Bundesliga
Thomas Müller beim FC Bayern: Die sechs Phasen einer beeindruckenden Karriere
- Aktualisiert: 02.09.2024
- 17:07 Uhr
- Justin Kraft
Thomas Müller unterstreicht mit seinem 710. Pflichtspiel für den FC Bayern München seinen Legendenstatus. Zeit, die Karriere des Rekordspielers beim FCB nochmal Revue passieren zu lassen.
Thomas Müller hat den FC Bayern München zweifellos geprägt. Zwischen der Saison 2009/10 und heute absolvierte er 15 Spielzeiten für den FCB - allesamt als Stammspieler. Seine geringste Ausbeute an Scorerpunkten? 19 und 20. Jeweils in den vergangenen beiden Spielzeiten.
Sonst kam er immer mindestens auf 25 Torbeteiligungen, in elf Saisons sogar über 30, in vier auf 40 oder mehr. Weltklassezahlen, die eines implizieren: Müller war unglaublich konstant.
Das war er gewissermaßen auch. Und doch unterlag auch seine herausragende Karriere Schwankungen. Schwankungen, die zwischenzeitlich sogar Zweifel aufkommen ließen, ob die erste Hälfte seiner Karriere nicht endgültig Geschichte sei.
Gerade die verschiedenen Phasen seiner Laufbahn zeigen aber umso mehr, warum Müller beim FC Bayern Legendenstatus hat.
Das Wichtigste in Kürze
ran hat sich diese Phasen nochmal genauer angesehen. Hier kommt ein Karriererückblick, der vollgepackt ist mit Highlights, aber auch mit Rückschlägen.
Thomas Müller - Phase 1: Der holprige Sprung nach oben
Sein Debüt feiert Thomas Müller am 1. Spieltag der Saison 2008/09 unter Jürgen Klinsmann. Der damals 19-Jährige spielt seit 2000 in der Jugend des FC Bayern, hat dort in der Saison 2006/07 beinahe die Deutsche Meisterschaft mit der A-Jugend gewonnen. Müller macht mit vielen Toren und Vorlagen auf sich aufmerksam, spielt in Hermann Gerlands Zweitvertretung eine sehr zentrale Rolle.
Obwohl sein Talent sehr deutlich ist, kommt Müller unter Klinsmann aber nicht weiter zum Zug. Im Gegenteil: Ein Wechsel ist plötzlich Thema. "Hoffenheim wollte mich", sagt Müller später im "Kickbase"-Podcast. Der Transfer scheitert aber aus zwei Gründen: "Am Ende ging es um die Ablöse - ein paar Hunderttausend oder so."
Der wichtigste Grund aber ist Gerland, der um das Talent kämpft: "Im Sinne des Vereins und auch in seinem eigenen Sinne, weil er mich in der zweiten Mannschaft behalten wollte." Eine goldrichtige Entscheidung, denn unter dem nächsten Trainer geht Müllers Stern auf.
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Thomas Müller - Phase 2: Der kometenhafte Aufstieg
Louis van Gaal übernimmt in München und prägt schon bald den legendären Satz: "Müller spielt immer." Warum das so ist, muss der Niederländer gar nicht begründen. Die Argumente liefert sein Spieler selbst. Bereits in seiner ersten richtigen Saison kommt er auf 19 Tore und 16 Assists in 52 Einsätzen.
Beinahe holt der FC Bayern das Triple, muss sich im Champions-League-Finale aber Inter geschlagen geben (0:2). Müller fährt anschließend zur WM und wird mit fünf Toren und drei Assists Torschützenkönig und Shootingstar. Seine Karriere kennt nur einen Weg: den nach oben.
Selbst in einer kriselnden Bayern-Mannschaft liefert er in der Saison 2010/11 weiterhin ab: 19 Tore und 19 Assists sind es am Ende einer titellosen Saison. Van Gaal wird im Saisonverlauf entlassen und Jupp Heynckes übernimmt. Auch der neue Trainer weiß den Angreifer aber einzusetzen.
Mal spielt Müller auf dem Flügel, mal im Zentrum. Als Freigeist unterstützt er seine Mitspieler mit Laufwegen, intelligenten Pässen und eigenen Abschlüssen. Der Begriff "Raumdeuter" ist aufgrund seiner unorthodox wirkenden Spielweise längst geboren. Doch unorthodox ist an Müller nichts.
