur Ultra-Szene bereits gibt, bewies die Ultragruppe "Yellow Connection" mit einem Banner im vergangenen April, auf dem Glückwünsche zu eben jenem fragwürdigen Geburtstag zu lesen waren.
Alemannia-Präsident in der Kritik
Rekrutierungsversuche, vor denen die Polizei bereits gewarnt hat, gab es also offenbar schon. Im Video-Statement der Bosse wird die offen gewaltbereite und zumindest in Teilen rechtsradikale Hooligangruppe gar nicht erwähnt.
Wie weit sie bereit ist zu gehen, bewies sie mit einem verbalen Angriff auf einen Aachener Lokaljournalisten, der in einem Graffiti aufgrund seiner Berichterstattung offen beleidigt wird.
Bei der nun vollzogenen Kehrtwende des Vereins fehlte Präsident Andreas Görtges übrigens komplett. Der hatte in der Doku der "Sportschau" noch mit allen Mitteln versucht, jede Verstrickung mit Rechts zu leugnen. Offensichtliche Parolen und Tattoos im VIP-Bereich, die der Nazi-Szene zuzuordnen sind, will er nicht gesehen haben. Görtges geriet im Mai bereits in die Kritik, als er bei der Aufstiegsfeier mit Pyrotechnik feierte.
Der Tiefpunkt scheint bei der Alemannia erreicht zu sein, der Klub scheint zumindest den blinden Fleck auf dem rechten Auge identifiziert zu haben. Jetzt gilt es, an die Behandlung dieser Krankheit zu gehen. Das darf erst der Anfang für den Traditionsklub gewesen sein, der eine Bereicherung für den Fußball ist.
Aber nur ohne Rechtsextremisten.