Champions League
FC Bayern gegen Bayer Leverkusen - Carsten Ramelow: "Frühes Aus wäre eine Katastrophe für Kompany"
- Veröffentlicht: 04.03.2025
- 23:19 Uhr
- Andreas Reiners
Vor dem Achtelfinal-Hinspiel zwischen dem FC Bayern und Leverkusen erklärt Bayer-Legende Carsten Ramelow, wer besser K.o.-Spiele kann, wer den besseren Trainer hat, wie wichtig Harry Kane ist und ob die Münchner reif für das "Finale dahoam" sind.
Das Interview führte Andreas Reiners
Eigentlich ist die Sache für Carsten Ramelow klar:
Die Bayern sind die Bayern, und deshalb werden sie im Achtelfinale der Champions League im Kracherduell mit Bayer Leverkusen (das Hinspiel am Mittwoch ab 21 Uhr im Liveticker) unter dem Strich die Nase vorne haben.
Eigentlich.
Und für den früheren Leverkusener Abwehrspieler ist ebenso klar: Sollten die Bayern im Achtelfinale ausscheiden, "dann gehen die Diskussionen um den Trainer sofort wieder los. Im Pokal sind sie ja schon raus, ein frühes Aus in der Champions League wäre eine Katastrophe", sagte der Bayer-Ehrenspielführer im ran-Interview.
Es gibt aber jemanden, der das Ganze regeln kann: Harry Kane. "Er ist genau der Spielertyp, den man in solchen K.o.-Duellen braucht. Er kann aus dem Nichts ein Spiel entscheiden – genau wie ein Zidane damals im Champions-League-Finale 2002."
Im Gespräch mit ran äußert sich Ex-Nationalspieler Ramelow nicht nur über Kane und Kompany, sondern auch über nervige Vize-Fragen, feierwütige Berliner Amateure und die jüngste Entwicklung bei Bayer.
Das Wichtigste in Kürze
Carsten Ramelow: "Vize? Ich sehe das positiv!"
ran: Carsten Ramelow, Sie wurden viermal deutscher Vizemeister, zweimal Vize-Pokalsieger, dazu kommen 2002 ein verlorenes Champions-League- und WM-Finale. Können Sie das Wort Vize noch hören?
Carsten Ramelow: Ja, klar. Der Begriff begleitet mich ja nicht erst seit gestern. Ich musste ihn zu meiner aktiven Zeit oft hören, aber ich habe kein Problem damit. Ganz im Gegenteil, ich sehe das positiv.
ran: Warum?
Ramelow: Ich sehe es so, dass ich stolz bin, überhaupt dabei gewesen zu sein. Zweiter zu werden, bedeutet, dass man sehr weit gekommen ist – und das gelingt nicht vielen Fußballern. Natürlich ist es im Moment der Niederlage bitter, das bleibt nicht aus. In den Tagen oder Wochen danach schmerzt es besonders. Aber je länger die Karriere zurückliegt, desto besser kann man damit umgehen. Deshalb sehe ich das heute mit einem positiven Blick – auch wenn es damals wehtat.
ran: Die Niederlage mit den Hertha-Amateuren 1993 im Pokalfinale gegen Leverkusen kam auch noch hinzu…
Ramelow: Die Zeit bei den Hertha-Amateuren war generell eine meiner schönsten im Fußball. Es war im Vergleich zur Profizeit einfach viel entspannter. Wir hatten zwar einige Spieler mit Profiverträgen oder Erfahrung im Profibereich, aber es blieb trotzdem locker. Die gesamte Pokalreise war ein Highlight – und selbst das verlorene Finale war eine tolle Erfahrung. Natürlich war da kurz eine gewisse Enttäuschung, aber wir haben sehr schnell realisiert, was wir da erreicht hatten. Wir haben beim Feiern genauso Gas gegeben wie die Leverkusener. Diese Zeit werde ich nie vergessen. Besonders die Vorbereitung auf dieses Finale war einzigartig.
ran: Das Champions-League-Finale 2002 ging ebenfalls verloren. Trotzdem: War das Leverkusener Team damals die beste Mannschaft der Vereinsgeschichte?
