La Liga
FC Barcelona und Hansi Flick: Die Abkehr von der Cruyff-Kathedrale?
- Veröffentlicht: 03.03.2024
- 17:53 Uhr
- Justin Kraft
Hansi Flick soll beim FC Barcelona der Top-Kandidat auf die Nachfolge von Xavi sein. Für Barça wäre das eine weitere Abkehr von der Philosophie, die einst durch Johan Cruyff und Pep Guardiola geprägt wurde. Ein großer Schritt – aber auch der richtige?
Hansi Flick hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Trainerkarriere hingelegt. Einst als Co-Trainer von Joachim Löw noch mitverantwortlich für den WM-Titel des DFB-Teams 2014, heuerte er 2019 beim FC Bayern München an. Zunächst als Assistent von Niko Kovac, später als sein Nachfolger.
Beim FCB startete Flick auf bemerkenswerte Art und Weise durch, entwickelte sich vom Interims- zum Cheftrainer, der in einer durch Corona geprägten und deshalb besonderen Saison das Triple gewann und noch das historische Sextuple nachlegte.
So schnell Flick kam, so schnell verschwand er auch wieder. 2021 rief das DFB-Team und der heute 59-Jährige erfüllte sich den Traum, Bundestrainer zu werden. Der weitere Verlauf ist bekannt: Ein frühes Aus bei der WM in Katar, weitere Misserfolge in Test- und Nations-League-Spielen – Flick wurde bald durch Julian Nagelsmann ersetzt.
Seitdem ist er ohne Job. Das könnte sich allerdings bald ändern. Laut "Sky" ist der FC Barcelona nicht nur interessiert an ihm, es soll sogar schon Gespräche geben. Präsident Joan Laporta habe Flick schon sehr lange im Blick, dementsprechend sei er sogar der Top-Kandidat für die Nachfolge von Xavi.
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Der wird den FC Barcelona am Saisonende verlassen. Und Flick? Stimmt der Bericht, ist er offen für eine Zusammenarbeit mit den Katalanen. Es wäre für beide Seiten ein interessanter, aber auch risikoreicher Schritt.
FC Barcelona: Ein stolzer und besonderer Klub
Schon in den vergangenen Jahren hatte sich der FC Barcelona zunehmend von jenem Fußball entfernt, der die größten Erfolge der Vereinsgeschichte einbrachte: Juego de Posicion, in Deutschland als Positionsspiel bekannt. Johan Cruyff gilt als Vorreiter dieses Stils. Trainer wie Louis van Gaal und Pep Guardiola arbeiteten auf Grundlage der von ihm gelegten Basis daran, die Philosophie jeweils in die damalige Zeit zu transferieren.
Die Erfolge sind bekannt. Cruyff sicherte den Katalanen 1992 den ersten Titel im Europapokal der Landesmeister jemals. Außerdem legte er den Grundstein der bis heute berühmten Jugendakademie La Masia. Hinzu kamen zahlreiche nationale Titel, der Europapokal der Pokalsieger und der UEFA Super Cup.
Pep Guardiola prägte die bisher erfolgreichste Ära des FC Barcelona, gewann 2009 und 2011 die Champions League und ließ einen Fußball spielen, der weltweit für Begeisterung sorgte. "Cruyff baute die Kathedrale. Wir halten sie nur instand", erklärte Guardiola einst. Bis heute sind sie in Barcelona stolz auf das, was sie sich fußballphilosophisch aufgebaut haben, wofür sie stehen und wie klar ihre Identität bei allen Mannschaften zu erkennen ist – oder zumindest erkannt werden soll.
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FC Barcelona: Die Cruyff-Kathedrale bröckelt
Denn seit Guardiola gab es nicht mehr viele Trainer, die in der Lage waren, Cruyffs Kathedrale instand zu halten. Am ehesten noch Luis Enrique, der 2015 mit dem Offensivtrio Messi, Neymar und Suarez die Königsklasse als letzter Barca-Coach gewann.
Mit Ernesto Valverde, Quique Setien, Ronald Koeman und Sergi Barjuan folgten Trainer, die allesamt entfernt etwas mit Ballbesitzfußball angestrebt haben, mit dem einstigen Glanz des Positionsspiels aber nichts mehr zu tun hatten. "Mes que un club", mehr als ein Verein – so steht es breit im Camp Nou geschrieben. Unter diesen Trainern war Barcelona aber nur noch ein Verein. Einer von vielen.
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Langweiliger, statischer, wenig inspirierter Fußball, der abhängig von den Launen eines Lionel Messi war. Als der Argentinier Barcelona wegen finanzieller Probleme verlassen musste, fing die Kathedrale endgültig an zu bröckeln.
