pure unterhaltung oder zu naiv?
FC Barcelona: Debatten über den Spielstil! Warum sich Hansi Flick niemals ändern sollte
- Veröffentlicht: 28.02.2025
- 15:18 Uhr
- Justin Kraft
Hansi Flick liefert mit dem FC Barcelona zuverlässig Spektakel. In Spanien wird nun aber darüber diskutiert, ob er auch Titel liefern kann. Eine kommentierende Analyse.
Man möchte Hansi Flick aus der Ferne eigentlich nur eines zurufen: Never change! Bitte verändere dich und deine Idee von Fußball nicht. Das 4:4 zwischen dem FC Barcelona und Atletico Madrid im Halbfinal-Hinspiel der Copa del Rey war ein weiterer Beleg dafür – mit allen Pro und Contras, die den Trainer schon lange begleiten.
Aus einem 0:2-Blitzrückstand machten die Katalanen eine 4:2-Führung, um am Ende dann doch noch 4:4 zu spielen. Es war ein Spiel voller Highlights, eines, für das die Zuschauerinnen und Zuschauer vermutlich gern bezahlt haben, so sie sich denn vom bloßen Ergebnis lösen können.
Und genau das löst gerade eine Debatte in Barcelona und ganz Spanien aus. Flick sorgt für Unterhaltung, liefert zuverlässig Spektakel mit seiner Mannschaft. Aber wird er am Ende der Saison auch große Titel liefern?
FC Barcelona: Debatten um Hansi Flick
"Es stellt sich heraus, dass die Puristen, die so sehr die Fahne des Spektakels hochgehalten haben, sich jetzt die Haare raufen", heißt es in einem Kommentar der "AS" mit Bezug auf die hohe Defensivlinie bei einer 4:2-Führung. "Es war zu einfach", gab auch Flick auf der Pressekonferenz nach dem Spiel zu, als er über die Gegentore sprach.
Das Wichtigste in Kürze
Barcelona hat in dieser Saison 43 Gegentreffer in 37 Pflichtspielen in Liga, Pokal und Champions League kassiert – 13 davon ab der 75. Minute. Das macht immerhin etwas mehr als 30 Prozent aller Gegentore aus. Der Vorwurf, den Flick schon aus Zeiten beim FC Bayern kennt: Barça spielt zu stur, bleibt immer auf dem Gaspedal und ist gerade bei Führungen zu anfällig und offen für Gegenstöße.
Interessant ist dabei auch, dass sich ein Muster in der Entstehung vieler Gegentreffer beobachten lässt. Einerseits ist hinter der hohen Kette so viel Raum, dass oft ein langer Ball oder ein gezielter Steckpass ausreichen, um die Defensive zu knacken. Außerdem fokussiert sich Flick derart stark darauf, das Zentrum zu verteidigen, dass die Flügel extrem offen für Verlagerungen sind.
Gerade mit der ballfernen Verteidigung haben Flick-Mannschaften ihre Probleme. Das betrifft auch das Verteidigen des zweiten Pfostens bei Flanken – wie beim 1:0 von Atletico am Dienstag.
Einen Teil dieser Gegentore muss man unter dem typischen Systemrisiko abstempeln, doch dass Flick nach all den Jahren immer noch zulässt, dass ihm Seitenverlagerungen derart um die Ohren fliegen, ist bemerkenswert. Auch andere Teams pressen in der Regel hoch und spielen offensiv, finden aber dennoch Lösungen, die Abwehr möglichst stabil zu halten. Flick gelang das bisher nicht.
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Ein gutes Beispiel ist der FC Bayern, der ebenfalls damit zu kämpfen hat, sein hohes und mannorientiertes Pressing auszubalancieren. Trotz einiger Kritik am Spielstil von Vincent Kompany stellen die Bayern in den Top-5-Ligen aber mit 19 Gegentoren die zweitbeste Defensive nach Atletico (16) und kommen laut dem Datenportal "FBref" mit 15,4 expected Goals against (xGa) auf den mit Abstand besten Wert – lassen also in Summe die geringste Chancenqualität zu.
Barcelona wiederum hat 25 Gegentore in der Liga kassiert, was in den Top-5-Ligen Platz 15 bedeutet. Bei den xGa kommen sie auf 28,5 – Platz 26. Und das, obwohl sie mit 8,4 Schüssen pro 90 Minuten die drittwenigsten aller Mannschaften in den Top-5-Ligen zulassen (Bayern kommt auf 5,78).