Müller verschenkt Jubiläums-Schuhe an Fans
Im Gegenteil: All seine Aktionen haben Hand und Fuß. Der Bayer weiß genau, was als nächstes passiert und verschafft sich damit einen Vorteil gegenüber seinen Gegenspielern. In einer Zeit, in der die Weltklasse durch technisch anspruchsvollen Fußball geprägt wird, wird Müller häufig unterschätzt - obwohl auch er sehr gut mit dem Ball am Fuß umgehen kann.
Sein Aufstieg in ebenjene Weltklasse gipfelt in einem besonderen Moment am 19. Mai 2012. Müller trifft im "Finale Dahoam" in der Champions League zum vermeintlich entscheidenden 1:0 gegen den FC Chelsea. Die 83. Minute ist wie gemacht für jedes Geschichtsbuch: Ausgerechnet Müller, der aus der eigenen Jugend kommt und in Windeseile zum Publikumsliebling aufstieg, trifft zum Titelgewinn im eigenen Stadion.
Doch es kam anders. Didier Drogba, Arjen Robben, Tränen in München - die Geschichte ist bekannt. Der Moment für sich aber dürfte bis heute einer der größten in Müllers Karriere gewesen sein.
Thomas Müller - Phase 3: Auf dem Höhepunkt seines Schaffens
Zwei titellose Jahre beim FC Bayern? Das lässt man ungern auf sich sitzen. Und so setzt der Rekordmeister zum Gegenschlag an - der es in sich hat. In der Bundesliga marschieren Müller und die Münchner zum Titel, in der Champions League schlagen sie auch dank Müllers Doppelpack und einem Assist den FC Barcelona, um dann den BVB im Finale zu besiegen.
Mit dem Pokal komplettieren die Münchner das historische Triple. Müller ist 24, aber schon jetzt eine Legende. Mit 23 Toren und 17 Vorlagen ist er mit großem Abstand der Topscorer seines Teams. Und noch während er im Sommer die Titel und seine Erfolge feiert, gibt es medial erste Zweifel daran, ob er überhaupt zum neuen Trainer Pep Guardiola passen würde. Was ein weiterer Beleg dafür ist, wie sehr Müllers technische Fähigkeiten zu diesem Zeitpunkt unterschätzt werden.
"Ich bin kein Prototyp eines Pep-Spielers, wie er sie bei Barcelona hatte", sagt Müller später der "Sport Bild": "Was uns beide verband: Wir waren und sind extrem wissbegierig und erfolgshungrig. Pep lernte im Laufe der Zeit, meine Stärken gut einzusetzen und zu nutzen."
Und so liefert Müller in den drei Jahren unter dem Katalanen weiter ab: 40 Torbeteiligungen, 39 und schließlich 45 - er ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens und führt den Rekordmeister von Titel zu Titel. Nur in der Champions League will es nicht mehr über das Halbfinale hinausgehen. Dafür holt er mit dem DFB-Team den WM-Titel 2014 und kommt dabei erneut auf fünf Tore und drei Assists.
Thomas Müller - Phase 4: Erste Zweifel und große Rückschläge
Müller sammelt damals schon Rekorde, überholt in der Champions League mit mehr als 24 Treffern erst Mario Gómez in der ewigen deutschen Torjägerliste und knackt später auch Gerd Müller, der auf 34 Treffer kam. Beim FC Bayern steigt er zudem zum dritten Kapitän auf. Doch im Jahr 2016 gibt es einen Knackpunkt in seiner Karriere.
Im Halbfinale der Königsklasse verschießt der Stürmer einen Elfmeter, gibt auch sonst eine eher unglückliche Figur ab. Die Bayern scheiden aus und verspielen die letzte Chance, den Henkelpott unter Guardiola zu gewinnen.
Plötzlich sind Debatten da: Um Müller, um Guardiola. Bei der EM 2016 spielt der Bayern-Star überwiegend nicht gut, verschießt im Viertelfinale gegen Italien im Elfmeterschießen. Deutschland kommt weiter, verliert dann aber gegen Frankreich.
Nach Handspiel-Elfer: Müller nimmt Schiris in Schutz
Auch unter Carlo Ancelotti werden die Zweifel an Müller eher größer als kleiner. Die Saison 2016/17 ist die erste, in der er nicht zweistellig treffen kann. Neun Tore und 18 Vorlagen sind gut, aber längst nicht mehr sehr gut. Im 4-3-3 des Italieners findet Müller keine passende Rolle mehr für sich.