Xavi wurde schließlich als große Hoffnung inszeniert. Als schillernde Erinnerung an die großen Zeiten. Doch auch er merkte schnell, dass Barcelona irdisch geworden ist und der Kader an Qualität eingebüßt hat. Selbst Xavi, einst das Hirn der erfolgreichen Barca-Mannschaft unter Guardiola, wich über weite Strecken von der Philosophie des Klubs ab. Pragmatismus für Ergebnisse sagen die, die es gut mit ihm meinten. Er kann es nicht besser, sagen seine Kritiker.
Hansi Flick: Der Anti-Cruyff
Cruyff prägte einst einen Satz, den auch Guardiola mehrfach rezitieren sollte: "Wenn wir den Ball haben, kann der Gegner nicht treffen." Geduld, viele Kurzpässe, sich den Gegner zurechtlegen, diszipliniert und trotzdem dynamisch Räume besetzen und den Gegner laufen lassen – das alles sind Komponenten seines Fußballs.
"Wenn du schneller spielen willst, kannst du schneller laufen", sagte er einst: "Aber eigentlich bestimmt der Ball immer die Geschwindigkeit des Spiels." Mit Cruyff oder Guardiola wurde Fußball philosophisch. Verpflichtet Barca nun wirklich Hansi Flick, wäre das womöglich der größte Stilbruch der jüngeren Klubgeschichte. Flick ist so etwas wie der Anti-Cruyff.
Das Philosophischste, das der Deutsche je vollbracht hat, dürfte die Analogie zu den Graugänsen sein, die das DFB-Team bei der WM 2022 motivieren sollte. Eine Dokumentation von "Prime Video" gewährte tiefe Einblicke in die Arbeitsweise des Trainers.
Schon bei den Bayern war diese im taktischen und strategischen Bereich nicht besonders tiefgreifend. Flick setzt auf seine zwischenmenschliche Beziehung zu den Spielern und sehr einfache taktische Vorgaben. In München gelang es ihm, einer verunsicherten Mannschaft die Angst vor Fehlern zu nehmen und ließ sie einen fast schon absurd offensiven Fußball spielen.
Athletisch, schnell, risikoreich und in vielen Phasen unkontrolliert – genau das, was Trainer wie Cruyff damals und Guardiola heute vermeiden wollen, weil das Risiko besteht, die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Flick ist das egal. Er ist gnaden- und kompromisslos in seiner Idee. Das gilt für den Erfolgsfall wie für den Misserfolg.
Hansi Flick könnte es allen beweisen
Beim FC Bayern lief es zunächst überragend. Flick überrollte in der Champions League den FC Chelsea, beim Turnier in Lissabon später unter anderem den FC Barcelona und sicherte den Münchnern den bislang letzten Titel in der Königsklasse. Auf diesen Höhepunkt folgte ein langsamer Abstieg mit den Münchnern. Zwar gewann er weitere prestigeträchtige Titel, doch der die Defensive nahezu ignorierende Offensivfußball wurde wie ein Bumerang zum Problem.
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Konteranfälligkeit, viele Gegentore, ein bisweilen ideenloses Spiel, wenn die Gegner tief verteidigten – sein System hatte Lücken. Und Flick war kaum bereit, Anpassungen vorzunehmen. Immer weiter vorne drauf. Irgendwann wird der Knoten schon platzen. Dass er letztendlich nicht wegen Misserfolg ging, sondern weil er sich mit Hasan Salihamidzic stritt und der DFB ihn rief, kam seinem Ruf zu Gute.
Als Bundestrainer stieß Flick aber schnell an seine Grenzen. Sein Kader war individuell deutlich schwächer, seine Idee vom gnadenlos offensiven Fußball ließ sich nicht umsetzen. Und die Alternativen? Die funktionierten allesamt nicht. Flick braucht für den Erfolg eine besondere Dynamik, das Vertrauen der Spieler in ihn und sich selbst und eine gewisse Grundqualität. In Barcelona hätte er mehr Freiheiten beim DFB, wohl aber keinen besseren Kader als in München.
Allerdings könnte er allen beweisen, dass die Titelflut in München kein Resultat vieler glücklicher Zufälle war. Nicht der sich aus den Ungleichheiten der Fitnesszustände ergebende Vorteil während der Coronakrise. Sondern tatsächlich mehr.
Die Frage ist dann wiederum, ob der FC Barcelona dieses Risiko wirklich eingehen will. Ob es ihnen den Versuch wert ist, einen Trainer zu holen, der eine große Abkehr von allem bedeuten würde, wofür man in den letzten Jahrzehnten stand. Entgegnen könnte man dem, dass es frischen Wind in einem Klub braucht, der die Cruyff-Kathedrale ohnehin schon hat marode werden lassen. Über zu wenig Wind hat sich bei Flick zumindest noch niemand beschwert.