0,13 zugelassene xG pro Schuss (ohne Elfmeter) sind gemeinsam mit elf anderen Teams sogar der schlechteste Wert. Bedeutet also: Flicks Barcelona lässt viele sehr gute Abschlüsse des Gegners zu und hat definitiv ein Defensivproblem.
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Doch wie wichtig ist es, die Defensive in den Fokus zu stellen, wenn man auch über ganz andere Zahlen sprechen kann? Barça schießt derzeit im Schnitt rund drei Tore pro Spiel. 2,28 xG ohne Elfmeter sind nach Paris Saint-Germain (2,46) der zweitbeste Wert in den Top-5-Ligen. 0,14 xG pro Schuss (ohne Elfmeter) sind ebenfalls der zweitbeste Wert.
Barça ist eine absolute Offensivmaschine, traf in acht Champions-League-Spielen bisher 28-mal. Sie überrannten den FC Bayern mit 4:1, schlugen Real Madrid bereits zweimal deutlich. Mit Paris und den Münchnern (jeweils knapp über 18) gibt es nur zwei Teams in den europäischen Top-Ligen, die mehr Abschlüsse pro 90 Minuten haben als die Katalanen (16,3).
Nur zweimal in dieser Saison traf Barcelona nicht. Dafür erzielte man 17-mal vier Tore oder mehr – zweimal sogar sieben. Mit Benfica, den Bayern oder Madrid bekamen das auch namhafte Gegner zu spüren.
Europa guckt wieder auf den FC Barcelona
Man sollte nicht vergessen, wo dieses Barcelona herkommt. Noch vor wenigen Jahren überrannte Flick sie mit dem FC Bayern und gewann mit 8:2. In Europa spielte Barça prinzipiell gar keine besondere Rolle mehr. Finanzielle Not zwang den Klub dazu, wieder mehr auf die eigene Jugend zu setzen – mit Erfolg.
Flick scheint genau den richtigen Draht zu diesen Spielern gefunden zu haben. Auch, weil er ihnen die Angst nimmt. Vielleicht ist genau das die größte Stärke seines Spielstils. Die Furchtlosigkeit, mit der sich die Bayern unter ihm von Titel zu Titel spielten, war beeindruckend.
Man könnte fast sagen, dass Flick die Defensivschwächen egal sind. Dass es ihn nicht interessiert, ob Benfica vier Tore schießt. Dann schießt sein Team eben fünf. Und genau an dieser Stelle entfalten sich die Debatten: Wäre es nicht klüger, zumindest manchmal einen Gang herauszunehmen und tief zu verteidigen?
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Die Antwort ist: vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wer kann das schon mit Sicherheit beantworten? Es ist zumindest denkbar, dass ein Gegner auch von einer tieferen Spielweise profitieren kann, weil er Zeit am Ball bekommt und Barça es nicht gewohnt ist, am eigenen Strafraum zu verteidigen.
Nicht immer muss die Schlussfolgerung aus einer negativen Beobachtung sein, dass das Gegenteil besser wäre. Oft ist das aber der leichteste Weg – zumal sich solche Thesen ohnehin weder belegen noch widerlegen lassen.
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Am Ende unterliegt auch Flick dem Druck, dass Spitzenteams große Titel gewinnen müssen. Ob eine Debatte zu simpel ist oder nicht, spielt dann keine Rolle. Doch nüchtern betrachtet lässt sich festhalten, dass der FC Barcelona so nah an diesen Titeln dran ist, wie schon lange nicht mehr.
Und wie langweilig wäre diese Fußballwelt, wenn alle Teams in der Champions League ihren Fokus auf die Defensive legen würden? Nur, weil es der Konsens der vermeintlichen Pragmatiker ist. Da ist es doch geradezu erfrischend, dass Flicks Barcelona das tut, wofür die Fans so viel Geld ausgeben: Unterhaltung bieten.
Für dieses Barça gehen Menschen gerne ins Stadion. Schon deshalb, weil man nie vorhersagen kann, was passiert. Chaos, Furchtlosigkeit und eine kleine Prise Übermütigkeit – das ist die Mischung, aus der Flicks Fußball gemacht ist.
"Das ist eine Industrie des Spektakels und der Emotionen", schrieb die "AS": "Dies ist ein Barça ohne Kurven und ohne Masken, 100 % Flick. Ein ständiger Herzanfall zwischen Ekstase und Drama für die Menschen." Es ist trotz aller Schwächen der Kern dessen, was Fußball ausmacht. Und vielleicht gelingt es Flick ja noch ein weiteres Mal, Europa in einem Sturmlauf zu erobern.