Als Ancelotti 2017 entlassen wird, soll auch Bayerns Nummer 25 Anteil daran gehabt haben. Es rumort in München - und Müller wird auch in den Folgejahren immer wieder damit in Verbindung gebracht, dass Trainer es mit der bayerischen Kabine schwer haben. Nur unter Jupp Heynckes findet er nochmal annähernd zu alter Form.
Was wiederum zeigt: Trainer, die Müller nicht richtig einzusetzen wissen, haben es schwer, erfolgreich zu sein. Als Kovac übernimmt, bestätigt sich das.
Müller erlebt seine bis dato schwächste Phase. In der Saison 2018/19 reicht es nur zu neun Toren und 16 Assists. Auch nach der schwachen WM 2018 gerät Müller in die Kritik, sodass Joachim Löw ihn aussortiert. Selbst im Umfeld des FC Bayern gibt es erste Stimmen, die kritisieren, dass er nicht mehr der Spieler von früher sei und es an der Zeit wäre, eine Bankrolle zu akzeptieren oder zu wechseln.
Thomas Müller - Phase 5: Das große Comeback
Doch nicht mit Müller. Im ersten Saisondrittel eskaliert 2019 die Situation mit Kovac, der seine Spieler öffentlich bloßstellt. "Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, was man hat", sagt der Trainer damals. Kurz darauf gibt es eine 1:5-Niederlage in Frankfurt - Müllers 500. Pflichtspiel für den FCB - und das Ende von Kovac.
Unter Hansi Flick folgt ein bemerkenswertes Comeback. Müller mausert sich trotz eines schwierigen Saisonstarts zu 21 Bundesliga-Assists - bis heute Rekord. Insgesamt sammelt er 26 Vorlagen in allen Wettbewerben und trifft 14-mal selbst. Die Bayern holen mit dem wiedererstarkten Müller das zweite Triple der Geschichte.
Auch in der Saison 2020/21 knüpft Müller an seine besten Leistungen an, kommt auf 39 Torbeteiligungen und holt mit den Münchnern das Sextuple. Löw ist derart beeindruckt, dass er seinen Ex-Spieler für die EM nominiert - dort gelingt ihm aber auch im dritten Anlauf kein Tor. Gegen England nimmt er gar eine tragische Rolle ein, als er den Ausgleich aus guter Position vergibt.
Thomas Müller - Phase 6: Der "Elder Statesman"
Von da an baut Müller sukzessive ab. Unter Julian Nagelsmann kommt er beim FC Bayern in der Saison 2021/22 nochmal auf 38 Torbeteiligungen, doch eine schwache Winter-WM in Katar und der eine oder andere Champions-League-Auftritt deuten eine absteigende Tendenz an.
Nagelsmann entscheidet sich deshalb in der Saison 2022/23 dazu, Müller häufiger auf die Bank zu setzen. Eine Situation, die auch deshalb für Unruhe sorgt, weil der Spieler sich zunächst schwer damit tut, das zu akzeptieren. Als Nagelsmann im Frühjahr 2023 entlassen wird, gibt es wieder Gerüchte, dass die Beziehung zu Müller ein Problem gewesen sei.
Doch der entwickelt sich spätestens unter Thomas Tuchel zunehmend zum "Elder Statesman". Wovon Nagelsmann später auch als Bundestrainer profitiert. Denn bei der EM 2024 bekommt Müller seinen wohlverdienten Abschied im DFB-Team.
FC Bayern München - Zaragoza, Wanner und Co.: So läuft es für die Leihspieler
In der aktuellen Phase seiner Karriere scheint er akzeptiert zu haben, dass er dem Team und gerade den jungen Spielern von der Bank häufiger helfen kann. Und die Option, auch nochmal ganz groß durchzustarten, ist deshalb ja nicht vom Tisch.
In seinen bisherigen drei Auftritten kommt Müller bereits auf drei Tore und einen Assist. Seine Form passt und schreit fast schon nach einer siebten Phase, die ähnlich wie die fünfte das Wort "Comeback" beinhalten könnte.
Bleibt eigentlich nur die Frage, was Müller nach seiner Karriere tun wird. Aufgrund seines Talents, Mitspieler auf dem Feld zu coachen und wegen seiner kommunikativen Fähigkeiten liegt für viele Wegbegleiter nahe, dass er eines Tages Trainer wird. "Ich glaube, dass er Trainer wird, weil er das Spiel versteht und weil er Bock auf Fußball und Erfolg hat", sagte Toni Kroos beispielsweise bei der EM im Sommer.
Von seinen verschiedenen Trainern konnte Müller jedenfalls genug lernen. Und sie vermutlich auch von ihm.