Ramelow: Viele würden jetzt argumentieren, dass das Team von letztem Jahr die beste Leverkusener Mannschaft war, schließlich haben sie den ersten Meistertitel und den Pokalsieg geholt. Aber wenn es um den Mix aus Qualität und Charakteren geht, dann war unser Team damals etwas ganz Besonderes. Für mich persönlich macht Fußball mehr aus als nur Erfolg. Früher gab es noch klar definierte Rollen: den klassischen Spielmacher, den Knipser, den Arbeiter – so wie ich es war – den Abräumer in der Defensive und den vielleicht etwas verrückten Torwart, der Elfmeter schießen konnte und gleichzeitig ein herausragender Rückhalt war. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Aber was unbestritten bleibt: Unsere Mannschaft damals hatte eine enorme Qualität und gehört sicher zu den besten Teams, die Leverkusen je hatte.
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ran: Hat die Mannschaft das Wort "Vizekusen" damals gestört oder genervt?
Ramelow: Innerhalb der Mannschaft war das eigentlich nie ein großes Thema. Natürlich hat es am Anfang ein wenig genervt, aber man muss auch sehen, dass Begriffe wie dieser in den Medien und bei den Fans entstehen. Irgendwann lernt man, das Ganze mit Humor zu nehmen. Ich erinnere mich an ein Zitat von Diego Simeone: "Wenn du ein Finale spielst, musst du dich darauf einstellen, dass du es auch verlieren kannst." Da steckt viel Wahres drin. Ich habe diese Erfahrung gemacht – leider gleich viermal im Jahr 2002.
Bayer Leverkusen: "Eine sensationelle Entwicklung"
ran: Bayer hat diesen "Vize"-Makel in der vergangenen Saison eindrucksvoll abgelegt. Wie sehen Sie die Entwicklung Ihres Ex-Klubs?
Ramelow: Das vergangene Jahr war überragend – unglaublich schön und wahnsinnig erfolgreich. Aber Leverkusen war schon vor meiner Zeit ein Top-Klub, dann in meiner aktiven Zeit, und das ist auch nach meinem Karriereende so geblieben. Der Verein ist gut geführt, arbeitet ruhig und strukturiert, und das hat sich langfristig ausgezahlt. Natürlich war es längst überfällig, dass sie sich endlich mit dem Meistertitel belohnen. Dass dann noch der Pokalsieg dazugekommen ist, hat das Ganze perfekt gemacht.
ran: Und in dieser Saison?
Ramelow: Trainer Xabi Alonso hat es geschafft, die Mannschaft erneut ans Limit zu bringen. Da muss man den Hut vor ziehen. Man merkt, dass viele Fans vielleicht erwartet haben, dass Leverkusen jetzt gleich alles gewinnt – Champions League, Meisterschaft, Pokal. Aber ich sage immer: Nicht vergessen, wo ihr herkommt und wo ihr jetzt steht. Das ist weiterhin eine sensationelle Entwicklung.
ran: Rein theoretisch sind ja noch alle Titel möglich…
Ramelow: Ja, genau. Noch ist alles drin. Aber selbst wenn sie keinen Titel holen, muss man anerkennen, was sie leisten. Dass sie dieses hohe Niveau halten, ist großes Kino.
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ran: Wie nachhaltig kann dieser Status als Spitzenteam sein?
Ramelow: Die entscheidende Frage ist: Was passiert mit Alonso? Es wäre absolut verständlich, wenn er irgendwann eine neue Herausforderung sucht. Dass er überhaupt in dieser Saison noch geblieben ist, ist schon ein Gewinn für Leverkusen. Wenn er bleibt und der Großteil der Mannschaft zusammengehalten werden kann, dann ist Leverkusen für mich hinter Bayern der erste Titelkandidat. Die anderen Top-Teams wirken derzeit zu unsicher. Langfristig kann ich mir vorstellen, dass Leverkusen sich als echte Konkurrenz zu Bayern etabliert.
ran: Es wird auch darauf ankommen, was Florian Wirtz macht. Karl-Heinz Rummenigge hat sich kürzlich für die Verpflichtung ausgesprochen. Sie sind Präsident der Spielergewerkschaft VDV. Was würden Sie Wirtz raten, was er tun soll?
Ramelow: Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die ihm niemand abnehmen kann. Er hat eine enge Beziehung zu seiner Familie, und sein Vater ist sein Berater. Das wird am Ende der entscheidende Faktor sein: Wie bewertet er seine Situation gemeinsam mit seinen engsten Vertrauten? Von außen kann man argumentieren: "Jetzt zu Bayern wechseln, wer weiß, wann diese Chance wiederkommt?" Oder man sagt: "Bleib noch in Leverkusen, werde dort zum echten Führungsspieler und entwickle dich weiter." Oder er geht ins Ausland, zu einem Topklub. Am Ende kann das nur er entscheiden.
Florian Wirtz - Geld spielt immer eine Rolle
ran: Was glauben Sie persönlich, wie er sich entscheiden wird?
Ramelow: Geld spielt natürlich immer eine Rolle – das war zu meiner Zeit auch nicht anders. Aber es sollte nie der alleinige Grund für einen Wechsel sein. Ein Spieler wie Wirtz wird ohnehin gut verdienen, egal wo er spielt. Wichtiger ist, dass er sich wohlfühlt und eine Umgebung hat, in der er sich bestmöglich weiterentwickeln kann. Berater sehen so eine Situation oft anders, weil sie auch finanzielle Interessen verfolgen. Ich kann nur raten, dass er auf sein Bauchgefühl hört, auf sein Herz. Ich habe das in meiner Karriere genauso gemacht.
ran: Ist der FC Bayern denn aktuell wieder die unumstrittene Nummer eins in Deutschland?
Ramelow: Trotz allem ja. Wenn man sich die letzten Jahre anschaut, ist Bayern einfach das Maß der Dinge. Ich bin mir sicher, dass sie auch in der kommenden Saison wieder eine absolute Topmannschaft haben werden. Das erfolgreiche Jahr von Leverkusen ändert daran nichts fundamental. Schade ist eher, dass andere Teams derzeit nicht die Konstanz haben, um Bayern auch mal herauszufordern.
ran: Wie sehen Sie die Arbeit von Trainer Vincent Kompany?
Ramelow: Er benötigt sicher noch Zeit, um seine Ideen umzusetzen. Ich hoffe, dass er diese Zeit auch bekommt, denn er hat bereits gezeigt, dass er ein talentierter, junger Trainer ist. Bei einem Verein wie Bayern mit so vielen Stars zu arbeiten, ist eine Herausforderung, das darf man nicht unterschätzen. Bis jetzt macht er das aber sehr gut. Wenn man die nötige Ruhe in den Verein bekommt, wird Bayern in den kommenden Jahren weiterhin die Nummer eins in der Bundesliga bleiben.
ran: Im Achtelfinale der Champions League treffen beide aufeinander. Worauf wird es in diesen 180 oder mehr Minuten ankommen?
Ramelow: Aus Leverkusener Sicht wird es eine richtig schwere Aufgabe. Natürlich haben sie in der Liga zuletzt eindrucksvoll gezeigt, dass sie Bayern zu Hause dominieren können. Aber ein Champions-League-Achtelfinale ist nochmal eine andere Nummer. Und dann kommt es natürlich auf die Tagesform an. Wenn Leverkusen in München früh in Rückstand gerät oder die Bayern mit ihrer Effizienz auf einmal zwei, drei Tore vorlegen, kann es schon fast unmöglich werden, das im Rückspiel noch zu drehen. Deshalb wird es für Leverkusen entscheidend sein, in München ein möglichst enges Ergebnis zu holen. Dann ist für sie alles drin.
ran: Was glauben Sie: wer kann K.o. besser?
Ramelow: Ich glaube, dass es für Bayern eine riesige Chance ist, in diesem Wettbewerb besonders weit zu kommen. Und sie haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie genau dann da sind, wenn es darauf ankommt – das ist einfach "bayernlike". Deshalb sehe ich sie in den beiden Spielen leicht im Vorteil. Sie haben die Erfahrung, sie wissen, wie man in der Champions League solche Duelle gewinnt. Am Ende glaube ich, dass Bayern einen Tick voraus ist und sich durchsetzen wird. Entscheidend könnte Kane dabei sein. Besonders ein Spieler wie er kann in so einem Duell den Unterschied machen.
Xabi Alonso oder Vincent Kompany: Wer hat die Nase vorne?
ran: Was macht Kane so wichtig?
Ramelow: Er ist genau der Spielertyp, den man in solchen K.o.-Duellen braucht. Er kann aus dem Nichts ein Spiel entscheiden – genau wie ein Zidane damals im Champions-League-Finale 2002. Solche Spieler kannst du nicht komplett ausschalten. Diese Qualität hat in der Bundesliga kein ein anderer Klub. Bayern hat mit Kane noch eine ganz andere Dimension im Angriff. Und auch in der Breite ist Bayern ein bisschen besser aufgestellt als Leverkusen. Das könnte am Ende den Unterschied machen.
ran: Alonso ist ungeschlagen gegen die Bayern, er konnte Kompany zuletzt auscoachen. Welcher Trainer hat im direkten Duell die Nase vorne?
Ramelow: Die Statistik ist schön, die kann man auch mit in das Spiel nehmen, aber ob sie so entscheidend ist, glaube ich eher nicht. Die Bayern haben eine hohe Qualität und sind jederzeit in der Lage, immer wieder nachzulegen. Für Kompany ist das eine harte Aufgabe, die er stark meistert, man hat ja gesehen, wie schwer sich Julian Nagelsmann oder Thomas Tuchel getan haben. Alonso hat mit Leverkusen nicht nur die Meisterschaft gewonnen, sondern in dieser Saison bewiesen, dass die Mannschaft das hohe Niveau halten kann. Beide Trainer spielen für mich aktuell in derselben Liga.
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ran: Die Bayern träumen vom "Finale dahoam". Sind sie reif dafür?
Ramelow: Jetzt beginnt die heiße Phase mit den K.o.-Spielen – und genau das war schon immer eine der großen Stärken der Bayern. Der Verein, die Spieler – alle wissen, was in diesen Spielen gefragt ist. Natürlich haben sie in dieser Saison nicht immer vollends überzeugt. Die Champions League ist für den Klub das Maß aller Dinge. Die Spieler spüren den Druck, aber die Mentalität macht sie gefährlich. Denn das ist Bayern München: Wenn sie die Runde überstehen, dann ist mit ihnen auf jeden Fall zu rechnen. Wenn ein Klub weiß, worum es geht und wie es geht, dann der FC Bayern.
ran: Allerdings haben die Bayern in diesen Wochen der Wahrheit auch das deutlich größere Enttäuschungspotenzial, oder?
Ramelow: Ja, ganz klar. Sollten sie im Achtelfinale ausscheiden, dann gehen die Diskussionen um den Trainer sofort wieder los. Im Pokal sind sie ja schon raus, ein frühes Aus in der Champions League wäre eine Katastrophe. Dann bleibt nur die Meisterschaft – und das ist für Bayern mehr ein Pflichtprogramm. Leverkusen dagegen kann das Spiel entspannter angehen. Sie haben weniger Druck und können befreit aufspielen.
ran: Sie glauben also, dass im Falle eines Ausscheidens die Trainer-Diskussionen wieder losgehen?
Ramelow: Ja, definitiv. Es kommt auch darauf an, wie das Team auftritt und wie das Ausscheiden zustande kommt. Aber sollte Bayern gegen Leverkusen deutlich scheitern, werden sofort Fragen aufkommen wie: "Erreicht der Trainer die Mannschaft noch?". Es ist eine heikle Situation, auch durch die vielen Trainerwechsel in den letzten Jahren. Der Druck herrscht im ganzen Verein, und der Trainer kommt schnell in die Diskussion, und das dürfte bei einem Aus auch so sein. Aber: Jetzt hat man einen guten Trainer geholt, man merkt, dass es passt. Und dann muss man ihm auch bei einem Aus die Chance geben, das über zwei, drei, vier Jahre zeigen zu können.